Inhalt: Ein
amerikanischer Straßenkreuzer fährt entlang einer verlassenen Strandpromenade
eines französischen Küstenortes, während Wind und Regen vom Meer landeinwärts
peitschen. Aus dem Wagen, der in der Nähe einer Bankfiliale anhält, steigen
trotz des unwirtlichen Wetters drei Männer, die kurz hintereinander die Bank betreten.
Auf ein verabredetes Zeichen hin maskieren sie sich und bedrohen Angestellte
und Kunden mit ihren Waffen. Trotz der exakten Ausführung des Überfalls, kommt
es zu einem unvorhergesehenen Ereignis, als einer der Angestellten den Helden
spielt und einen der Bankräuber schwer verletzt, selbst dabei aber getötet wird.
Mit dem
Verletzten verlassen die Männer die Bank, entkommen der Polizei dank ihres
eingehaltenen Zeitplans und gelangen unentdeckt wieder nach Paris. Dort gehen
Simon (Richard Crenna), Nachtclubbesitzer und Kopf der Gruppe, Paul Weber
(Riccardo Cucciolla) und Louis Costa (Michael Conrad) erst einmal getrennte
Wege, nachdem sie den Verletzten in ein Krankenhaus gebracht hatten. Doch wenig
später organisieren sie gemeinsam mit Simons Freundin Cathy (Catherine Deneuve)
den Mord an ihrem Kollegen, damit dieser nicht mehr in der
Lage ist, gegen sie auszusagen. Besonders Kommissar Edouard Coleman (Alain
Delon), der selbst mit Cathy ein Verhältnis hat, hat Simon schon lange in Verdacht…
Das es sich
bei "Un flic" (Der Chef) um Jean-Pierre Melvilles letzten Film
handelt, ist seinem frühen Tod mit 55 Jahren geschuldet. Trotzdem wirkt der
dritte mit Alain Delon in der Hauptrolle gedrehte Gangsterfilm schon wie sein
Abgesang - ein Werk, das scheinbar nicht mehr die Qualität von "Le samouraï" (Der eiskalte Engel, 1967) oder "Le cercle rouge"
(Vier im roten Kreis, 1970) erreichte.
Zudem
wiederholt sich eine Vielzahl von Elementen, die prägend für seine späten
Kriminalfilme wurden. Der Zusammenschluss einzelner Männer zu einer Gang, deren
professionell geplanter, in Echtzeit ablaufender Raubüberfall und der ihnen
hartnäckig folgende, intelligent vorgehende Kommissar waren schon Bestandteil
von "Le deuxième souffle" (Der zweite Atem, 1966), wurde in "Le samouraï" mit einem Einzelgänger variiert, bevor es in "Le cercle
rouge" zur Auseinandersetzung zwischen drei Männern und einem Polizisten
kam, die sich in ihrer Einsamkeit und Perspektivlosigkeit sehr ähnlich waren.
Begleitet wurden diese Szenarien von klar komponierten, graphischen Bildern,
ruhigen Handlungsabläufen und sparsamen Dialogen, die sich auf das Wesentliche
beschränkten.
Die
Auflistung dieser Charakteristika an Hand seiner späten Filme - zu denen noch
"L'armée des ombres" (Armee der Schatten, 1969) gehört, der sich zwar
dem französischen Widerstand während des 2.Weltkriegs widmete, dabei aber
ähnliche Mechanismen anwendete - vermittelt in der oberflächlichen
Zusammenfassung eine inhaltliche Homogenität, die Melvilles Filme nicht haben.
Trotz der stilistischen Verwandtschaft entwickelte Melville bei jedem Film eine
individuelle Intention, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führte. Das gilt
besonders für "Un flic", der eine thematische Umkehr zu seinem Vorgängerfilm
"Le cercle rouge" bedeutete und kaum noch Ähnlichkeiten mit Melvilles
früheren Filmen aufweist.
Der Beginn
ist äußerlich noch typisch. Mit einem perspektivisch weiten Blickwinkel erfasst
die Kamera den amerikanischen Straßenkreuzer - für den USA - Fan Melville ein
klassisches Element - der entlang einer einsamen Strandpromenade fährt, über
die starker Wind und Regen fegt. Das Fahrzeug hält in der Nähe einer Bank, die
sich in einem Gebäude der ausgestorben wirkenden Gegend befindet. Drei seriös
gekleidete Männer steigen aus und betreten die Filiale, während der Fahrer
freien Blick auf die weitläufigen, leeren Straßen hat. Der Raub verläuft nach
Plan, außer das ein Angestellter noch den Helden spielt und einen der
Bankräuber bei einem Schusswechsel verletzt. Unabhängig davon, gelingt die
Flucht wie geplant und die vier Männer erreichen Paris unbehelligt mit der
Beute.
Wie gewohnt
schildert Melville die Abläufe detailliert in Echtzeit, aber er verzichtet
erstmals auf eine Vorgeschichte. Die genaue Planung, die sehr viel über die beteiligten
Charaktere ausgesagt hätte, entfällt, was zur Konsequenz hat, das das
angeschossene Bandenmitglied anonym bleibt. Da sein Zustand lebensgefährlich
ist, wird er von den Kameraden in ein Krankenhaus gebracht. Seine Ermordung, um
bei dem Bewusstlosen eine spätere Aussage zu verhindern, wird von den drei anderen
Bandenmitgliedern Simon (Richard Crenna), Louis Costa (Michael Conrad) und Paul
Weber (Riccardo Cucciolla) mit Hilfe von Cathy (Catherine Deneuve) ausgeführt,
die als verkleidete Krankenschwester einen Herzinfarkt auslöst. So nüchtern und
in der Sache konsequent diese Aktion von Melville gezeigt wird, bricht er damit
die Regeln, die in seinen früheren Filmen noch galten.
Die Protagonisten
seiner Filme konnten demoralisiert und ohne Zukunftsaussicht sein, doch galten
für sie noch immer die Regeln der persönlichen Ehre. Diese auch unter Einsatz
des eigenen Lebens zu verteidigen, besonders innerhalb des Kreises ihrer
Kameraden, blieb in Melvilles Kriminalfilmen immer die wichtigste Motivation.
Selbst der Profi-Killer Jef Costello in "Le samouraï",
fälschlicherweise als „Der eiskalte Engel“ im deutschen Filmtitel bezeichnet,
handelte nach dieser Maxime. Während Melvilles Sympathien in seinen früheren
Filmen den Kriminellen galten, deren Charaktere er vielschichtig ausarbeitete,
verliert die Bande um Simon schon zu Beginn ihre Unschuld. Das diese Gewichtung
nicht unmittelbar auffällt, liegt an der Rolle Alain Delons als Kommissar
Edouard Coleman, die in ihrem kompromisslosen Ehrgeiz weder Ähnlichkeiten zu
seinen früheren Rollen unter Melville, noch zu den bisherigen Polizisten
aufweist, die mit psychologischen Methoden Zeugen und Verfolgte zu überführen
versuchten.
Auffällig
bleibt in „Un flic“, das sich Melville, anders als in seinen bisherigen Filmen,
nicht um die Vertiefung der Charaktere kümmert. Außer über den bürgerlichen
Paul Weber, der seiner Frau nichts von seiner kriminellen Karriere erzählt,
sondern vorgaukelt, sich weiterhin um einen neuen Job zu bewerben –
offensichtlich ein aussichtsloses Unterfangen für den über 50jährigen – erfährt
der Betrachter keine Hintergründe oder Motive. Doch Weber bleibt eine
Randfigur, während das Dreiecksverhältnis zwischen dem Meisterdieb Simon, dem
Kommissar und der schönen Cathy eine Konstruktion bleibt, die Melville nicht
mit Leben erfüllt. Offensichtlich variiert Melville in „Un flic“ seinen eigenen
Stil, indem er Typen in den Mittelpunkt stellt, die in ihrer Optik und im
Gestus seinen früheren Protagonisten ähneln, deren Handeln er aber von
menschlichen Gefühlen endgültig befreit hat.
Das Bild
von Kommissar Coleman bleibt in Erinnerung, wenn er teilnahmslos in seinem Auto
herumfährt, darauf wartend, das ein Telefonanruf ihn zum nächsten Tatort
beordert. Ein Privatleben existiert nicht mehr und die Aufklärung eines
Verbrechens wird zum einzigen Lebensinhalt. Ähnliches lässt sich auch über
seinen Gegenspieler und Nachtclub-Besitzer Simon sagen, dessen Intention,
geniale Verbrechen zu begehen – wie der Raub von einem Hubschrauber aus – nur
in der Aktion selbst zu liegen scheint. Von einer Freundschaft zwischen den
Männern zu sprechen oder von deren Liebe zu Cathy, die sich als kaltblütige
Mörderin erwiesen hatte und auch im Umgang mit ihren Liebhabern emotionslos
bleibt, wäre ein Versuch, Gefühle in Melvilles Film zu transportieren, die
nicht vorhanden sind.
Deutlich
wird das auch an der Gesamtanlage des Films, der trotz zweier detailliert
gezeigter Verbrechen nicht über die epische Breite seiner früheren Filme
verfügt. Den Interaktionen und Gesprächen zwischen den Protagonisten wird nur
wenig Raum gegeben, längere Dialoge finden nicht statt. Wie sehr Melville jede
Emotion reduziert, wird daran erkennbar, das er das Polizeiverhör von Louis
Costa gar nicht erst zeigt. Der Versuch der Polizei, Kriminelle zum Sprechen zu
bringen, war immer ein wesentlicher Bestandteil seiner Filme, signifikant für
den Charakter beider Seiten. Hier wird nur das Ergebnis gezeigt, gibt der Film
Costa keine Chance zur Relativierung. Auch die Interpretation, durch Delons
Wechsel auf die Polizeiseite, hätte Melville die Ähnlichkeit beider Seiten
betonen wollen, greift zu kurz, denn die von Delon zuvor gespielten kriminellen
Charaktere blieben trotz ihrer Coolness immer emotional nachvollziehbar.
"Un flic" Frankreich / Italien 1972, Regie: Jean-Pierre Melville, Drehbuch: Jean-Pierre Melville, Darsteller : Alain Delon, Richard Crenna, Catherine Deneuve, Riccardo Cucciolla, Michael Conrad, Laufzeit : 99 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Jean-Pierre Melville:
"Le samourai" (1967)
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