Währenddessen geschieht auf einer Baustelle in einem alten Stadtteil Neapels ein schreckliches Unglück. Ein Wohnhaus, dass neben einer von Nottolas Baustellen steht, stürzt auf Grund der Erschütterungen ein. Zwei Menschen sterben, ein Junge überlebt schwerverletzt. Der kommunistische Stadtabgeordnete De Vita (Carlo Fermariello) klagt die ungenügenden Sicherheitsmassnahmen an und erreicht, dass ein Untersuchungsausschuss, gebildet aus allen Parteien, den Vorgängen nachgeht. Nottolas Situation scheint sich zu verschlechtern und auch sein Parteifreund, Bürgermeister Maglione, verlangt von ihm, dessen eigene Kandidatur bei den kommenden Stadtparlamentswahlen zurückzuziehen, um die Chancen der Partei nicht zu gefährden...
„Hände über der Stadt“ entwickelt seinen Plot sprunghaft, begleitet von einem akustischen Rhythmus:
Wortreich erklärt der Bauunternehmer Edoardo Nottola (Rod Steiger) den Politikern seine Pläne für die Erweiterung der Stadt mit modernen Wohnhäusern. Ebenso sprachintensiv feiern die Politiker mit salbungsvollen Reden den Beschluss des Flächennutzungsplanes am Rande Neapels, der Nottolas Pläne erst ermöglichen wird. In Anwesenheit einer großen Gruppe von Würdenträgern erfolgt daraufhin die Grundsteinlegung.
Stumm, nur begleitet von einer dramatischen Musik, die den Charakter eines Kriminalfilms annimmt, filmt Rosi minutenlang aus der Vogelperspektive die Stadt Neapel mit ihren alten und neuen Stadtteilen und vermittelt dabei einen genauen Eindruck von der hohen Bebauungsdichte.
Nur die Straßengeräusche einfangend, verbleibt die Kamera auf einer Baustelle inmitten eines alten, heruntergekommenen Stadtteils. Unter großem Lärm werden mit schwerem Gerät neue Fundamente gebohrt. Durch die Erschütterungen fällt ein angrenzender Wohnbau in sich zusammen. Die Menschen fliehen entsetzt, um wieder helfend zu dem Schuttberg zurückzukommen. Polizei und Feuerwehr befinden sich schnell vor Ort und beginnen die Verschütteten auszugraben und die Überlebenden zu evakuieren, darunter auch ein bewusstloser Junge. Man hört nur Schreie, Motorlärm und die Sirenen der Einsatzfahrzeuge. Einen Moment unterbricht der Film diese Geräuschkulisse, als - für die Allgemeinheit unbemerkt - Nottola seinen Sohn, den verantwortlichen Bauleiter, von der Baustelle fortbringt. Wieder erklingt kurz die an Kriminalfilme erinnernde Musik.
Wortreich streitet das Stadtparlament über diese Vorkommnisse. Edoardo Nottola wird die Schuld an dem Unglück gegeben und der konservativen Partei, die den Bürgermeister Maglione (Guido Alberti) stellt, und deren Parteifreund Nottola ist, wird Bestechlichkeit vorgeworfen. Dem redegewandten Abgeordneten der kommunistischen Partei, De Vita (Carlo Fermariello) gelingt es, einen Untersuchungsausschuss durchzusetzen, der die Verantwortlichen für das Unglück, bei dem zwei Menschen starben und der Junge seine Beine verlor, herausfinden soll.
Erst als der Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufnimmt, wird die Handlung und damit auch die Akustik stringenter, aber die Diskrepanz zwischen den ständigen Diskussionen, Reden und Zusammenkünften der Politiker und der völligen Wortlosigkeit der Bevölkerung bleibt signifikant für den Film und wird von Francesco Rosi konsequent durchgehalten. "Le mani sulla città" endet mit den eingeblendeten Sätzen, dass nichts erfunden wurde und alle geschilderten Abläufe real sind, aber trotz des betont dokumentarischen Charakters, der vor allem bei den Sitzungen des Stadtparlaments von beißender Realität ist, wird in jedem Moment Rosis persönliche Handschrift deutlich. Und damit sein Wille, die äußerliche Handlung von jeder emotionalen Ebene und jedem persönlichen Schicksal zu entschlacken, um sie an jedem Ort als generell vorstellbar zu entwerfen.
Vorstellbar ist dafür - betrachtet man Rosis Umsetzung genau - ein zu schwaches Wort, denn die Art, wie sich der Film entwickelt, ist von ihm so zwingend angelegt, dass sich Widerspruch geradezu verbietet. Rosi zeigt hier – beispielhaft an Hand von Bauspekulationen in Neapel - Abläufe, die in ihrer inneren Logik, dem Verhalten der handelnden Personen und seinen sich daraus ergebenden Konsequenzen signifikant für unser Demokratieverständnis sind. Ganz bewusst verknüpft er das Geschehen mit einer Wahl zum Stadtparlament, die sogar zu einem Machtwechsel führen könnte, um damit das Funktionieren der demokratischen Regeln zu unterstreichen. Er betont damit, dass das, was hier geschieht, nicht auf nach dem Gesetz strafbare kriminelle Machenschaften zurückzuführen ist, sondern im Rahmen des Rechtsstaates geschieht.
Zuerst erscheint der Auslöser der Handlung - der Einsturz des Wohnhauses, in dessen Folge zwei Menschen sterben – widersprüchlich, weil damit normalerweise das genaue Gegenteil erreicht wird - eine emotionale Bindung an die Opfer und die Schuldzuweisung an einen Einzeltäter, hier in der Figur des Baulöwen Nottola. Doch stattdessen nutzt Rosi dieses typische Story-Element, mit dem normalerweise begründet wird, warum Missstände ohne die Schuld der Allgemeinheit entstehen, um seinen generellen Standpunkt zu untermauern. Nicht nur dem Dokumentarstil, in dem das Unglück zwar detailliert, aber ohne Dramatisierung gezeigt wird, sondern vor allem Rod Steigers Leistung ist es zu verdanken, dass sich die generellen Abläufe über ihr beispielhaftes Objekt erheben.
In einer zentral gelegenen Szene wird das besonders deutlich – der Bürgermeister Maglione hatte Nottola aufgesucht, um ihn aufzufordern, seine Kandidatur für das Stadtparlament wieder zurückzuziehen. Die Ereignisse um das Unglück auf der Baustelle gefährdeten die Wahlchancen ihrer Partei, auch wenn der Untersuchungsausschuss bisher keine Unregelmäßigkeiten feststellen konnte. Nach einer gewonnenen Wahl wäre es kein Problem, die gemeinsam begonnenen Projekte weiter zu führen. Nachdem Nottola dieses Ansinnen abgelehnt hatte, verlässt ihn der Bürgermeister mit der Drohung, sollte die Partei ihre Mehrheit verlieren, werde er ihm jede weitere Unterstützung versagen. Es handelt sich um den kritischsten Moment in der Situation dieses Tatmenschen, den er scheinbar nicht mehr selbst beeinflussen kann. Die Kamera verbleibt auf Rod Steiger, der fast regungslos sitzen bleibt. Äußerlich geschieht nichts, aber Steigers Gedanken sind mit Händen zu greifen. Es ist der intimste Moment des gesamten Films, der eine Nähe aufbaut, die ein einseitiges Urteil über den Menschen Nottola verhindert.
Steiger spielt diese Figur ansonsten in der ihm eigenen körperbetonten Art, die keinen Zweifel an Autorität und Durchsetzungswillen zulässt. Dabei spart er keineswegs mit kritischen Bemerkungen, wenn er angesichts des Gebäudeeinsturzes erwähnt, dass man sich damit den Abbruch hätte sparen können. Seine zynische und vor allem am wirtschaftlichen Gewinn orientierte Art führt dazu, dass er unmittelbar auf der Baustelle von De Vita mit Argumenten angegriffen wird, die ihm Bestechung und Vorteilsnahme ohne Rücksicht auf Menschenleben vorwerfen. De Vita musste inzwischen feststellen, dass die gesetzlichen Auflagen alle erfüllt wurden, aber die Tatsache, dass Nottola die Baugenehmigung in drei Tagen erhielt, obwohl das normalerweise mindestens ein halbes Jahr dauert, verdeutlichte die offensichtliche Zusammenarbeit mit einflussreichen Kreisen. Anstatt De Vita mit gleicher Münze zurückzuzahlen, führt er ihn in einen von ihm gefertigten Neubau und zeigt ihm die modernen Sanitärzellen, Küche und sauberen Räume. Er vergleicht diese Wohnungen mit den unzumutbaren Verhältnissen, in denen eine Vielzahl Neapolitaner hausen. Auch De Vita kann sich dieser Argumentation nicht entziehen und beendet das Gespräch mit den hilflosen Worten „Ich habe gar nichts gegen ihre Pläne, sondern ich kritisiere nur die Art der Umsetzung!"
In „Le mani sulla città“ gibt es keine Mafia und keine Verbrecher, sondern nur Personen, die entsprechend ihrer Funktion handeln. Ohne einen Machtmenschen wie Nottola hätte kaum Jemand die Energie, die aufwändigen Projekte zu planen und umzusetzen. Die Bevölkerung, die nie das Wort erhebt, lässt sich mit Geldzahlungen leicht beruhigen und letztlich verkommen zwei Tote nur zu einer Fußnote, angesichts tausender neuer Wohnungen. Die Politiker sind vor allem auf ihre Außenwirkung bedacht, unabhängig davon, ob sie sich als Kämpfer für die gute Sache stilisieren wie De Vita oder neue Koalitionen schließen, um ihre Machtposition zu festigen. Auf einen Mann wie Nottola können sie keinesfalls verzichten, denn nur äußerlich darstellbare Erfolge garantieren auch eine erfolgreiche Wiederwahl. Das dabei viel Geld verdient wird, dass nur in wenigen Taschen landet, wirkt innerhalb dieser Konstellation wie ein nicht zu vermeidender Nebenaspekt.
Diese Doppeldeutigkeit vermittelt schon der Filmtitel, denn „Hände über der Stadt“ können sowohl Schutz und Hilfe, als auch Kontrolle und Vorteilsnahme bedeuten. Letztlich stellt sich die Frage, welche Intention Francesco Rosi mit seinem Film verfolgte? - Als genau beobachtete Zustandsbeschreibung einer demokratischen Ordnung ist der Film exemplarisch, aber gleichzeitig erschreckend in seinem Fatalismus. Auch wenn Rosi dem kommunistischen Abgeordneten sicherlich mehr Sympathien schenkte als den konservativen Politikern, vermied er doch einseitige Verurteilungen. Letztlich gehören die Politiker aller Parteien zum System. Einzig die Diskrepanz zwischen den Palästen, in denen die führenden Politiker der Stadt stolz ihre Kunst - Sammlungen vorzeigen, und den in unendlicher Reihe stehenden, gleichförmigen Wohnblocks - egal ob Alt - oder Neubauten - die Rosi zum Schluss wieder, wie in einer der Eingangssequenzen, wiederholt, wird deutlich, dass er mit dem Film eine Bevölkerung ansprechen will, die sich zu leicht beruhigen lässt und durch ihr Desinteresse den Machtmissbrauch erst mit verursacht.
„Le mani sulla città“ (Hände über der Stadt), der den semi-dokumentarischen Stil seines Vorgängerfilms "Salvatore Giuliano" wieder aufnahm, aber in der damaligen Gegenwart spielte, könnte als Lehrstück dienen, so differenziert und analytisch bringt er die Verhältnisse hier auf den Punkt, aber die gleichzeitige, technologische Kälte, die von Rosis Film nachvollziehbarer Weise ausgehen musste, und nicht zuletzt seine sehr kritische Haltung, verhinderte eine entsprechende Verbreitung.
"Le mani sulla città" Italien 1963, Regie: Francesco Rosi, Drehbuch: Francesco Rosi, Raffaele La Capria, Darsteller : Rod Steiger, Salvo Randone, Guido Alberti, Carlo Fermariello, Angelo D'Allessandro, Laufzeit : 100 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Francesco Rosi:
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