Donnerstag, 21. Juni 2012

Divorzio all'italiana (Scheidung auf Italienisch) 1961 Pietro Germi


Inhalt: Baron Ferdinando Celafù (Marcello Mastroianni) ist seiner Ehefrau Rosalia (Daniela Rocca) schon lange überdrüssig und sehr verliebt in seine 16jährige Nichte Angela (Stefania Sandrelli), die er heimlich beobachtet. Als er erfährt, das auch Angela ihn liebt, überlegt er wie er seine Frau los werden kann, die er in seinen Träumen schon mehrfach ermordete.

Sich scheiden zu lassen ist im katholischen Italien verboten, aber als er von einem Justizprozess erfährt, indem die betrogene Ehefrau nur 8 Jahre Gefängnis bekam, weil sie durch den Mord an ihrem treulosen Mann ihre Ehre wieder hergestellt hatte, beginnt ein Plan in ihm zu reifen. Er muss einen Liebhaber für seine Frau finden...

"Divorzia all'italiana" (Scheidung auf italienisch) entstand in einer Hochphase der italienischen Komödie, die ihren Humor aus den als typisch geltenden Charaktereigenschaften ihrer Landsleute schöpfte, die mit Lust, Improvisation und so absurd wie anziehend wirkender Emotionalität ihren Alltag und ihr Liebesleben meisterten. Protagonistin dieser Phase war besonders Sophia Loren, die als emotionale Südeuropäerin zuerst ein paar folkloristisch angehauchte Freiheiten ausleben durfte, bevor die Moral selbstverständlich wieder siegte.

In "Peccato che sia una canaglia" (Schade, das du eine Kanaille bist, 1955), "La fortuna di essere donna" (Das Glück eine Frau zu sein, 1956), "Houseboat" (Das Hausboot, 1958), "It started in Naples" (Es begann in Neapel, 1960), "La riffa" (Episode aus "Boccaccio '70", 1962), "Ieri, oggi e domani" (Gestern, heute und morgen, 1963) bis zu "Matrimonia all'italiana" (Hochzeit auf italienisch, 1964) durfte sie das Temperamentbündel geben, das in der damaligen Zeit als Frau etwas über die Strenge schlagen konnte, dabei aber immer das Herz am richtigen Fleck hatte. Entstanden waren diese Komödien, die oft vor einem realistisch anmutenden, kurzfristig ins Dramatische abdriftenden Hintergrund inszeniert wurden, aus der Tradition des Neorealismus. Die Episode "Pizze a credito" aus "L'oro di Napoli" (Das Gold von Neapel, 1954), ebenfalls unter der Regie von Vittorio De Sica entstanden, offenbarte als frühes Beispiel für Lorens Rollentypus noch sehr gut den Egoismus hinter der Emotionalität, bevor dessen moralische Zwiespältigkeit zunehmend entfiel und damit der gesellschaftskritische Aspekt.

Auch Regisseur Pietro Germi entstammte der neorealistischen Tradition ("In nome della legge" (Im Namen des Gesetzes, 1949)) und hatte in dem frühen Episodenfilm "Amori di mezzo secolo" (1954) mit Regisseuren und Drehbuchautoren wie Roberto Rossellini, Antonio Pietrangeli und Ettore Scola zusammen gearbeitet, aber sein "Divorzio all'italiana" hatte mit den zeitgleich entstandenen, oben genannten Komödien nur wenig gemeinsam, sondern entwickelte unter dem Deckmantel eines turbulenten Geschehens seine Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen und speziell der vorherrschenden Doppelmoral in Italien. Zugleich wurde er Namensgeber für die "Comedia all'italiana", eine Bezeichnung, unter der Filme wie "I soliti ignoti" (Diebe haben's schwer, 1958), "Il sorpasso" (Verliebt in scharfe Kurven, 1962), "I mostri" (Die Monster, 1963) oder "Io la conoscevo bene" (Ich habe sie gut gekannt 1965) zusammen gefasst wurden, die sich nicht auf die folkloristischen Aspekte der italienischen Lebensart beschränkten, sondern unter der komödiantischen Oberfläche beißende Kritik übten.

Trotzdem ist gerade "Divorzio all'italiana" ein Beispiel dafür, wie sehr die Unterschiede zwischen der "Comedia all'italiana" und den oberflächlichen Lustspielen dieser Zeit zunehmend im Auge des Publikums verblassten. Gut auch an den verliehenen Filmpreisen zu erkennen - "Divorzio all'italiana" erhielt 1963 den Oscar für das beste Originaldrehbuch, der im Kern deutlich harmlosere, moralisch geglättete "Ieri, oggi e domani" (Gestern, heute und morgen, 1963) 1965 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Ein Grund für die fehlende Differenzierung liegt auch in der Besetzung der Hauptrolle des neapolitanischen Adligen Ferdinando Cefalù mit Marcello Mastroianni, der in vielen Komödien unterschiedlicher Coleur mitwirkte und häufig als Partner von Sophia Loren auftrat.

Gleichzeitig zeigt sich darin ein geschickter Schachzug Germis, denn nur ein Sympathieträger wie Mastroianni, in dessen Emotionen immer auch jungenhafte Begeisterung mitschwangen, lässt vergessen, das es sich bei Ferdinando Cefalù, um einen Mann handelt, der gewissenlos und langfristig den Mord an seiner Frau plant, um eine neue Beziehung mit seiner erst 16jährigen Nichte einzugehen. Der Film entwickelt eine Zwangssituation, die nur noch den Mord an der Ehefrau als einzig möglichen Ausweg erscheinen lässt. Äußerlich handelt es sich dabei um eine Kritik an den italienischen Gesetzen, die erst 1970 die Scheidung eines Ehepaares erlaubten, aber Germis Film geht in seiner Sezierung der gesellschaftlichen Moral viel weiter darüber hinaus. Auch in „Il sorpasso“ gibt es Anspielungen auf das Scheidungsgesetz im katholisch geprägten Italien, aber „Divorzio all’italiana“ spielte darüber hinaus mit gesellschaftlichen Klischees, die ihre Wirkung bis heute nicht verloren haben.

Betrachtet man die beiden Protagonisten einmal objektiv – ihn, den Baron, Spross einer verarmten Adelsfamilie, die das ehemals herrschaftliche Gebäude nur noch in einem kleinen Flügel bewohnt, und sie, seine mit ihm seit 15 Jahren verheiratete Frau Rosalia (Daniela Rocca) – dann ist er der unsympathischere von Beiden. Äußerlich einem eitlen, auf den Resten des Familienerbes lebenden Bonvivants entsprechend, beobachtet er vom Bad aus seine minderjährige Nichte Angela (Stefania Sandrelli), das Objekt seiner Begierde, während seine Ehefrau versucht, mit ihm Zärtlichkeiten auszutauschen, nachdem er nur widerwillig zu Bett ging. Angesichts seines abweisenden Verhaltens, ist ihre spätere Reaktion, sich wieder ihrer Jugendliebe zu nähern, verzeihlicher, als die heimliche Affäre, die er zuvor mit Angela beginnt und die ihn zur Umsetzung seiner Pläne motiviert.

Doch „Divorzio all’italiana“ gibt die Handlung aus der subjektiven Sicht Ferdinandos wider. Es ist die Geschichte eines verzweifelten Mannes, der abgöttisch in die sehr hübsche Angela verliebt ist, die seine Gefühle nicht weniger enthusiastisch erwidert, während er von einer penetrant Liebe fordernden Ehefrau mit Damenbart belästigt wird. Der Film nimmt vollständig seine unreflektierte Haltung ein, die keinen Moment in Erinnerung ruft, warum er seine Frau geheiratet hatte und ob er sie einmal liebte, sondern kreist nur um seine Mordfantasien, die sich in dem Moment konkretisieren, als er erfährt, das auch Angela mit ihm zusammen sein will. Eine Scheidung war nicht möglich und eine Affäre hätte Schande über ihre Familie gebracht – es gab nur einen Ausweg und wer hätte sich diesem schönen Paar widersetzen wollen?

Trotzdem – Mord ist Mord und wird auch in Italien hart bestraft, weshalb Ferdinando Gesetzestexte prüft, um die mögliche Gefängnisstrafe einschätzen zu können. Dabei stößt er auf einen Gerichtsfall, bei dem ein bekannter Rechtsanwalt (Pietro Tordi) eine Frau verteidigt, die ihren treulosen Ehemann erschossen hatte. Was dieser in seinem Plädoyer bietet, ist reinstes Theater, indem er eine Situation herauf beschwört, in der die mehrfache Mutter gar nicht anders handeln konnte, um ihre Ehre wieder zu erlangen. Ab diesem Zeitpunkt hört Ferdinando schon im Geiste das Plädoyer zu seiner eigenen Verteidigung, womit er das Volk und damit die Richter auf seiner Seite hat, obwohl die Verlogenheit dieser Worte aus allen Poren trieft. Entscheidend für seine Position ist, dass seine Ehefrau Rosalie keine Lobby hat – weder konkret in dem kleinen sizilianischen Ort, noch beim Betrachter des Films.

Während Ferdinando umgeben ist von seinen Eltern, seiner Schwester und den Männern seiner Heimatstadt, und mit seinen geistreichen Ausführungen sehr zum Unterhaltungswert des Films beiträgt, verfügt Rosalie über keine Unterstützung. Bei dem Versuch, für sie einen Liebhaber zu finden, um sie dann erschießen zu können, stößt er auf Schwierigkeiten, bis ihr früherer Jugendfreund Carmelo (Leopolde Trieste), den Ferdinando zuerst als Penner abschätzig behandelt, als Restaurator der Kirche in den Ort zurückkommt. Bei diesem handelt es sich um einen Künstler, womit Germi dessen gesellschaftlichen Status noch weiter reduziert. Obwohl ihre Gefühle viel authentischer sind und Beide sich mit ihrem schlechten Gewissen herumplagen, wirkt das schwärmerische, leicht linkische Paar Rosalie/Carmelo auch aus heutiger Sicht wesentlich uncooler als Ferdinando und die schöne, junge Angela.

Nachdem sich seine Frau mit Carmelo während der Premiere von Fellinis „La dolce vita“ (Das süße Leben, 1960), bei der das gesamte Volk sensationsgierig im Kino verweilte, aus dem Staub machte, braucht Ferdinando nur noch die Mechanismen des Volksempfindens für sich arbeiten zu lassen. Germi spielte damit auf die unreflektierte Reaktion des Publikums auf Fellinis avantgardistische Filme an. Ohne zu begreifen, dass darin ihre eigene Haltung kritisiert wird, strömen sie hinein, um sich am sexuell liberalen Gestus der Filme zu delektieren, bevor sie danach das Urteil über die treulose Rosalie sprechen. Beinahe könnte man vergessen, das Ferdinando, der sich nach außen hin leidend gibt, die gesamte Situation arrangiert hat, so sehr wird er von seiner gesamten Umgebung dazu genötigt, mit der Waffe für die Wiederherstellung nicht nur seiner Ehre, sondern auch seiner Familie, ja des gesamten Ortes zu sorgen. Germi zeigt den Mord, den Ferdinando erst ausführt, nachdem Carmelo schon von seiner Ehefrau erschossen wurde, nicht im Bild, um gar nicht erst den Eindruck von Grausamkeit entstehen zu lassen, während die beiden Treulosen zuletzt dabei gezeigt werden, wie er sie vor dem Meereshintergrund malt.

Selbst in dem Wissen, das es sich dabei um einen kaltblütigen Mord handelt, der nicht nur mit den drei Jahren bestraft werden dürfte, die Ferdinando schließlich bekommt, und auch wenn man dessen egoistischen, sich nicht in Frage stellenden Charakter durchschaut, kann man sich der Wirkung des Films nicht entziehen und damit dem Verdacht, als Teil der Einwohner der sizilianischen Kleinstadt oder im Zuschauerraum des Gerichts nicht ähnlich geurteilt zu haben. Erst im letzten Bild lässt Germi den Betrachter wieder die Realität erkennen, aber dann ist es zu spät, denn „Divorzia all’italiana“ hat längst sein verführerisches Gift ausgeströmt – in einer amoralischen Konsequenz, die diesen sehr unterhaltsamen, witzigen Film von typischen Komödien seiner Zeit unterscheidet. Germi macht zudem deutlich, das es nicht die Gesetze sind, die das Handeln der Menschen beeinflussen, sondern deren Denkweise, die diese Gesetze erst ermöglichen. 

"Divorzio all'italiana" Italien 1961, Regie: Pietro Germi, Drehbuch: Pietro Germi, Ennio De Concini, Alfredo Gianetti, Darsteller : Marcello Mastroianni, Stefania Sandrelli, Daniela Rocca, Leopoldo Trieste, Odoardo Spadaro, Lando Buzzanca, Laufzeit : 105 Minuten

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