Gian Maria
Volonté starb 1994 in Griechenland, während der Dreharbeiten zu „Der Blick des Odysseus“
unter der Leitung von Theo Angelopoulos. Der Regisseur fand ihn tot in der
Badewanne liegend – er sah aus, als ob er schliefe. Ein Zustand, der nicht
typisch war für einen Schauspieler, der alle Facetten der Emotionen bediente,
der laut, brachial, theatralisch, körperlich, spielerisch und kindisch
auftreten konnte und sich und seine Umgebung immer vollständig forderte. Dass
er mit nur 61 Jahren an einem Herzinfarkt starb, scheint folgerichtig
angesichts einer unaufhaltsamen schauspielerischen Laufbahn, die erst in den
80er Jahre von einer tiefen Depression gestoppt wurde, die Volonté sichtlich schwächte
und frühzeitig altern ließ. Der Mann, der mit seiner fast 1,90 Meter großen
kräftigen Gestalt seine Umgebung auch einschüchtern konnte - wie eine
Schauspielkollegin in einem Interview einmal verriet - war körperlich
gebrochen.
Schon seine
Kindheit geriet in die Mühlen des 2.Weltkriegs und der faschistischen Diktatur
unter Mussolini. 1933 in Mailand geboren, wuchs er in Turin als Sohn eines
überzeugten militanten Faschisten auf. Dieser schloss sich 1944 der „Brigata
nera“ (Schwarzen Brigade) in Chivasso an, einer in der Nähe von Turin gelegenen
Kommune, um kommunistische Partisanen zu jagen, weshalb er nach dem Krieg ins
Gefängnis kam, wo er kurz darauf starb. In Folge davon geriet Volontés Mutter
Carolina Bianchi, die von einer Mailänder Industriellenfamilie abstammte, in
finanzielle Schwierigkeiten, weshalb ihr ältester Sohn Gian Maria mit 14 Jahren
nach Frankreich ging, um dort bei der Apfelernte zu arbeiten und die Familie zu
entlasten. In diese Phase fällt auch seine erste Begegnung mit den Schriften
von Albert Camus und Jean-Paul Sartre, die Volonté entscheidend prägen sollten.
Als er mit
16 Jahren wieder nach Italien zurückkehrte, galt sein Interesse schon dem Theater,
weshalb er sich als Hilfs-Garderobier und im Sekretariat des örtlichen Theaters
verdingte, bevor er 1954 seine Ausbildung zum Schauspieler an der „L’Accademia
Nazionale d’Arte Drammatica“ in Rom begann, wo er bald als großes Talent galt.
Noch während seiner Studienzeit spielte er in „Fedra“, einem 1957 für das
italienische Fernsehen inszenierten Theaterstück, eine wichtige Rolle, die
seine schauspielerische Arbeit für die kommenden Jahre bestimmen sollte. Noch
mehrfach wirkte er in Theaterinszenierungen mit, darunter in der im Fernsehen
als Mini-Serie ausgestrahlten fast 8stündigen Fassung von Dostojewskis „Idiot“
(1959), einem großen Erfolg in Italien, der seine Popularität begründete.
Auffällig wurde dort, so sein damaliger Kollege und spätere Regisseur Giorgio
Albertazzi, dass Volonté zwar ein großer Schauspieler war, aber nicht im
klassischen Sinn – seine Kunst lag in der Improvisation. Dadurch wurde es
intensiv spürbar, wie wahrhaftig und authentisch er seine Rollen anzunehmen in
der Lage war.
1960, bei
einer Theater-Inszenierung von Shakespeares „Romeo und Julia“ in Verona,
begegnete er Carla Gravina, die zu diesem Zeitpunkt schon in einigen Filmen
mitgewirkt hatte, darunter in „Guendalina“ (1957) von Alberto Lattuada und in
Monicellis „I soliti ignoti“ (Diebe haben’s schwer, 1958), mit der er eine
langjährige Liebesbeziehung begann. 1961 wurde ihre gemeinsame Tochter
Giovanna, Volontés einziges Kind, geboren. Parallel begann er seine
Filmkarriere mit einer kleinen Rolle in „Sotto dieci bandieri“ (Unter zehn
Flaggen, 1960), in dem Charles Laughton die Hauptrolle spielte, bevor er 1961
schon in insgesamt vier Filmen mitwirkte. Neben zwei Nebenrollen in den damals
populären Sandalenfilmen, spielte er auch in „La ragazza con la valigia“
(Das Mädchen mit dem leichten Gepäck) von Valerio Zurlini und verkörperte an der Seite
von Nino Manfredi und Mario Adorf in Luigi Comencinis „A cavallo della tigre“
(Vergewaltigt in Ketten) einen Intellektuellen, der aus Eifersucht getötet
hatte. Verstand und Wahnsinn gleichzeitig zu verkörpern, wurde zu einem seiner
Markenzeichen, wie er in den beiden frühen Leone Western „Per un pugno di dollari" (Für eine Handvoll Dollar, 1964) und „Per qualche dollaro in più“
(Für ein paar Dollar mehr, 1965) bewies, mit denen er den Verbrecher-Typus in
den Italo-Western entscheidend prägte. In „Quien sabe?“ (Töte Amigo!, 1967)
unter der Regie von Damiano Damiani und Sergio Sollimas „Faccia a faccia“ (Von
Angesicht zu Angesicht, 1967) variierte er diese Figur noch zwei weitere Male
im Italo-Western.
Neben
diesen Genre-Beiträgen - er spielte auch einen Schwerverbrecher in Lizzanis "Banditi a Milano" (1968), der das Polizieschi-Genre einleitete - blieb Volonté immer auch dem intellektuellen Kino treu.
Die Brüder Paolo und Vittorio Taviani besetzten ihn in ihrem ersten Langfilm „Un
uomo da bruciare“ (Gebrandmarkt, 1962), in seiner ersten Hauptrolle als
Salvatore Carnevale, einem Gewerkschaftsführer der Sozialistischen Partei
Italiens (SPI), der 1955 auf Sizilien von der Mafia ermordet wurde – eine
prototypische Rolle für Gian Maria Volonté, die er mit Vehemenz, aber auch mit
dem Mut zur Stille ausfüllte. Noch mehrfach sollte er politisch kontroverse
Personen der italienischen Zeitgeschichte
- darunter in „Il caso Mattei“ (Der Fall Mattei, 1972) und „Il caso
Moro“ (Die Affäre Aldo Moro, 1986) – verkörpern. Auch für das italienische
Fernsehen arbeitete er in den 60er Jahren noch regelmäßig, darunter in einer
Serie über das Leben von „Michelangelo“ (1964).
Die Rolle
des Salvatore Carnevale, aber auch des Widerstandkämpfers in De Bosios „Il terrorista“ (1963) waren beispielhaft für sein zunehmendes politisches
Engagement. Als es 1965 bei der Aufführung des Theaterstücks „Der
Stellvertreter“ (italienisch „Il vicario“) von Rolf Hochhuth, dass die Passivität
des Pabsts und des Vatikans gegenüber den Judenmorden der Nationalsozialisten thematisiert, in Rom zu
Verboten und Gewalttätigkeiten kam, stellte sich Volonté den Massenprotesten
und kritisierte die Beeinflussung der Polizei durch den Vatikan als einen
Verstoß gegen das Konkordat. Mit „A ciascuno il suo“ (Zwei Särge auf
Bestellung, 1967) begann wenig später seine enge Zusammenarbeit nicht nur mit
Elio Petri, mit dem er insgesamt fünf Filme drehte, sondern mit weiteren
politisch engagierten Regisseuren wie Gianni Puccini ("I sette fratelli Cervi“, 1967),
Francesco Rosi „Uomini contro“ (Bataillon der Verlorenen, 1970), Giuliano
Montaldo („Saccho e Vanzetti“, 1971), Marco Bellocchio „Sbatti il mostro in
prima pagina“ (Tödliche Schlagzeilen, 1972), erneut mit Damiano Damiani in „Io ho paura“ (Ich habe Angst, 1977) und
nicht zuletzt mit Gillo Pontecorvo „Operación Ogro“ (Ogro, 1979).
Mitte der
70er ließ er sich für eine Wahlliste der Kommunistischen Partei (KPI)
aufstellen, in der er schon seit den 60er Jahren Mitglied war, wurde aber nicht
gewählt. Es war eine Phase, in der die KPI einen hohen Zuspruch bei den Wählern
erzielte, weshalb sogar eine Koalition mit der christlichen Partei diskutiert
wurde, um Italien vor einer erneuten Diktatur zu bewahren – ein in beiden
politischen Lagern höchst umstrittener Plan. Es gibt keine Quellen dafür, dass
es in dieser Frage zwischen Elio Petri und Volonté zum Bruch kam, aber nach
ihrem gemeinsamen Film „Todo modo“ (1976), der diese Idee satirisch behandelte
und in dem Volontè Aldo Moro als lächerliche Figur interpretierte, dem
wichtigsten Befürworter auf konservativer Seite, war die seit einem Jahrzehnt
andauernde enge Zusammenarbeit zwischen Petri und Volonté beendet. Als wenig
später Aldo Moro entführt und ermordet wurde, war der „compromesso storico“
(der historische Kompromiss) in Italien nicht mehr möglich.
Die
Parallelen zwischen dem Niedergang der italienischen Filmindustrie und dem
politischen Film, der Mitte der 70er Jahre seinen Zenit überschritten hatte, sind offenkundig. Nach dem Anschlag auf Aldo Moro veränderten sich die
Vorzeichen in Italien eklatant. Die Anti-Terror Gesetze wurden verstärkt und
die Linke verlor, da die „Roten Brigaden“ für den Tod des Politikers verantwortlich
gemacht wurden, insgesamt an Reputation – der Tod Enrico Berlinguers 1984, dem
charismatischen Führer der KPI, beendete diese Hochphase endgültig. Gian Maria
Volonté trotzte dieser Tendenz noch ein wenig und drehte mit „La mort de Mario
Ricci“ (1983) und „Il caso Moro“ (1986) zwei politische Filme, die ihm wichtige
Preise einbrachten. Besonders „Il caso Moro“ nutzte er, um bei seiner zweiten
Verkörperung des Politikers Moro nach „Todo modo“, dessen Charakter eine andere
Richtung zu geben. Die wenigen Filme, die er in dieser Phase drehte, waren ein
beredtes Zeichen für seinen schlechten Gesundheitszustand, und auch wenn er
Ende der 80er Jahre wieder stärker in das Filmgeschäft einstieg, bleibt sein
früher Tod nicht nur ein unersetzlicher Verlust für das Kino generell, sondern
steht am Ende eine langen erfolgreichen Ära des italienischen Films.
Quelle: „Un attore contro: Gian Maria Volonté”
Dokumentarfilm 2005 Gian Maria Volonté - seine Kinofilme:
1. Vom Sandalenfilm zum Italo-Western 1960 - 1965
"Sotto dieci bandieri" (Unter zehn Flaggen, 1960) - Duilio Coletti
"Antinea, l'amante della città sepolta" (Die Herrin von Atlantis, 1961) - Giuseppe Masini
"Ercole alIa conquista di Atlantide" (Herkules erobert Atlantis, 1961) - Vitterio Cottafavi"La ragazza con la valigia" (Das Mädchen mit dem leichten Gepäck, 1961) - Valerio Zurlini
"A cavallo della tigre" (Vergewaltigt in Ketten, 1961) - Luigi Comencini
"Noche de verano" (1962) - Jorge Grau"Un uomo da bruciare" (Gebrandmarkt, 1962) - Paolo und Vittorio Taviani, Valentino Orsini
"Le quattro giornate di Napoli" (Die vier Tage von Neapel, 1962) - Nanni Loy
"Il terrorista" (1963) - Gianfranco De Bosio
"Per un pugno di dollari" (Für eine Handvoll Dollar, 1964) - Sergio Leone
"Il magnifico cornuto" (Der große Hahnrei, 1964) - Antonio Pietrangeli
"Per qualche dollaro in più" (Für ein paar Dollar mehr, 1965) - Sergio Leone2. Vor dem politischen Urknall - Brancaleone bis zum Poliziesco 1966 - 1969
"L'armata Brancaleone" (Die unglaublichen Abenteuer des hochwohllöblichen Ritters Branca Leone, 1966) - Mario Monicelli
"La stagioni di nostro amore" (Jahreszeiten unserer Liebe, 1966) - Florestano Vancini
"Svegliati e uccidi" (Feuertanz, 1966) - Carlo Lizzani
"La strega in amore" (Hexe der Liebe, 1966) - Damiano Damiani
"Het gangstermeisje" (Illusion - ein Gangstermädchen, 1966) - Frans Weisz
"Quien sabe?" (Töte Amigo, 1967) - Damiano Damiani
"A ciascuno il suo" (Zwei Särge auf Bestellung, 1967) - Elio Petri
"Faccia a faccia" (Von Angesicht zu Angesicht, 1967) - Sergio Sollima
"I sette fratelli Cervi" (1967) - Gianni Puccini
"Summit" (1968) - Giorgio Bomtempi
"Banditi a Milano" (1968) - Carlo Lizzani "I sette fratelli Cervi" (1967) - Gianni Puccini
"Summit" (1968) - Giorgio Bomtempi
"L'amante di Gramigna" (1969) - Carlo Lizzani
"Sotto il segno dello scorpione" (Im Zeichen des Skorpions, 1969) - Paolo und Vittorio Taviani
3. Die politische Phase 1970 - 1979
"Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto" (Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger, 1970) - Elio Petri
"Le vent d'est" (Ostwind, 1970) - Groupe Dziga Vertov
"Uomini contro" (Bataillon der Verlorenen, 1970) - Francesco Rosi
"Le cercle rouge" (Vier im roten Kreis, 1970) - Jean-Pierre Melville
"Documenti su Giuseppe Pinelli" (1970) - Elio Petri, Nelo Risi
"Sacco e Vanzetti" (Sacco und Vanzetti, 1971) - Giuliano Montaldo
"La classe oparaia va a paradiso" (Die Arbeiterklasse kommt ins Paradies, 1971) - Elio Petri
"Il caso Mattei" (Der Fall Mattei, 1972) - Francesco Rosi
"L'attentat" (Das Attentat, 1972) - Yves Boisset
"Sbatti il mostro in prima pagina" (Tödliche Schlagzeilen, 1972) - Marco Bellocchio
"Lucky Luciano" (1973) - Francesco Rosi
"Giordano Bruno" (Der Mönch von San Dominico, 1973) - Giuliano Montaldo
"Il sospetto" (1975) - Francesco Maselli
"Actas de Marusia" (1976) - Miguel Littin
"Todo modo" (1976) - Elio Petri
"Io ho paura" (Ich habe Angst, 1977) - Damiano Damiani
"Cristo si è fermato a Eboli" (Christus kam nur bis Eboli, 1979) - Francesco Rosi
4. Spätphase 1980 - 1994
4. Spätphase 1980 - 1994
"Stark system" (1980) - Armenia Balducci
"La storia vera deIla signora dalle camelie" (Die Kameliendame, 1981) - Mauro Bolognini
"La mort de Mario Ricci" (Tod des Mario Ricci, 1983) - Cluade Goretta
"Il caso Moro" (Die Affäre Moro, 1986) - Giuseppe Ferrara
"Cronica di una morte annunciata" (Chronik eines angekündigten Todes, 1987) - Francesco Rosi
"Un ragazzo di Calabria" (1987) - Luigi Comencini
"L'oeuvre au noir" (1988) - Andrè Delvaux
"Pestalozzis Berg" (1989) - Peter von Gunten
"Tre colonne in cronaca" (1990) - Carlo Vanzina
"Porte aperte" (Offene Türen, 1990) - Gianni Amelio
"Una storia semplice" (Eine einfacher Fall, 1991) - Emidio Greco
"Funes, un gran amor" (1993) - Raúl de la Torre
"Tirano Baderas" (1993) - José Luis Garcia Sánchez
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