Mittwoch, 30. Januar 2013

Faccia a faccia (Von Angesicht zu Angesicht) 1967 Sergio Sollima

Inhalt: Professor Fletcher (Gian Maria Volonté), der als Lehrer im Norden der USA lebt und arbeitet, wird auf Grund seiner angeschlagenen Gesundheit gezwungen, in den Süden des Landes überzusiedeln. An dem kühlen Abschied von Elisabeth, die er heimlich liebt, wird sein freudloses, nur den Studien gewidmetes Leben deutlich. Als er Wochen später in Erinnerung daran in einem kleinen Ort, nahe der mexikanischen Grenze, in der Sonne schwitzt, wird er Zeuge, wie einem Strafgefangenen Trinkwasser verweigert wird, um ihn zu quälen. Spontan gibt er ihm zu trinken, was dieser dazu nutzt, die Polizisten zu überwältigen und mit ihm als Geisel zu fliehen.

"Beauregard" (Tomas Milian) Bennet ist ein berüchtigter Bandenchef, der von einem Standort in den Bergen aus die benachbarten Gemeinden überfallen hatte. Auch die anderen Bandenmitglieder wurden getötet, festgenommen oder vertrieben, aber „Beauregard“ will die Übriggebliebenen wieder zusammenbringen. Einen Moment überlegt er, Professor Fletcher zu töten, aber er sieht keinen Sinn darin. Im Gegenteil nimmt er sich des kränklichen Mannes an, der ihm geholfen hatte, und bringt ihm nicht nur das Schießen bei, sondern wie man sonst noch in der Wildnis überlebt. Auch Fletcher besinnt sich wieder auf seine Fähigkeiten und beginnt, Bennets Rolle als Verbrecher in Frage zu stellen…

Sergio Sollimas erster Italo-Western "La resa dei conti" (Der Gehetzte der Sierra Madre, 1966) nutzte die Verfolgung eines des Mordes bezichtigten Mexikaners durch einen vom us-amerikanischen Großkapital eingesetzten Kopfgeldjäger zu einer grundsätzlichen Abhandlung über Machtmissbrauch und Rassismus, blieb aber innerhalb der Genre-typischen Grenzen und stellte zwei Protagonisten in den Mittelpunkt, die sich als Identifikationsfiguren anboten, da sie sich trotz ihrer Verschiedenheit und ihres nicht eindeutigen Charakters moralisch von ihrer Umgebung abhoben. "Faccia a faccia" (Von Angesicht zu Angesicht) schien einen ähnlichen Weg einzuschlagen, stellte auch eine Auseinandersetzung zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern in den Mittelpunkt, verzahnte diese aber mit einer Vielzahl weiterer prototypischer Charaktere, um ein differenziertes Abbild des politischen Klimas seiner Entstehungszeit zu entwerfen, dass das Western-Genre nur als äußeren Rahmen verwendete.

Die Kommune

Zum zentralen Ort des Geschehens wird eine Lebensgemeinschaft inmitten einer Gebirgslandschaft, die sich schon optisch von typischen Ansiedlungen unterscheidet. Leichte, provisorisch wirkende Bauten bilden die Grundlage für ein Leben in der Natur, dass Männer, Frauen und Kinder in Freiheit vereint, jenseits der vorherrschenden Regeln. Sollima lässt diesen Eindruck nur langsam entstehen, ohne sie als Ideal zu betonen. Im Gegenteil wirkt dieser Ort zuerst, als Salomon Bennet, genannt "Beauregard" (Tomas Milian), nach seiner Flucht aus dem Polizeigewahrsam mit einigen Kumpanen wieder dahin zurückkehrt, wie der Stützpunkt einer Gangsterbande.

Als solcher wird er auch von den Bürgern und Gesetzesvertretern der umliegenden Gemeinden angesehen, die die Raubzüge der von "Beauregard" angeführten Männer fürchten. Tatsächlich sind es nur Wenige, die aktiv daran beteiligt sind, um damit die Gemeinschaft mit Nahrung und wichtigen Gütern zu versorgen, während persönliche Bereicherung oder Machtausübung von der Gruppe nicht geduldet werden. Damit verklausulierte Sollima den 1967 zunehmenden Konflikt zwischen einer konservativ geprägten bürgerlichen Gesellschaft und einer Studenten- und Hippie-Bewegung, die bewusst gegen bürgerliche Regeln und Gesetze verstieß, die aus ihrer Sicht nur dem Erhalt bestehender Machtstrukturen dienten. Funktionieren konnte diese Vorgehensweise nur mit einem idealisierten Typus als Leitfigur, dessen Intentionen übergeordneten Zielen galten.

Rebell und Freiheitskämpfer

Die Ähnlichkeit der von Milian verkörperten Figur des humanen Banditen zu "Che Guevara", einem Vorbild der damaligen Jugendbewegung, ist kein Zufall. Wie dieser scheut er sich nicht davor, Gewalt anzuwenden, um seine Ziele zu verfolgen, aber niemals aus egoistischen Beweggründen. Die häufig vertretene These, beide Protagonisten - hier der Bandit "Beauregard" Bennet, dort Professor Fletcher (Gian Maria Volonté) aus dem Norden - entwickelten sich jeweils in gegensätzlicher Richtung - ist nicht korrekt. Zwar wird der instinktiv reagierende Bennet durch den intellektuellen Professor dazu provoziert, seine Methoden in Frage zu stellen, aber damit verfolgte Sollima nur die damals bis heute gültige Diskussion nach der Legitimation der Mittel zur Durchsetzung von Zielen.

An "Beauregard" Bennets menschlichen Qualitäten gibt es hingegen von Beginn an keinen Zweifel, auch wenn er einen Moment in Erwägung zu ziehen scheint, Fletcher zu erschießen, nachdem dieser ihm unfreiwillig zur Flucht verholfen hatte. Die Art wie er sich des einsamen Mannes annimmt, den seine Krankheit dazu gezwungen hatte, den zivilisierten Norden zu verlassen, zeugt von einer zutiefst humanistischen Haltung, die durch seine Offenheit gegenüber dessen Kritik noch gesteigert wird. Sollima geht nicht ins Detail hinsichtlich seiner früheren Verbrechen, aber angesichts seiner Aktionen, die ausschließlich der Befreiung von Kameraden gelten, entsteht der Eindruck eines Mannes, der nur nach den Regeln des bürgerlichen Gesetzbuches als Bandit gilt. An Milians Rolle als Identifikationsfigur besteht entsprechend kein Zweifel, aber Sergio Sollima, der gemeinsam mit seinem häufigen Mitstreiter Sergio Donati das Drehbuch erarbeitete, der auch an Sergio Leones Filmen (unter anderen "C'era una volta il west" (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968)) mitwirkte und Corbuccis "Il bestione" (Die cleveren Zwei, 1974) schrieb, lag nicht an einem Heldenepos, sondern an einer Konfrontation dieses Ideals mit der Realität.

Der Verführte

Im Gegensatz zu dem zumindest in emotionaler Hinsicht verlässlichen "Beauregard" Bennet, ist der von Volonté gespielte Professor die zwiespältigere, für Sollimas Intention entscheidende Figur. Von einer charakterlichen Veränderung zu sprechen wäre auch in seinem Fall falsch, viel mehr zeigen sich die Auswirkungen seines Denkens und Empfindens innerhalb einer veränderten Situation. Im Norden der USA führte er ein von klaren Regeln bestimmtes Leben, dass ihm zwar viel Zeit für seine Studien bot, aber seine Persönlichkeit stark einschränkte. Obwohl der Film nur eine Szene dieses Vorlebens zeigt, wird an seinem gehemmten Abschied von Elizabeth, deren Bild er in einem seiner Bücher verwahrt, deutlich, wie wenig er gewagt hatte, aus den bestehenden Grenzen auszubrechen.

Großartig gelingt es Volonté, den Prozess eines Mannes wiederzugeben, der langsam seine neue Situation begreift. Sein Gefühl geistiger Überlegenheit war immer schon vorhanden, trat aber hinter seiner körperlichen Unzulänglichkeit und dem daraus resultierenden fehlenden Mut zurück. Mit gesteigertem Selbstbewusstsein erlebt Fletcher, wozu er in der Lage ist, aber er kann der Verführung der daraus resultierenden Macht nicht widerstehen. Keine Bösartigkeit wird darin sichtbar, sondern die Tragik eines Mannes, dessen gewachsenen Möglichkeiten nicht mit dem dafür notwendigen Verantwortungsgefühl einhergehen. Die offene, keinen hierarchischen Regeln unterworfene Struktur der Kommune, macht es ihm leicht, diese diktatorisch durch Unterdrückung zu vereinnahmen und für seine Zwecke zu missbrauchen.

Mit dem brutalen, sinnlos Gewalt gegen Wehrlose ausübenden Angriff eines entfesselnden Mob, verfolgte Sergio Sollima mehrere Ziele. Äußerlich wurde dieser gesetzlich legitimierte Massenmord durch einen weit überlegenen Angreifer von der Kritik am us-amerikanischen Engagement in Vietnam beeinflusst, entsprach aber auch der Aggression, mit der damals die Bürgerschicht auf die Hippie-Bewegung reagierte. Gleichzeitig zeigte sich daran die zwingende Notwendigkeit von Solidarität und Homogenität innerhalb der Gruppe, denn erst der Verrat eines früheren Mitglieds der Gemeinschaft, einhergehend mit der Zerstörung ihrer friedlichen Absichten durch Professor Fletcher, ermöglichte den Angriff. Auch der jeder Verführung widerstehende „Beauregard“ kann diese Konsequenzen nicht verhindern, denn sein Instinkt und seine humanen Absichten werden als Naivität entlarvt. Nur einer Figur gelingt es, den Schaden zumindest einzugrenzen und eine gewisse Gerechtigkeit walten zu lassen.

Der Pragmatiker

Der von William Berger gespielte Charley Siringo entspricht äußerlich einem cool auftretenden Pistolero, hinter dem sich aber ein Undercover-Agent der Detektei Pinkerton verbirgt. Die Zwiespältigkeit seines Charakters basiert nicht wie bei Professor Fletcher auf emotionalen Reaktionen, sondern in einem Verhalten, dass jede Situation nach ihrem pragmatischen Nutzen bewertet. So scheut sich Siringo nicht, einen Sheriff kaltblütig zu erschießen, um damit „Beauregards“ Vertrauen zu gewinnen, ihn aber sofort zu verraten, als die Bande einen Banküberfall begehen will, um damit deren gemeinsame Verhaftung zu ermöglichen.

Sein Erschleichen von Vertrauen durch Vortäuschung einer falschen Identität, lässt ihn negativ erscheinen, aber anders als eine Bürgerschicht, deren Handeln von Hass und Besitzdenken bestimmt wird, agiert er ohne persönliche Animositäten auf der Basis des bürgerlichen Gesetzbuches. Siringo ist, allerdings reduzierter und weniger charismatisch angelegt, eine Variation der Rolle Lee van Cleefs als Kopfgeldjäger in „La resa dei conti“ – ein konservativ denkender Pragmatiker, der beginnt, auch andere Kriterien in seinem Weltbild zuzulassen, angesichts des offensichtlichen Unrechts, dass die Menschen begehen, für deren Belange er sich bislang einsetzte. Sein Verhalten ist in „Faccia a faccia“ nicht mehr als ein kleiner Hoffnungsschimmer.

Western oder Politfilm?

Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten, womit die trotz der generell positiven Reaktion fehlende angemessene Anerkennung dieses singulären Werks erklärbar wird. Sergio Sollima selbst erwähnte in einem Interview den Freiraum, den ihm das Western-Genre ermöglichte. Dank der dort archaisch anmutenden Strukturen in der menschlichen Sozialisation, lassen sich deren innere Abläufe an wenigen zugespitzt gestalteten Situationen verdeutlichen, ohne in die Gefahr einer zu großen Nähe zu realen Begebenheiten oder Ideologien der Gegenwart zu geraten, die häufig einen offenen Umgang mit dem Gesehenen verhindern.

„Faccia a faccia“, der trotz seiner komplexen psychologischen Anlage klar strukturiert und jederzeit nachvollziehbar bleibt, ist für einen Western sehr sprachlastig und setzt nur auf wenige typische Actionszenen, die meist einen ernsthaften Hintergrund haben. Für einen Politfilm bleibt der Film dagegen zu verklausuliert, um eine eindeutige gegenwartsbezogene Gesellschaftskritik auszuüben. Doch erst dank dieser untypischen Kombination entfaltet „Faccia a faccia“ seine Faszination, der sich ein Betrachter nur schwer entziehen kann.

"Faccia a faccia" Italien, Spanien 1967, Regie: Sergio Sollima, Drehbuch: Sergio Sollima. Sergio Donati, Darsteller : Gian Maria Volonté, Tomas Milian, William Berger, Aldo Sambrell, Jolanda Modio, Laufzeit : 107 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Sergio Sollima:

1 Kommentar:

  1. Ein interessanter, aber auch sehr sperriger Film. Die vielfältigen politischen Implikationen, die du erwähnst, habe ich weit weniger wahrgenommen als die (nennen wir sie mal) anthropologischen Aussagen: hier wird ein sehr pessimistisches, düsteres, zugleich aber auch subtiles Bild des Typus „Intellektueller“ gezeichnet... Die allmähliche Verwandlung von einem liberalen, gewaltscheuen, unkörperlichen bzw. körperlich schwächlichen Intellektuellen zu einem äußerst brutalen und diktatorischen Mann, der nicht nur Gewalt anordnet, sondern selbst zu unmittelbarer, körperlicher und selbstzweckhafter Gewalt neigt. Und dies jenseits politischer Motivationen oder irgendwelcher „Zwecke“. Heisst: im Grunde hätte er sich unter ähnlichen Bedingungen wahrscheinlich auf der gegnerischen Seite genau so entwickelt.


    Vielleicht SPOILER-Gefahr


    Versucht Professor Fletcher, die junge Dame in dem roten Hemd zu vergewaltigen? Relativ am Anfang seiner sich entwickelnden Selbstermächtigung? War das nicht sogar seine Initiation in die Welt der Gewalt? Oder verwechsle ich das mit einem anderen Film?


    SPOILER-Gefahr zu Ende.


    Der Text macht auf jeden Fall Lust auf eine sehr viel aufmerksamere Neusichtung. Er hatte mich damals (2010) nicht wirklich überzeugt, dabei aber mit dem Gefühl hinterlassen, es mit einem gebührenden Abstand noch einmal zu versuchen...

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