Inhalt: 05.Juli 1950 - auf dem staubigen Boden in dem
kleinen sizilianischen Dorf Castelvetrano liegt die Leiche eines Mannes. Während
die Carabinieri geschäftsmäßig die äußeren Umstände aufnehmen und erste Zeugen
vernommen werden, wächst die mediale Aufmerksamkeit rasant an – bei dem Toten
handelt es sich um Salvatore Giuliano, einem seit Jahren gesuchten Banditen,
der sich in den sizilianischen Bergen versteckte und auf dessen Konto eine
Vielzahl an Morden, besonders auch an Polizisten, geht. Allerdings fallen den
herbei geeilten Journalisten einige Ungereimtheiten auf. Der bei einem angeblichen
Schusswechsel von Carabinieri getötete, von den Einheimischen als Held verehrte
Mann liegt in keiner Blutlache und Zeugen erinnern sich an zeitlich weit
auseinander liegende Schüsse.
Sieben Jahre zuvor hatte Giuliano erstmals fliehen müssen,
nachdem er nach einem Diebstahl einen Polizisten erschossen hatte, und war zu
einem gefürchteten Bandenchef aufgestiegen, bevor er von der sizilianischen
Separatistenbewegung zum Offizier ernannt wurde. Er und seine Männer fühlten
sich als Freiheitskämpfer, aber als die Bewegung nach dem Krieg an Kraft
verlor, wendete sich das Blatt für sie...
Eine ganze Generation junger italienischer Filmschaffender
wurde in den 40er Jahren durch den "Neorealismus" sozialisiert,
dessen Einfluss sich in vielen ihrer späteren Werke nachvollziehen lässt.
Beispielhafte Filme wie Pier Paolo Pasolinis "Accattone" (1961),
Damiano Damianis "Il sicario" (Das bittere Leben, 1961) oder Elio
Petris "I giorni contati" (1963) entstanden ganz im Geist des
gesellschaftskritisch motivierten Realismus - Pasolini besetzte zudem
größtenteils Laien, wie in den frühen neorealistischen Filmen üblich - aber
Niemand entwickelte den Stil konsequenter weiter als Francesco Rosi, dessen
"Salvatore Giuliano" (Wer erschoss Salvatore G.?) die fundamentale
Tradition eines authentischen Handlungsorts unter Beteiligung der dort
heimischen Bevölkerung aufnahm, um ein tatsächlich stattgefundenes Ereignis auf
Basis von Zeugenaussagen nachzustellen.
Damit ging er über Luchino Viscontis Grundidee hinaus, bei
dessen "La terra trema" (Die Erde bebt, 1948) Rosi erstmals
assistierte. Visconti wollte mit einer erdachten Handlung an einem originalen
Schauplatz die Gegenwarts-Realität dokumentieren, während sich Rosi einem
zurückliegenden Geschehen widmete - der Tod Salvatore Giulianis, mit dem sein
Film beginnt, lag zum Entstehungszeitpunkt schon mehr als 10 Jahre zurück.
Trotzdem wäre es falsch, "Salvatore Giuliano" als historischen Film
anzusehen, denn der Regisseur, der mit "Il caso Mattei" (Der Fall
Mattei, 1972) und "Lucky Luciano" (1973) zwei ähnlich konzipierte
Filme folgen ließ, betrachtete die Vergangenheit von einem gegenwärtigen
Standpunkt aus, der unmittelbar von den damaligen Ereignissen beeinflusst wird.
Mit "Salvatore Giuliano" wählte er eine Figur, die
exemplarisch für die Phase der letzten Kriegsjahre und folgende Nachkriegszeit
in Italien steht, nicht nur für dessen Heimat Sizilien. Seine kriminelle
Laufbahn ging einher mit der vorherrschenden Armut - auf der Flucht nach einem
Diebstahl erschießt er einen Polizisten und wird zum gesuchten Outlaw - und
sein Aufstieg zu einem Volkhelden, eine Art "Robin Hood", wäre ohne
die widerstreitenden Machtinteressen nach dem Krieg nicht möglich gewesen. Erst
als Freiheitskämpfer für ein unabhängiges Sizilien zum Befehlshaber ernannt,
wird er fallengelassen, als die separatistische Bewegung politisch an Kraft
verliert. Nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen, hinter denen auch die auf
Sizilien omnipotente Mafia stand, unter deren Schutz sich Salvatore Giuliano lange
Zeit befand, der nur so eine Vielzahl an Morden und Entführungen begehen
konnte. Trotzdem wurde die Verantwortung für das 1947 begangene Massaker an
Mitgliedern der kommunistischen Partei, die ihren Wahlerfolg im Kreis ihrer
Familien feiern wollte - bekannt als das "Blutbad von Portella della
Ginestra" - gerichtlich allein
Giuliano und seinen Männern zugesprochen - ein bis heute umstrittenes Urteil,
da die Frage nach den Hintermännern nie geklärt wurde, obwohl konservativen
Kräften der Aufstieg der KPI ein Dorn im Auge war.
Ähnlich strittig sind die Umstände des Todes Salvatore
Giulianis, der angeblich bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei in den
Straßen Castelvetranos am 05.Juli 1950 erschossen wurde, dessen Leiche aber
trotz ihrer schweren Verletzungen nicht in einer Blutlache, sondern auf
staubigem Boden vorgefunden wurde - offensichtlich nicht der tatsächliche
Sterbeort. Die Inszenierung der polizeilichen Untersuchung zu Beginn und die
damit verbundene mediale Aufregung wurde von Francesco Rosi mit einer
pedantischen Genauigkeit nachgestellt, die keinen Zweifel an der Authentizität
entstehen lassen sollte. Er vermied jede Spekulation, sondern schilderte die
Ereignisse nur aus der Sicht von Zeugen und zu Akten gebrachten Aufzeichnungen.
Der Widerspruch zwischen den angeblichen Todesumständen und den Zeugenaussagen
entsteht von allein, ohne dass der Film die Ereignisse beurteilen muss.
Im Gegenteil sind Rosis aus dem Off gesprochene Sätze von
größtmöglicher Neutralität, signifikant für einen fast technokratisch zu
nennenden Stil, der prägend für seine semi-dokumentarischen Filme wurde.
Während die frühen neorealistischen Filme aus ihrer dem linken politischen
Spektrum nahestehenden Haltung kein Geheimnis machten und ihre Anklagen gegen damalige
Missstände noch emotional betonten, zwang sich Francesco Rosi zu Zurückhaltung.
Die Bewertung Salvatore Giulianos, der zu den meist beschriebenen
Persönlichkeiten Italiens nach dem Krieg gehört, ging zwischen Verbrecher und
Volksheld weit auseinander und ist nicht von den Interessengruppen – Politiker,
Wirtschaftsbosse und Mafia - zu trennen, die ihn für ihre Zwecke
instrumentalisierten. Auf welch vermintes Feld er sich damit Anfang der 60er
Jahre begab, wird an den mehrfachen Morddrohungen deutlich, die er während der
Dreharbeiten erhielt. Eine Erfahrung, die sich bei den Vorbereitungen zu
"Il caso Mattei" zehn Jahre später wiederholen sollte.
Rosis Auseinandersetzung mit Salvatore Giuliano und
Sizilien, verbunden mit den bedrohlichen Umständen seiner Regie-Arbeit, führten
zu seinem Ruf als „Mafia“-Spezialisten, eine typische mediale Vereinfachung,
die der tatsächlichen Tragweite seiner Filme nicht gerecht wird. Erst in dem
mehr als 10 Jahre später entstandenen „Lucky Luciano“ stand die Mafia wieder
konkret im Mittelpunkt – erneut stellvertretend für die Entwicklung Italiens
nach dem Krieg - während Rosis folgender Film „Le mani sulla città“ (Hände über
der Stadt, 1963) die manipulativen Vorgänge im Zusammenhang mit der Vergabe von
Bauprojekten am Beispiel eines Stadtparlaments durchspielte, dabei bewusst auf
die Verantwortung einer kriminellen Vereinigung verzichtend.
Auch Salvatore Giuliano spielt in dem nach ihm benannten
Film nur eine untergeordnete Rolle. Eine logische Konsequenz, denn von dem sich
jahrelang in den sizilianischen Bergen aufhaltenden Banditen existieren keine
verlässlichen Aussagen. Die Interviews, die er Pressevertretern in seinem
Versteck gab, dienten nur seiner heroischen Außendarstellung, weshalb sie für
Rosi keinen Wert besaßen. Außer Salvo Randone als Vorsitzender Richter und
Frank Wolff als Giulianos engstem Vertrauten Gaspare Pisciotta, der sich bei
dem Ginestra-Mord-Prozess als dessen Mörder selbst bezichtigte, nachdem er mit
den Carabinieri kollaboriert hätte – eine Aussage, deren Tragweite sich erst
durch den minutiösen Beginn um das Auffinden der Leiche erschließt - besetzte
Rosi nur Laien, darunter viele Zeitzeugen, die Salvatore Giuliano noch
persönlich gekannt hatten. Dass der Prozess gegen die des Massakers von
Ginestra beschuldigten Bandenmitglieder in der zweiten Hälfte des Films eine zentrale
Position einnahm, war nur folgerichtig, da Rosi auf eine detaillierte
Dokumentation zurückgreifen konnte und dem Betrachter auf diese Weise sowohl
die widerstreitenden Aussagen, wie das abschließende Gerichtsurteil vor Augen führen
konnte.
Gemeinsam mit Suso Cecchi D’Amico, Enzo Provenzale und
Franco Salinas („La battaglia di Algeri“ (Schlacht um Algier, 1966)) entstand
auf Basis historisch verbürgter Abläufe, Zeugenaussagen und den Prozess-Akten ein
Drehbuch, dass weniger die Frage nach dem Mörder Salvatore Giulianos stellte,
wie es der deutsche Titel suggeriert, sondern mehr das Machtgeflecht hinter
dieser Figur offenbarte, dass nur Opfer kennt – die sizilianische Bevölkerung,
besonders aber die Männer, die sich an der Seite Giulianos als Freiheitskämpfer
fühlten. Damit entzauberte Rosi auch den als Helden verehrten Salvatore
Giuliano, dessen Rolle vor allem der Mafia und ihren Verbündeten diente, bis er
als Zeuge für die tatsächlichen Hintergrunde des Attentats auf die KPI zu
unbequem wurde. So sachlich sich Rosi dieser Thematik näherte und damit wenig
Rücksicht auf jeweilige Befindlichkeiten nahm, wollte und konnte er seine
subjektive Ansicht nicht verbergen, die sich schon in der sparsam eingesetzten
Musik gleich zu Beginn andeutet – die Darstellung eines manipulativen, die
Öffentlichkeit täuschenden bis in die Gegenwart andauernden mörderischen
Systems.
"Salvatore Giuliano" Italien, Frankreich 1961, Regie: Francesco Rosi, Drehbuch: Francesco Rosi, Suso Cecchi D'Amico, Enzo Provenzale, Franco Salinas, Darsteller : Salvo Randone, Frank Wolff, Laufzeit : 118 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Francesco Rosi:
"I magliari" (1959)