Dienstag, 30. Juli 2013

40 gradi all'ombra del lenzuolo (Müssen Männer schön sein?) 1976 Sergio Martino



Inhalt: Episodenfilm mit fünf erotisch-komödiantischen Geschichten: 

1. "La cavallone" (Das Pferdchen) 

Emilia Chiapponi (Edwige Fenech) macht die gesamte Männerwelt des toskanischen Ortes verrückt, wenn sie in ihrem engen roten Kleid, egal ob mit oder ohne ihren stolzen Ehemann an der Seite, über den Plaza schreitet. Sie verrenken sich den Hals und rufen ihr Komplimente zu - nicht immer ganz jugendfrei. Nur der noch bei seiner Mutter lebende Cavaliere Marelli (Tomas Milian), der noch nie eine Freundin hatte, reagiert scheinbar uninteressiert. Doch tatsächlich werden seine wildesten Fantasien von Emilia bestimmt, die er am Telefon auszuleben versucht...



2. "L'attimo fuggente" (Ein flüchtiger Moment) 

Esmeralda (Giovanna Ralli) wird von ihrem neuen Chauffeur Filippo (Alberto Lionello) in ihrem Roll's Royce aufs Land gefahren, wo sie ein Picknick in schöner Lage geplant hat. Doch Filippo kann seine Augen kaum auf der Straße halten, da er nur Augen für Esmaralda hat, obwohl sie sich ständig darüber beschwert und ihm mit Kündigung droht. Trotz einiger Zwischenfälle gelangen sie an den Zielort, aber Fillipos Drängen nimmt immer mehr zu...



3. "La guardia del corpo" (Der Leibwächter) 

Alex (Marty Feldman) nimmt seinen Job so wörtlich, dass er sich immer in unmittelbarer Nähe der schönen Mariana (Dayle Hadden) aufhält, egal, ob sie gerade duscht, sich ankleidet oder im Bett liegt. Mariana, die in Abwesenheit ihres reichen Vaters eine große Party zu Ehren eines modernen Künstlers geplant hat, um abschließend mit dem attraktiven Mann im Bett zu landen, reagiert verärgert, aber ihr Vater besteht auf den Diensten von Alex. Doch als er auch die Gäste der Party einer genauen Leibesvisitation unterzieht, scheint das Maß voll...



4. "I soldi in bocca" (Geld im Mund) 

Als ein junger Mann (Enrico Montenaso) an ihrer Haustür klingelt, glaubt die junge Ehefrau (Barbara Bouchet) an einen Vertreter, aber der höfliche Gast bietet ihr stattdessen 20 Millionen Lire für ein gemeinsames Schäferstündchen. Er würde am nächsten Tag von der Schweiz nach Australien auswandern und das wäre sein letzter großer Wunsch. Sie reagiert empört, aber dann erliegt sie dem verlockenden Angebot, von dem sie sich in Gedanken viele schöne Dinge kaufen kann, ohne ihren reichen Ehemann zu fragen. Am nächsten Tag steht der junge Mann erneut vor ihrer Tür, wieder mit 20 Millionen Lire in seinem Koffer...



5. "Un posto tranquillo" (Ein ruhiger Ort) 

Adriano Serpetti (Aldo Maccione) hat eine ruhige Wohnung angemietet, um ungestört von Frau und Kindern seinen eigenen Bedüfnissen nachgehen zu können. Doch als er sich gerade entspannen will, sieht er eine knapp bekleidete, schöne junge Frau (Sydne Rome) auf dem Sims stehen, die sich offensichtlich in die Tiefe stürzen will. Mit einem Trick gelingt es ihm, sie nach innen in die Wohnung zu ziehen, und überzeugt sie davon, dass das Leben doch viel zu schön ist, um sterben zu wollen. Sie dankt ihm überschwenglich und kommt ihm körperlich sehr nah, was ihm sehr recht ist. Bereitwiilig schwört er jeden von ihr verlangten Liebesschwur, um in ihrem Bett zu landen, doch er hat die Rechnung ohne ihren eifersüchtigen Bewacher gemacht, einem großen Schäferhund... 


Regisseur Sergio Martino genießt bis heute den Ruf als einer der wichtigsten Vertreter des Giallo, dem er sich beginnend mit "Lo strano vizio della Signora Wardh" (Der Killer von Wien, 1971) intensiv widmete. Dass er auch den Poliziesco all'italiana mit prägte, ist zumindest bekannt, unterschlagen wird dagegen häufig seine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der italienischen Spielart des mit der sexuellen Revolution aufkommenden Erotik-Films - die erotische Komödie, die in ihren besten Momenten die Tradition der "Commedia all'italiana" fortführte, die unter dem Deckmantel einer humorvollen Handlung beißende Gesellschaftskritik übte.

Auf Grund einer geradezu sintflutartigen Produktion billiger Sex-Komödien ab Mitte der 70er Jahre, die ihre austauschbare Handlung nur nutzten, um nackte Tatsachen auf die Leinwand zu bringen, nahm die einzelnen Filme kaum noch ein Verleiher ernst, weshalb sie unabhängig von ihrer individuellen Ausrichtung geschnitten, ummontiert und mit einer dem Charakter  widersprechenden Synchronisation versehen wurden. "40 gradi all'ombra del lenzuolo" (übersetzt etwa "40 Grad im Schatten zwischen den Bettlaken") ist in dieser Hinsicht ein besonders prototypisches Beispiel. In Deutschland kam der Film um etwa dreizehn Minuten gekürzt auf die Leinwand, was angesichts der fünf durchschnittlich 20minütigen Episoden beinahe dem Wegfall eines Teils entspräche. Den wenigen Nacktaufnahmen, die 1976 Niemanden mehr aus der Reserve locken konnten und die nur in drei Episoden vorkommen, kann dieser rigorose Wegfall nicht angelastet werden, sondern nur mit einer generellen Respektlosigkeit gegenüber dem Erotik-Genre begründet werden. Das gilt auch für die etwas weniger gekürzte englischsprachige Version, die die Episoden in der falschen Reihenfolge anordnete und damit die innere Entwicklung verfälschte.

Schon 1973 hatte Sergio Martino mit "Giovannona Coscialunga disonorata con onore" (1973) eine Erotik-Komödie gedreht, in der die damalige Lebensgefährtin seines älteren Bruders und Produzenten seiner Filme Luciano Martino, Edwige Fenech, ebenso die Hauptrolle übernommen hatte wie zuvor in den meisten seiner Gialli. Martinos stilistische Entwicklung bis zu "40 gradi all'ombra del lenzuolo" lässt sich entsprechend nachvollziehen. Nach einer weiteren Komödie "Cugini carnali" (1974) nahm auch Martinos letzter Poliziesco "Morte sospetta di una minorenne" (1975) einen zunehmend absurderen Gestus an, so dass sein komödiantischer Episoden-Film wie eine vorläufige Zusammenfassung wirkt, zu der er prominentes Personal versammeln konnte, das den Film qualitativ über die üblichen Sex-Komödien stellte. Dass Martino mit "Spogliamoci così senza pudor" (Lollipops und heißen Höschen) noch im selben Jahr einen weiteren Episodenfilm folgen ließ, der diesen Standard nicht mehr erreichte, war den geschäftlichen Gepflogenheiten geschuldet. Die Besetzung von Ursula Andress in zwei der Episoden des Nachfolgefilms wies schon auf Martinos kommende Kannibalismus/Urwald-Phase hin ("La montagna del dio cannibale" (Die weiße Göttin der Kannibalen, 1978)), an der Andress maßgebend mitwirkte.

Neben Giorgio Salvioni ("La decima vittima" (Das zehnte Opfer, 1965)) und Sergio Martino, war mit Tonino Gierra einer der profiliertesten Autoren des italienischen Kinos an "40 gradi all'ombra del lenzuolo" beteiligt, für den das Sujet eine Abwechslung zu seinen Drehbüchern für Federico Fellini ("Amacord" (1973)), Francesco Rosi ("Cadaveri eccellenti" (Die Macht und ihr Preis, 1976)) oder Michelangelo Antonio ("Il mistero di Oberwald" (Das Geheimnis von Oberwald, 1979)) bedeutete, gleichzeitig aber erneut die enge, Genre übergreifende Verzahnung im italienischen Kino bewies. Der deutsche Titel "Müssen Männer schön sein?" bezog sich wenig schmeichelhaft auf das Äußere der fünf männlichen Protagonisten, die sich in den einzelnen Episoden an besonders attraktiven weiblichen Antipoden versuchen, lenkte aber von der tatsächlichen Intention des Films ab, denn lächerlich machen sich nur die beiden Männer in der ersten und letzten Episode, was auch der inneren Ordnung des Films entspricht.

Tomas Milian spielte gegen sein sonstiges Image in der ersten Episode "La cavallone" (Das Pferdchen) ein verklemmtes, mit dicken Gläsern bebrilltes Muttersöhnchen, das als einziger Mann des Ortes nicht in die allgemeine Begeisterung für die schöne Emilia Chiapponi (Edwige Fenech) einstimmt. Sobald sie über den Platz des toskanischen Ortes in ihrem eng anliegenden roten Kleid schreitet - meist in Begleitung ihres stolzen Ehemanns – kennen die Männer keine Zurückhaltung mehr, sondern stehen geifernd, glotzend und sprachlich hemmungslos ihre Gefühle ausdrückend Spalier. Eine Überzeichnung des männlichen Machismo, an dem sich nur der Cavaliere Marelli (Tomas Milian) nicht beteiligt. Doch dessen äußerlich gewahrte Zurückhaltung basiert nicht auf Anstand, sondern ist nur Zeichen seiner sexuellen Verklemmtheit, denn in seiner Fantasie treibt er es mit Emilia an den verwegensten Orten. Was wie eine leicht alberne Satire auf männliches Geprotze beginnt, vertiefte der Film geschickt, denn Emilia geht ernsthaft auf die Anrufe des Cavaliere ein, in denen er ihr seine Fantasien schildert, und ist bereit sich mit ihm zu treffen.

Eine Überforderung für den nur von seinem sicheren Ort heraus mutig agierenden Cavaliere, der sich zuerst davor drückt, die Verabredung einzuhalten, um dann seine Empörung darüber auszudrücken, dass sie realen Sex ausüben wollte. Zu diesem kommt es tatsächlich, da sich zufällig der rustikale Typ mit der größten Klappe dort aufhielt und von der Situation profitiert – eine zusätzliche Erniedrigung für den verklemmten Cavaliere, als er von dessen lauthals verbreiteten Erlebnissen erfährt. Die erste Episode wirkt oberflächlich wie eine alberne Farce mit Tomas Milians Brettfrisur und seinen Flaschenboden-Brillengläsern, ist aber ein ironisches Spiel mit dem typischen männlichen Imponiergehabe, dass auch einen schadenfrohen Betrachter nicht befriedigen kann, da ausgerechnet der unangenehmste Angeber zum Ziel kommt. Die Voyeur-Perspektive kehrt sich letztlich um, auch wenn Edwige Fenech wie gewohnt optisch überzeugen kann, denn am Ende stehen die Männer im Visier und hinterlassen keine gute Figur.

Die zweite Episode "L'attimo fuggente" (Ein flüchtiger Moment), die fast ausschließlich zwischen Esmeralda (Giovanna Ralli), einer Dame aus guter Gesellschaft, und ihrem Chauffeur Filippo (Alberto Lionello) spielt, wirkt im Gesamtkontext am schwächsten, auch weil das ständige Drängen des Chauffeurs und die halbherzigen Zurückweisungen der Dame zunehmend nerven. Die Auflösung klärt zwar dieses Verhalten, kann aber nur im Zeitkontext überzeugen, als dem Ausleben von sexuellen Fantasien, kombiniert mit männlicher Impotenz, noch etwas Aufregendes anhaftete (siehe auch Woody Allens „Was sie schon immer über Sex wissen wollten…(1972), der hier Pate stand). Auffällig ist hier das Gleichgewicht zwischen Mann und Frau, das sich auch in der dritten Episode fortsetzt, auch wenn zuerst ein anderer Eindruck entsteht. Die Episode mit Marty Feldman ließe sich leicht aus dem Episoden-Kontext herauslösen, da sie weniger das generelle sexuelle Verhalten beleuchtet, als dem englischen Komiker die Möglichkeit bot, seinen ureigenen Humor auszuleben. Für seine Anhänger ist "La guardia del corpo" (Der Leibwächter) entsprechend ein Fest, die Szenen um die verwöhnte Tochter Mariana (Dayle Hadden) und ihre Party gaben Sergio Martino zwar die Gelegenheit für einige Nacktszenen, sind darüber hinaus aber nicht besonders originell.

Es sind die beiden abschließenden Kurzfilme, die dem Film neben der Eingangsepisode Gestalt geben, weshalb sie zu recht am Ende stehen. Die vierte Episode "I soldi in bocca" (Geld im Mund), die im Gegensatz zu den sonstigen Geschichten in der Schweiz angesiedelt ist, worauf der Film mit witzig klingenden deutsch gesprochenen Dialogen anspielt (nur in der Originalfassung), ist intelligent und überraschend erzählt, und bereichert das nach wie vor aktuelle Thema um die Schweizer Bankkonten um eine erotische Variante. Hier kommt keines der beiden Geschlechter gut weg, sieht man vom männlichen Protagonisten (Enrico Montenaso) einmal ab, von dessen leicht linkischen Auftreten man sich nicht täuschen lassen sollte, auch wenn sein Äußeres im starken Kontrast zur schönen Barbara Bouchet steht. Die deutsche Fragestellung „Müssen Männer schön sein?“ erweist sich trotzdem in keiner Episode als passend, da es nie um die traditionelle Eroberung einer Frau geht. Bekam in der ersten Episode die Angebetete ihren Kavalier gar nicht erst zu Gesicht, war der zweite Film ein Spiel unter Partnern und wird Marty Feldman im dritten Teil zum unerwarteten Helden, so sind es in der vierten Episode nur die 20 Millionen Lire, die die Frau weich werden lassen.

Das bleibt signifikant für einen Film, in dem Sex nur egoistisch motiviert ist, was die fünfte Episode geschickt an einer scheinbar emotionalen Situation verdeutlicht. Denn Adriano Serpetti (Aldo Maccione), der gerade in seiner frisch angemieteten Wohnung angekommen ist, wo er sich eine Auszeit von Ehefrau und Kindern verschaffen will, rettet der schönen jungen Nachbarin (Sydne Rome) das Leben, als sie sich vom Sims aus in den Tod stürzen will. Doch der Versuch des Familienvaters, diese Situation auszunutzen, um in ihrem Bett zu landen, ist genauso unangemessen, wie ihre Forderung nach ewiger Liebe. Das Einzige, was in "Un posto tranquillo" (Ein ruhiger Ort) authentisch ist – genauer betrachtet sogar im gesamten Film – ist der Schäferhund, der eifersüchtig über sein Frauchen wacht. Da bleibt Mann nur die Flucht. "40 gradi all'ombra del lenzuolo" ist kein Film über ein paar lächerliche Idioten, die sich an schöne Frauen heranmachen  - wie es der deutsche Titel suggeriert - sondern eine intelligente Sezierung von Männern und Frauen, denen es weniger um Sex geht, als um ihren eigenen Vorteil. Ein wenig Selbstreflexion ist schon notwendig, um Sergio Martinos gelungene Erotik-Komödie zu mögen.

"40 gradi all'ombra del lenzuolo" Italien 1976, Regie: Sergio Martino, Drehbuch: Tonino Guerra, Giorgio Salvioni, Sergio Martino, Darsteller : Edwige Fenech, Tomas Milian, Giovanna Ralli, Alberto Lionello, Dayle Hadden, Marty Feldman, Barbara Bouchet, Enrico Montenaso, Sydne Rome, Aldo Maccione, Laufzeit : 102 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Sergio Martino:

Mittwoch, 24. Juli 2013

Gian Maria Volonté (1933 - 1994) Attore / Schauspieler



Gian Maria Volonté starb 1994 in Griechenland, während der Dreharbeiten zu „Der Blick des Odysseus“ unter der Leitung von Theo Angelopoulos. Der Regisseur fand ihn tot in der Badewanne liegend – er sah aus, als ob er schliefe. Ein Zustand, der nicht typisch war für einen Schauspieler, der alle Facetten der Emotionen bediente, der laut, brachial, theatralisch, körperlich, spielerisch und kindisch auftreten konnte und sich und seine Umgebung immer vollständig forderte. Dass er mit nur 61 Jahren an einem Herzinfarkt starb, scheint folgerichtig angesichts einer unaufhaltsamen schauspielerischen Laufbahn, die erst in den 80er Jahre von einer tiefen Depression gestoppt wurde, die Volonté sichtlich schwächte und frühzeitig altern ließ. Der Mann, der mit seiner fast 1,90 Meter großen kräftigen Gestalt seine Umgebung auch einschüchtern konnte - wie eine Schauspielkollegin in einem Interview einmal verriet - war körperlich gebrochen.

Schon seine Kindheit geriet in die Mühlen des 2.Weltkriegs und der faschistischen Diktatur unter Mussolini. 1933 in Mailand geboren, wuchs er in Turin als Sohn eines überzeugten militanten Faschisten auf. Dieser schloss sich 1944 der „Brigata nera“ (Schwarzen Brigade) in Chivasso an, einer in der Nähe von Turin gelegenen Kommune, um kommunistische Partisanen zu jagen, weshalb er nach dem Krieg ins Gefängnis kam, wo er kurz darauf starb. In Folge davon geriet Volontés Mutter Carolina Bianchi, die von einer Mailänder Industriellenfamilie abstammte, in finanzielle Schwierigkeiten, weshalb ihr ältester Sohn Gian Maria mit 14 Jahren nach Frankreich ging, um dort bei der Apfelernte zu arbeiten und die Familie zu entlasten. In diese Phase fällt auch seine erste Begegnung mit den Schriften von Albert Camus und Jean-Paul Sartre, die Volonté entscheidend prägen sollten.

Als er mit 16 Jahren wieder nach Italien zurückkehrte, galt sein Interesse schon dem Theater, weshalb er sich als Hilfs-Garderobier und im Sekretariat des örtlichen Theaters verdingte, bevor er 1954 seine Ausbildung zum Schauspieler an der „L’Accademia Nazionale d’Arte Drammatica“ in Rom begann, wo er bald als großes Talent galt. Noch während seiner Studienzeit spielte er in „Fedra“, einem 1957 für das italienische Fernsehen inszenierten Theaterstück, eine wichtige Rolle, die seine schauspielerische Arbeit für die kommenden Jahre bestimmen sollte. Noch mehrfach wirkte er in Theaterinszenierungen mit, darunter in der im Fernsehen als Mini-Serie ausgestrahlten fast 8stündigen Fassung von Dostojewskis „Idiot“ (1959), einem großen Erfolg in Italien, der seine Popularität begründete. Auffällig wurde dort, so sein damaliger Kollege und spätere Regisseur Giorgio Albertazzi, dass Volonté zwar ein großer Schauspieler war, aber nicht im klassischen Sinn – seine Kunst lag in der Improvisation. Dadurch wurde es intensiv spürbar, wie wahrhaftig und authentisch er seine Rollen anzunehmen in der Lage war.

1960, bei einer Theater-Inszenierung von Shakespeares „Romeo und Julia“ in Verona, begegnete er Carla Gravina, die zu diesem Zeitpunkt schon in einigen Filmen mitgewirkt hatte, darunter in „Guendalina“ (1957) von Alberto Lattuada und in Monicellis „I soliti ignoti“ (Diebe haben’s schwer, 1958), mit der er eine langjährige Liebesbeziehung begann. 1961 wurde ihre gemeinsame Tochter Giovanna, Volontés einziges Kind, geboren. Parallel begann er seine Filmkarriere mit einer kleinen Rolle in „Sotto dieci bandieri“ (Unter zehn Flaggen, 1960), in dem Charles Laughton die Hauptrolle spielte, bevor er 1961 schon in insgesamt vier Filmen mitwirkte. Neben zwei Nebenrollen in den damals populären Sandalenfilmen, spielte er auch in „La ragazza con la valigia“ (Das Mädchen mit dem leichten Gepäck) von Valerio Zurlini und verkörperte an der Seite von Nino Manfredi und Mario Adorf in Luigi Comencinis „A cavallo della tigre“ (Vergewaltigt in Ketten) einen Intellektuellen, der aus Eifersucht getötet hatte. Verstand und Wahnsinn gleichzeitig zu verkörpern, wurde zu einem seiner Markenzeichen, wie er in den beiden frühen Leone Western „Per un pugno di dollari" (Für eine Handvoll Dollar, 1964) und „Per qualche dollaro in più“ (Für ein paar Dollar mehr, 1965) bewies, mit denen er den Verbrecher-Typus in den Italo-Western entscheidend prägte. In „Quien sabe?“ (Töte Amigo!, 1967) unter der Regie von Damiano Damiani und Sergio Sollimas „Faccia a faccia“ (Von Angesicht zu Angesicht, 1967) variierte er diese Figur noch zwei weitere Male im Italo-Western.

Neben diesen Genre-Beiträgen - er spielte auch einen Schwerverbrecher in Lizzanis "Banditi a Milano" (1968), der das Polizieschi-Genre einleitete -  blieb Volonté immer auch dem intellektuellen Kino treu. Die Brüder Paolo und Vittorio Taviani besetzten ihn in ihrem ersten Langfilm „Un uomo da bruciare“ (Gebrandmarkt, 1962), in seiner ersten Hauptrolle als Salvatore Carnevale, einem Gewerkschaftsführer der Sozialistischen Partei Italiens (SPI), der 1955 auf Sizilien von der Mafia ermordet wurde – eine prototypische Rolle für Gian Maria Volonté, die er mit Vehemenz, aber auch mit dem Mut zur Stille ausfüllte. Noch mehrfach sollte er politisch kontroverse Personen der italienischen Zeitgeschichte  - darunter in „Il caso Mattei“ (Der Fall Mattei, 1972) und „Il caso Moro“ (Die Affäre Aldo Moro, 1986) – verkörpern. Auch für das italienische Fernsehen arbeitete er in den 60er Jahren noch regelmäßig, darunter in einer Serie über das Leben von „Michelangelo“ (1964).

Die Rolle des Salvatore Carnevale, aber auch des Widerstandkämpfers in De Bosios „Il terrorista“ (1963) waren beispielhaft für sein zunehmendes politisches Engagement. Als es 1965 bei der Aufführung des Theaterstücks „Der Stellvertreter“ (italienisch „Il vicario“) von Rolf Hochhuth, dass die Passivität des Pabsts und des Vatikans gegenüber den Judenmorden der Nationalsozialisten thematisiert, in Rom zu Verboten und Gewalttätigkeiten kam, stellte sich Volonté den Massenprotesten und kritisierte die Beeinflussung der Polizei durch den Vatikan als einen Verstoß gegen das Konkordat. Mit „A ciascuno il suo“ (Zwei Särge auf Bestellung, 1967) begann wenig später seine enge Zusammenarbeit nicht nur mit Elio Petri, mit dem er insgesamt fünf Filme drehte, sondern mit weiteren politisch engagierten Regisseuren wie Gianni Puccini ("I sette fratelli Cervi“, 1967), Francesco Rosi „Uomini contro“ (Bataillon der Verlorenen, 1970), Giuliano Montaldo („Saccho e Vanzetti“, 1971), Marco Bellocchio „Sbatti il mostro in prima pagina“ (Tödliche Schlagzeilen, 1972), erneut mit Damiano Damiani in „Io ho paura“ (Ich habe Angst, 1977) und nicht zuletzt mit Gillo Pontecorvo „Operación Ogro“ (Ogro, 1979).

Parallel nahm Volonté engagiert am politischen Diskurs in der Öffentlichkeit teil, der sich ab den späten 60er Jahren zuspitzte. Schlagzeilen wie „Volonté - cento facce per combattare di sistema“ (Volonté - hundert Methoden um das System zu bekämpfen) oder  „Gian Maria, il „mostro sacro“ – un grande camaleonte“ (Gian Maria, das „heilige Monster“ – ein großes Chamäleon) lassen an seiner linksgerichteten Haltung, aber auch an der Kritik an seinen Methoden keinen Zweifel. Gemeinsam mit über 60 Regisseuren verfasste er das politische Manifest „Documenti su Giuseppe Pinelli“ (1970), nachdem dieser nach einer Festnahme aus dem Fenster eines Polizeigebäudes stürzte und starb. Der Kommunist war zu Unrecht nach einem Bombenattentat verhaftet worden, für das tatsächlich eine faschistische Gruppe verantwortlich war, wie sich erst Jahrzehnte später herausstellen sollte. So engagiert Volonté war, so anstrengend war er auch für seine Mitstreiter, denn der Darsteller forderte ein gleichberechtigtes Mitbestimmungsrecht an der Filmherstellung.

Mitte der 70er ließ er sich für eine Wahlliste der Kommunistischen Partei (KPI) aufstellen, in der er schon seit den 60er Jahren Mitglied war, wurde aber nicht gewählt. Es war eine Phase, in der die KPI einen hohen Zuspruch bei den Wählern erzielte, weshalb sogar eine Koalition mit der christlichen Partei diskutiert wurde, um Italien vor einer erneuten Diktatur zu bewahren – ein in beiden politischen Lagern höchst umstrittener Plan. Es gibt keine Quellen dafür, dass es in dieser Frage zwischen Elio Petri und Volonté zum Bruch kam, aber nach ihrem gemeinsamen Film „Todo modo“ (1976), der diese Idee satirisch behandelte und in dem Volontè Aldo Moro als lächerliche Figur interpretierte, dem wichtigsten Befürworter auf konservativer Seite, war die seit einem Jahrzehnt andauernde enge Zusammenarbeit zwischen Petri und Volonté beendet. Als wenig später Aldo Moro entführt und ermordet wurde, war der „compromesso storico“ (der historische Kompromiss) in Italien nicht mehr möglich.

Die Parallelen zwischen dem Niedergang der italienischen Filmindustrie und dem politischen Film, der Mitte der 70er Jahre seinen Zenit überschritten hatte, sind offenkundig. Nach dem Anschlag auf Aldo Moro veränderten sich die Vorzeichen in Italien eklatant. Die Anti-Terror Gesetze wurden verstärkt und die Linke verlor, da die „Roten Brigaden“ für den Tod des Politikers verantwortlich gemacht wurden, insgesamt an Reputation – der Tod Enrico Berlinguers 1984, dem charismatischen Führer der KPI, beendete diese Hochphase endgültig. Gian Maria Volonté trotzte dieser Tendenz noch ein wenig und drehte mit „La mort de Mario Ricci“ (1983) und „Il caso Moro“ (1986) zwei politische Filme, die ihm wichtige Preise einbrachten. Besonders „Il caso Moro“ nutzte er, um bei seiner zweiten Verkörperung des Politikers Moro nach „Todo modo“, dessen Charakter eine andere Richtung zu geben. Die wenigen Filme, die er in dieser Phase drehte, waren ein beredtes Zeichen für seinen schlechten Gesundheitszustand, und auch wenn er Ende der 80er Jahre wieder stärker in das Filmgeschäft einstieg, bleibt sein früher Tod nicht nur ein unersetzlicher Verlust für das Kino generell, sondern steht am Ende eine langen erfolgreichen Ära des italienischen Films.

Quelle: „Un attore contro: Gian Maria Volonté” Dokumentarfilm 2005 

Gian Maria Volonté - seine Kinofilme: 

1. Vom Sandalenfilm zum Italo-Western 1960 - 1965













"Sotto dieci bandieri" (Unter zehn Flaggen, 1960) - Duilio Coletti
"Antinea, l'amante della città sepolta" (Die Herrin von Atlantis, 1961) - Giuseppe Masini
"Ercole alIa conquista di Atlantide" (Herkules erobert Atlantis, 1961) - Vitterio Cottafavi
"La ragazza con la valigia" (Das Mädchen mit dem leichten Gepäck, 1961) - Valerio Zurlini
"A cavallo della tigre" (Vergewaltigt in Ketten, 1961) - Luigi Comencini
"Noche de verano" (1962) - Jorge Grau
"Un uomo da bruciare" (Gebrandmarkt, 1962) - Paolo und Vittorio Taviani, Valentino Orsini
"Le quattro giornate di Napoli" (Die vier Tage von Neapel, 1962) - Nanni Loy
"Il terrorista" (1963) - Gianfranco De Bosio
"Per un pugno di dollari" (Für eine Handvoll Dollar, 1964) - Sergio Leone
"Il magnifico cornuto" (Der große Hahnrei, 1964) - Antonio Pietrangeli
"Per qualche dollaro in più" (Für ein paar Dollar mehr, 1965) - Sergio Leone

2. Vor dem politischen Urknall - Brancaleone bis zum Poliziesco 1966 - 1969















"L'armata Brancaleone" (Die unglaublichen Abenteuer des hochwohllöblichen Ritters Branca Leone, 1966) - Mario Monicelli
"La stagioni di nostro amore" (Jahreszeiten unserer Liebe, 1966) - Florestano Vancini
"Svegliati e uccidi" (Feuertanz, 1966) - Carlo Lizzani
"La strega in amore" (Hexe der Liebe, 1966) - Damiano Damiani
"Het gangstermeisje" (Illusion - ein Gangstermädchen, 1966) - Frans Weisz
"Quien sabe?" (Töte Amigo, 1967) - Damiano Damiani
"A ciascuno il suo" (Zwei Särge auf Bestellung, 1967) - Elio Petri
"Faccia a faccia" (Von Angesicht zu Angesicht, 1967) - Sergio Sollima
"I sette fratelli Cervi" (1967) - Gianni Puccini
"Summit" (1968) - Giorgio Bomtempi
"Banditi a Milano" (1968) - Carlo Lizzani 
"L'amante di Gramigna" (1969) - Carlo Lizzani
"Sotto il segno dello scorpione" (Im Zeichen des Skorpions, 1969) - Paolo und Vittorio Taviani

3. Die politische Phase 1970 - 1979



















"Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto" (Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger, 1970) - Elio Petri
"Le vent d'est" (Ostwind, 1970) - Groupe Dziga Vertov
"Uomini contro" (Bataillon der Verlorenen, 1970) - Francesco Rosi
"Le cercle rouge" (Vier im roten Kreis, 1970) - Jean-Pierre Melville
"Documenti su Giuseppe Pinelli" (1970) - Elio Petri, Nelo Risi
"Sacco e Vanzetti" (Sacco und Vanzetti, 1971) - Giuliano Montaldo
"La classe oparaia va a paradiso" (Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies, 1971) - Elio Petri
"Il caso Mattei" (Der Fall Mattei, 1972) - Francesco Rosi
"L'attentat" (Das Attentat, 1972) - Yves Boisset
"Sbatti il mostro in prima pagina" (Tödliche Schlagzeilen, 1972) - Marco Bellocchio
"Lucky Luciano" (1973) - Francesco Rosi
"Giordano Bruno" (Der Mönch von San Dominico, 1973) - Giuliano Montaldo
"Il sospetto" (1975) - Francesco Maselli
"Actas de Marusia" (1976) - Miguel Littin
"Todo modo" (1976) - Elio Petri
"Io ho paura" (Ich habe Angst, 1977) - Damiano Damiani
"Operación Ogro" (Ogro, 1979)
"Cristo si è fermato a Eboli" (Christus kam nur bis Eboli, 1979) - Francesco Rosi

4. Spätphase 1980 - 1994

"Stark system" (1980) - Armenia Balducci
"La storia vera deIla signora dalle camelie" (Die Kameliendame, 1981) - Mauro Bolognini
"La mort de Mario Ricci" (Tod des Mario Ricci, 1983) - Cluade Goretta
"Il caso Moro" (Die Affäre Moro, 1986) - Giuseppe Ferrara
"Cronica di una morte annunciata" (Chronik eines angekündigten Todes, 1987) - Francesco Rosi
"Un ragazzo di Calabria" (1987) - Luigi Comencini
"L'oeuvre au noir" (1988) - Andrè Delvaux
"Pestalozzis Berg" (1989) - Peter von Gunten
"Tre colonne in cronaca" (1990) - Carlo Vanzina
"Porte aperte" (Offene Türen, 1990) - Gianni Amelio
"Una storia semplice" (Eine einfacher Fall, 1991) - Emidio Greco
"Funes, un gran amor" (1993) - Raúl de la Torre
"Tirano Baderas" (1993) - José Luis Garcia Sánchez

Mittwoch, 17. Juli 2013

Superseven chiama Cairo (Höllenhunde des Secret Service) 1965 Umberto Lenzi

Inhalt: Nachdem Agent Martin Stevens (Roger Brown) seinen letzten Auftrag erfolgreich erledigt hatte, kehrt er wieder in die Londoner Zentrale zurück, wo er von dem Professor (Mino Doro) einen neuen Auftrag erhält. Ein wertvolles radioaktives Material ist gestohlen und daraus das Objektiv einer Super 8-Kamera gefertigt worden, um es unauffällig über die Grenze bringen zu können. Leider ist der Bande in Kairo ein Missgeschick unterlaufen, weshalb die Kamera an einen Unbekannten verkauft wurde, der nichts von dem Material weiß. Stevens Aufgabe ist es, den Mann, von dem Niemand weiß, wie er heißt oder aussieht, vor der Gangsterbande zu finden, um das Objektiv sicher zu stellen.

In Kairo erwartet man ihn schon und hat Faddja (Rosalba Neri) auf ihn angesetzt. Die Bande kennt Stevens Schwäche für schöne Frauen, weshalb sie ihn um den Finger wickeln soll, aber er durchschaut ihr Spiel schnell. Nachdem sie ihn davon überzeugt hat, dass sie zu dem Job gezwungen wurde, gibt er ihr Informationen, die sie zu einem geheimen Briefkasten bringt. Doch als kurz darauf ein Mann kommt, der den Kasten leert, verliert Stevens dessen Spur in der Menschenmenge…


Einen frühen Umberto Lenzi-Film zu besprechen, hat etwas Undankbares an sich. Seine in der ersten Hälfte der 60er Jahre entstandenen zahlreichen Produktionen können ihre Intention, möglichst schnell und kostengünstig die Nachfrage des Kinopublikums zu befriedigen, nicht verbergen, aber die Abenteuer- und Sandalenfilme der frühen 60er Jahre waren immerhin ein eigenständiges Genre und verfügten über Stars wie Steve Reeves, die dieser Phase ein individuelles Gesicht gaben. Dagegen wirken die danach im Zuge des James-Bond-Hypes entstandenen Agentenfilme, in denen Möchtegern-Bonds auf dicke Hose machten, aus heutiger Sicht nur noch peinlich - Niemand würde es mehr wagen, eine Stilrichtung so offensichtlich zu kopieren, ohne auch nur annähernd die technischen und inhaltlichen Standards des Vorbilds zu erreichen. Doch Mitte der 60er Jahre genügte es offensichtlich, die Story vom englischen Agenten mit der Lizenz zu töten, in leicht abgewandelter Form zu wiederholen.

Umberto Lenzi machte in seinem zweiten Agentenfilm nach "A 008, operazione Stermino" (1965) - der deutsche Titel "Heiße Grüße vom C.I.A." verbirgt leider die Anspielung auf "007" - auch kein Geheimnis daraus, das James-Bond-Franchise plündern zu wollen. Gemäß dem Vorbild beginnt der Film mit einer von der späteren Handlung unabhängigen Einganssequenz, die Martin Stevens (Roger Brown) im Bett mit einer Schönen zeigt, die es plötzlich sehr eilig hat und ihn zu töten versucht. Doch Stevens erkennt ihr Ansinnen rechtzeitig und kann sie mit einem Schuss aus seinem Kugelschreiber erledigen, womit schon drei wesentliche Bond-Elemente vereint sind - schöne Frauen, technische Tricks und das entspannte Lächeln eines Mannes von Welt, der sich von nichts aus der Ruhe bringen lässt. Selbstverständlich führt Stevens nächster Weg ins Hauptquartier nach London, wo er erst das Trainingscamp durchstreift, wo knapp geschürzte Frauen mit Maschinengewehren auf Pappkameraden schießen, bevor er sich beim "Professor" (Mino Doro) - eine Art Widergänger von "M" - den neuesten Auftrag abholt, nicht ohne zuvor mit speziellem technischen Gerät ausgestattet worden zu sein.

Alles in "Superseven chiama Cairo" (Höllenhunde des Secret Service) atmet den Geist eines James-Bond-Films, nur mehrere Nummern kleiner - die technische Ausstattung des Agenten, die Verbrecherbande, der eine Super 8 - Kamera durch die Lappen ging, deren Objektiv sie aus einem wertvollen gestohlenen Material fertigen ließ, um es über die Grenze schmuggeln zu können, und die Locations, die sich auf Rom, Locarno und Kairo beschränken, auch wenn sich Lenzi viel Mühe gibt, die Pyramiden häufig ins Bild zu rücken. Nur die Frauen können es dank Rosalba Neri und Fabienne Dali problemlos an Schönheit mit den Bond-Girls aufnehmen. Die gesamte Story kann ihren provinziellen Touch nicht verbergen, denn es geht um die Suche nach einem radioaktiven Kameraobjektiv, das versehentlich an einen unwissenden Käufer geriet, den nun beide Seiten versuchen, zuerst ausfindig zu machen - Agent Stevens und die skrupellos vorgehende Bande von "Il levantino" (Andrea Aureli).

Angesichts typischer Filmfehler - einmal greift Stevens mitten auf einem See schwimmend in einen Kampf ein, obwohl er Sekunden zuvor noch weit entfernt am Strand gestanden hatte - und unfreiwillig komischer Szenen - nachdem Stevens Grenzbeamte mit einer Waffe bedroht hatte, um seinen Übertritt zu erzwingen, wird die Anklage von der Justiz fallen gelassen, weil sich die Waffe beim Kommissar als Zigarettenanzünder herausstellt - wäre es leicht, den Film als Billigproduktion abzutun, aber tatsächlich kann "Superseven chiama Cairo" phasenweise faszinieren. Zu verdanken ist das einerseits dem US-Mimen Roger Brown, der den britischen Agenten mit leicht schmierigem Charme spielt, der jederzeit einen klaren Blick für seine Situation und seine Frauenbeziehungen behält, die er mit ironischem Unterton begleitet, andererseits einer Inszenierung, die die Thematik ernst nimmt und mehr wagen durfte als die mainstreamigen Bond-Filme. Seitens der Gangster wird skrupellos getötet und gefoltert – auch einmal die Drogenabhängigkeit einer Frau für eigene Zwecke genutzt – weshalb deren Taten konkreter und brutaler wirken als im Unterhaltungsfilm für die große Leinwand.

Neben den kompromisslosen Gangstern weist auch die rasant gefilmte Verfolgungsjagd nach dem erzwungenen Grenzübertritt schon auf Lenzis zukünftige Polizeifilme hin, aber die größte Schwäche des Films bleibt dessen unausgewogenes Tempo – abwechslungsreiche, schnelle Abschnitte wechseln mit betulichen, uninspirierten Szenen, die auch dem geringen Budget geschuldet sind, etwa wenn abwechselnd ein Hubschrauber und ein Auto gefilmt werden, um damit zu vermitteln, dass gerade Jemand umgestiegen ist, ohne es aber im Bild zeigen zu können. "Superseven chiama Cairo" kann seinen B-Charakter nicht verbergen, aber ist auch aus heutiger Sicht kein „Trash“, sondern verleiht dem Agenten-Film etwas dreckig Direktes im Gegensatz zu der gewohnten James-Bond-Eleganz. Damals reichte es noch für die Fortsetzung „Le spie amano fiori“ (Die Höllenkatze des Kong-Fu, 1966) – Martin Stevens übernehmen Sie! 

"Superseven chiama Cairo" Italien, Frankreich 1965, Regie: Umberto Lenzi, Drehbuch: Piero Pierotti, Umberto Lenzi (Roman), Darsteller : Roger Brown, Rosalba Neri, Fabienne Dali, Massimo Serato, Andrea Aureli, Mino Doro, Laufzeit : 89 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Umberto Lenzi:
"L'uomo della strada fa giustizia" (1975)
"Roma a mano armata" (1976)
"Il trucido e lo sbirro" (1976)
"La banda del gobbo" (1978)
"Incubo sulla città contaminata" (1980)

Dienstag, 16. Juli 2013

Umberto Lenzi - Meister der Genres (1931 - ) Regista / Regisseur

Angesichts der Reaktionen und Beurteilungen, denen Umberto Lenzi seit Jahrzehnten ausgesetzt ist, könnte man provokativ fragen, ob ihm die Meinungen seiner Gegner oder seiner Anhänger lieber sind? – Bei Denjenigen, die ihn während seiner gut 30jährigen Schaffensperiode als Regisseur von 1961 bis 1992 nie ernst nahmen oder ihn wegen seiner plakativen Filme ablehnten, ist er inzwischen in Vergessenheit geraten, bei seinen Fans gilt er dagegen wahlweise als Guru für „Polizeifilme der 70er Jahre“, Erfinder des „Cannibalismus“-Genres oder schlicht als „B-Film-Gott“, mit dem Ergebnis, dass seine Filme meist nur nach Action, Härte- und Kompromisslos-Grad beurteilt werden – ließ Lenzi auch sanftere Töne anklingen oder differenzierte er seine Charaktere, galt er schnell als nicht richtig in Form.

Dabei begann Umberto Lenzi, 1931 in Massima Marittima in der Toskana geboren, seine Karriere ganz konventionell und machte 1956 sein Regie-Diplom an der „Centro sperimentale di cinematografia“ in Rom. Als Diplomarbeit drehte er den - an den späteren Pasolini erinnernden - Kurzfilm “I ragazzi di Trastevere” über die einfache Bevölkerung eines römischen Viertels. Bevor es zu seinem ersten selbst verantworteten Film „Le avventure di Mary Read“ (1961) als Regisseur kam, hatte er als Regie-Assistent bei „Il terrore di mari“ (Die Piraten der Totenkopfinsel, 1961) mitgewirkt – bei beiden Filmen arbeitete er mit den Drehbuchautoren Luciano Martino und Ernesto Gastaldi zusammen, was sich prägend für sein kommendes Werk auswirken sollte. Luciano Martino, älterer Bruder von Sergio Martino, der ähnlich wie Lenzi in allen populären Genres erfolgreich Regie führte, sollte Lenzi besonders als Produzent in den 70er Jahren begleiten und Gastaldi verfasste später noch die Drehbücher zu zwei wichtigen Filmen.

1961 hatte Luciano Martino gemeinsam mit Sergio Leone und Duccio Tessari das Drehbuch zu Leones Film „Il colosso di Rodi“ (Der Koloss von Rhodos) geschrieben, was schon auf die zukünftige Entwicklung des Italo-Western hinwies, den sie entscheidend beeinflussten. Auch Umberto Lenzi drehte mit „Una pistola per cento bare“ (Ein Colt für 100 Särge) und „Tutto per tutto“ (Zwei Aasgeier) 1968 noch zwei Italo-Western, die an der Schnittstelle zwischen seiner „Agenten-Phase“ und seinem ersten Giallo „Orgasmo“ (1969) häufig unbeachtet blieben, obwohl sie verdeutlichen, dass Lenzi in sämtlichen Genre-Sparten zu Hause war. Seine Karriere startete er aber im damals sehr populären „Historien/Abenteuer Film", unabhängig davon ob es sich um Robin Hood („Il trionfo di Robin Hood“ (Robin Hood – der Löwe von Sherwood, 1962)), Katharina die Große („Caterina di Russia“ mit Hildegard Knef in der Hauptrolle, 1963) oder diverse Sandalenfilme handelte („Sandokan“ mit Steeve Reeves (1964)). Bis zu „I pirati della Malesia“ (Die schwarzen Piraten von Malaysia, 1964 - einem „Sandokan“ – Sequel und vorletzten Film von Steve Reeves, dessen Karriere eng mit den „Sandalen" - Filmen verbunden blieb - drehte Umberto Lenzi zwölf Filme innerhalb von vier Jahren, denen die seriellen Produktionsbedingungen anzumerken sind, die aber schon phasenweise Lenzis Talent zu einer dynamischen Zuspitzung der Handlung aufblitzen ließen.

Luciano Martino war in den 60er Jahren nur an „L’invincibile cavaliere mascherato“ (Robin Hood in der Stadt des Todes, 1962 – obwohl der Film nichts mit Robin Hood zu tun hat) beteiligt, dessen Drehbuch er gemeinsam mit Lenzi schrieb, der zunehmend seine Drehbücher selbst verfasste. Erst mit „Milano odia: la polizia non può sparare“ (Der Berserker, 1974) - Lenzis erstem „Poliziesco all’italiana“, der das Genre entscheidend beeinflussen sollte, begann ihre intensive Zusammenarbeit, denn Luciano Martino produzierte ab diesem Zeitpunkt sämtliche Polizieschi unter Lenzis Regie. Das Drehbuch zu „Milano odia: la polizia non può sparare“ entwarf Ernesto Gastaldi, womit das Team aus Lenzis erstem Film wieder zusammen kam und den Höhepunkt seiner Karriere einleitete.

Doch bevor es zu seinem fulminanten Einstieg in den Poliziesco kam, widmete er sich auf ganz eigene Art dem „Giallo“, den er um eine erotische Variante erweiterte – „Orgasmo“ (1969), „Cosi dolce…cosi perversa“ (1969), „Paranoia“ (1970) und „Il cotello di ghiaccio“ (1972) - immer mit Carroll Baker in der Hauptrolle, deren erster Film „Baby Doll“ (1956) ihr Image als erotische Versuchung langfristig prägen sollte, waren elegante, optisch versierte Filme, die weniger auf äußere Action als auf hintergründige Spannung setzten. Wenig überraschend, dass diese Filme, an denen mit Jean Sorel, Jean-Louis Trintignant und Lou Castel internationale Stars des europäischen Kinos beteiligt waren, heute ein Schattendasein fristen und bisher keine adäquaten deutschen Veröffentlichungen erfahren haben. Parallel zu diesen Filmen drehte Lenzi mit „La legione dei dannati“ (Die zum Teufel gehen, 1969) schon früh einen Kriegsfilm - der 1967 entstandene "Attentato ai tre grandi" (Fünf gegen Casablanca) verband die Thematik noch stark mit einem Abenteuer-Charakter - ein Genre, dass es in Italien besonders in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zu einiger Popularität brachte, weshalb Lenzi später weitere Kriegsfilme folgen ließ („La grande attacco“ (Die große Offensive, 1978)), die er unter Pseudonym drehte – verständlich, angesichts einer wenig kritischen, vor allem an der Action interessierten Umsetzung.

Bei „La legione dei dannati“ kam es zu einer Begegnung mit dem jungen Dario Argento, der das Drehbuch schrieb. Obwohl sie danach nicht mehr zusammen arbeiteten, zeigen sich Parallelen in ihren Regiearbeiten der frühen 70er Jahre, denn auch Umberto Lenzi stärkte zunehmend den Thriller-Charakter in seinen „Gialli“, weshalb es zu einer eher ungewollten Gemeinsamkeit zwischen ihm und Argento kam – sowohl sein „Sette orchidee macchiate di rosso“ (Das Rätsel des silbernen Halbmonds, 1971), als auch Argentos erster Film „L’uccello dalle piume di cristallo“ (Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe, 1970) wurden der absterbenden Edgar-Wallace-Filmreihe hinzugefügt, da sie mit deutschen Produktionsgeldern entstanden waren. Doch Lenzis weiterer Weg führte ihn vom Giallo direkt zum aufkommenden Polizeifilm. Auch wenn sein erster Versuch „Milano rovente“ (1973) noch etwas halbherzig geriet und im Gangster-Milieu spielte, wurden seine acht zwischen 1974 und 1978 entstandenen Polizieschi zum Herzstück des Genres und spiegelten Aufschwung und Niedergang des Genres wider – mit „La banda del gobbo“ (Die Kröte, 1978) als atmosphärisch stimmigem Abgesang, der keine übertriebene Action und Gewalt mehr nötig hatte.

Umberto Lenzi war kein Genre-Erfinder – selbst der 1972 erschienene „Il paese del sesso selvaggio“ (Mondo Cannibale) bedeutete keine Gründung eines neuen Kannibalismus-Genres, sondern variierte nur die seit den frühen 60ern populären „Mondo“-Filme, die unter dem Deckmäntelchen der Dokumentation über Abstrusitäten berichten konnten - aber er bewies ein Gespür für die Chancen eines neuen Trends, das ihm zu eigenständigen Umsetzungen verhalf. Seine enge Zusammenarbeit mit Darstellern wie Carroll Baker, Tomas Milian, der in sechs seiner Polizieschi mitspielte und in „La banda del gobbo“ seine Dialoge selbst schrieb, oder dem Produzenten Luciano Martino verdeutlicht seine Bereitschaft zur Auseinandersetzung und Entwicklung – wie fast alle erfolgreichen italienischen Regisseure war auch Lenzi ein Teil der eng verzahnten Zusammenarbeit unter den Filmschaffenden. Aber auch er konnte den Niedergang der italienischen Filmindustrie nicht aufhalten, der Ende der 70er Jahre zunehmend Gestalt annahm. Seine Ausflüge ins Komödien - Fach, das seinen Zenit auch schon überschritten hatte, nahm ihm Niemand mehr ab („Scusi, lei è normale?“ (Entschuldigen Sie, sind Sie normal?, 1979)), und seine Konzentration auf den Horror-Film („Mangiati vivi!" (Lebendig gefressen, 1980), der wenig mit Deodatos „Mondo cannibale“ gemein hat) förderte zwar seinen Ruf bei Anhängern des Genres, beschleunigte aber die ungerechtfertigt klischeehafte Beurteilung seines Gesamtwerks.

Umberto Lenzi hat keinen Preis als Regisseur gewonnen und keiner seiner Filme schaffte es auf irgendeine offizielle Bestenliste, aber deshalb sind seine Filme weder „Trash“, noch „Crash“, wie sie gerne – positiv gemeint – von Anhängern bezeichnet werden, sondern spiegeln einen freien, fast anarchischen Umgang mit den Möglichkeiten der 60er und 70er Jahre wider, mit denen er unmittelbar auf Zeitgeist, gesellschaftspolitische Ereignisse, Ängste und Emotionen reagierte, die er mit seiner schnellen, schnörkellosen und besonders in den Polizieschi der damaligen Realität verpflichteten Bildsprache umsetzte – näher dran als er waren nur Wenige.



Umberto Lenzi - seine Filme bis 1980:

1. Abenteuer / Sandalen - Filme:
"Le avventure di Mary Read" (Piratenkapitän Mary, 1961)
"Duello nella sila" (Einer gegen Sieben, 1962)
"Il trionfo di Robin Hood" (Robin Hood - der Löwe von Sherwood, 1962)
"Catarina di Russia" (Katharina von Russland, 1962)
"L'invincibile cavaliere mascherato" (Robin Hood in der Stadt des Todes, 1962)
"Zorro contro Maciste" (Zorro gegen Maciste - Kampf der Unbesiegbaren, 1963)
"Sandokan, la tigre di Monpracem" (Sandokan, 1963)
"Sandok, il Maciste della giungla" (Im Tempel des weißen Elefanten, 1963)
"L'ultimo gladiatore" (Der letzte der Gladiatoren, 1964)
"I pirati della Malesia" (Die schwarzen Piraten von Malaysia, 1964)
"I tre sergente del Bengala" (Die drei Sergeanten von Bengali, 1964)
"La montagna di luce" (1965)

2. Die "Agenten" Phase :
"A 008, operazione sterminio" (Heiße Grüße vom CIA, 1965)
"Superseven chiama Cairo" (Höllenhunde des Secret Service, 1965)
"Le spie amano i fiori" (Die Höllenkatze des Kong-Fu, 1966)
"Un millioni dollari per sette assassini" (Der King hetzt 7 Killer, 1966)
"Kriminal" (1966) - nach einem Fumetti-Comic

3. Kriegsfilme I :
"Attentato ai tre grandi" (Fünf gegen Casablanca, 1967)
"La legione dei dannati" (Die zum Teufel gehen, 1969)

4. Italo-Western:
"Tutto per tutto" (Zwei Aasgeier, 1968)
"Una pistola per cento bare" (Ein Colt für 100 Särge, 1968)

5.Gialli:

5.1. Giallo erotico (mit Carroll Baker):
"Orgasmo" (1969)
"Cosi dolce...cosi perverse" (1969)
"Paranoia" (1970)
"Il coltello di ghiaccio" (1972)

5.2. Gialli:
"Un posto ideale per uccidere" (1971)
"Sette orchidee macchiate di rosso" (Das Rätsel des silbernen Halbmonds, 1972)
"Spasmo" (1974)
"Gatti rossi in un labirinto di vetro" (Labyrinth des Schreckens, 1975)

5.3. Mondo-Film:
"Il paese del sesso selvaggia" (Mondo cannibale, 1972)

6. Poliziesco all'italiana:
"Milano Rovente" (1973)
"Milano odia: la polizia non può sparare" (Der Berserker, 1974)
"L'uomo della strada fa giustizia" (1975)
"Il giustiziere fida città" (Flash Solo, 1975)
"Napoli violenta" (Camorra - ein Bulle räumt auf, 1976)
"Roma a mano armata" (Die Viper, 1976)
"Il trucido e lo sbirro" (Das Schlitzohr und der Bulle, 1976)
"Il cinico, L'infame, il violento" (Die Gewalt bin ich, 1977)
"La banda del gobbo" (Die Kröte, 1978)
"Da Corleone a Brooklyn" (Von Corleone nach Brooklyn, 1979)

7. Kriegsfilme II:
"Il grande attacco" (Die große Offensive, 1978)
"Contro 4 bandiere" (Nur Drei kamen durch, 1979)

8. Horror:
"Mangiati vivi!" (Lebendig gefressen, 1980)
"Incubo sulla città contaminata" (Großangriff der Zombies, 1980)

9. Komödie:
"Scusi, lei è normale?" (Entschuldigen Sie, sind Sie normal?, 1979)