Inhalt: Robert Harper (Massimo Foschi) und Rolf (Ivan
Rassimov) veranlassen ihren Piloten, auf einer ostasiatischen Insel
zwischenzulanden, wohin sie die Neugierde auf eine unbekannte Welt treibt. Auf
Grund einer Panne bei der Landung werden sie zu einem längeren Aufenthalt als
geplant gezwungen, da die Reparatur bis zum Abend andauert. Sie bemerken nicht,
dass sie bei ihren Aktionen beobachtet werden.
Als die Freundin des Piloten nachts kurz das Flugzeug
verlässt, kehrt sie nicht wieder zurück.
Bei der Suche nach ihr am nächsten Morgen wird der Pilot durch eine
Falle getötet, aber auch Rolf und Robert verlieren sich aus den Augen. Robert
versucht wieder zum Flugzeug zurück zu gelangen, gerät dabei aber in die
Gefangenschaft eines abseits jeder Zivilisation lebenden Urwaldstamms…
Der Kannibalismus im italienischen Film oder wer kam zuerst?
Me Me Lai und Rassimov als Liebespaar in "Il paese del sesso selvaggio" |
Ruggero Deodatos "Ultimo mondo cannibale" erschien
im März 1977 in den italienischen Kinos und wird in der Regel als Nachfolger,
häufig sogar als Sequel, des schon 1972 herausgekommenen "Il paese del
sesso selvaggio" von Umberto Lenzi angesehen. Dafür gibt es neben der
Kannibalismus-Thematik einige Argumente. Der jeweils im ostasiatischen
Dschungel gelegene Handlungsort, Produzent Giorgio Carlo Rossi, der bei Lenzis
Film schon zum Produzenten-Team gehörte und diesmal als Autor auch direkten
Einfluss auf das Drehbuch nahm - und nicht zuletzt Iwan Rassimov sowie Me Me
Lai, die in beiden Filmen zum Cast gehörten.
Me Me Lai und Foschi als Zweckgemeinschaft in "Ultimo mondo cannibale" |
Zusätzlich sorgte der deutsche Verleih für eine inhaltliche
Verknüpfung. Lenzis Film, der im Original "Das Dorf des wilden Sex"
lautet - "wild" nicht im Sinn von exaltiert, sondern als Bezeichnung
für "Sex der Wilden" – wurde in "Mondo cannibale"
umbenannt, obwohl der Kannibalismus hier nur eine sehr untergeordnete Rolle
spielte. Damit knüpfte das Marketing an die seit "Mondo cane" (1962)
populären "Mondo"-Filme an, die das Publikum mit fremdländischen Sitten
gleichzeitig faszinieren und schockieren wollten. Exotische Speisen sowie deren
archaische Form der Zubereitung waren ebenso fester Bestandteil dieser semi-dokumentarischen
Filme, wie die für ein westliches Publikum seltsam erscheinenden Rituale und
die als grausam beschriebene Tierwelt. Dass damit der Voyeurismus unter dem
Deckmantel einer Dokumentation bedient wurde, konnte selbst „Mondo cane“, der
erste Film dieser Art, nicht verbergen, obwohl er sich um eine gleichberechtigte
Gegenüberstellung der westlichen Gebräuche bemühte, die aus einem anderen
Blickwinkel nicht weniger grausam oder gewöhnungsbedürftig wirken.
Lächelnder Kannibale in Lenzis "Il paese del sesso selvaggio" |
„Il paese del sesso selvaggio“ integrierte diese Elemente
erstmals in eine zusammenhängende Story über einen Fotografen (Ivan Rassimov),
der im Dschungel von einem Eingeborenenstamm gefangen genommen wird, einige
Torturen über sich ergehen lassen muss bis er selbst zum Stammesmitglied wird,
eine Frau (Me Me Lai) erhält und sich trotz deren Tod dafür entscheidet, dort
weiter zu leben. Lenzi nutzte diesen sparsamen Handlungsfaden zwar für die
Darstellung sexueller Spielarten, Brutalitäten und Tiertötungen, blieb in der Gestaltung
einer Abenteuerstory darüber hinaus aber konventionell. Der Fotograf gewinnt
Ansehen durch sein (überlegenes westliches) Wissen - er rettet einen Jungen
durch einen Luftröhrenschnitt - und die Liebesgeschichte zwischen ihm und der
jungen Stammesschönheit unterschied sich nicht wesentlich von typischer
Softsex-Ware der frühen 70er Jahre. Bei den Kannibalen handelt es sich um einen
gegen Ende der Handlung auftretenden feindlichen Stamm, dessen Grausamkeit mit
einer kurzen Szene, in der sich einige Männer an einem Frauen-Torso laben, noch
unterstrichen werden sollte. Was Ruggero Deodatos „Ultimo mondo cannibale“
damit gemeinsam hat? – Bis auf die genannten äußerlichen Merkmale nichts.
„Ultimo mondo cannibale“ – Der Beginn einer kurzen
Genre-Phase
Mit dem Titel „Mondo cannibale 2 – Der Vogelmensch“ täuschte
der deutsche Verleih eine Fortsetzung vor und ignorierte damit den
gegensätzlichen Charakter beider Filme. Trotz der abseits der Zivilisation
spielenden Story blieb „Il paese del sesso selvaggio“ jederzeit gut
ausgeleuchtet, geriet Rassimovs blond gefärbtes Haar kaum einmal aus der Facon
und glänzte Me Me Lai mit frischem Teint. Dass der Protagonist einem der
Kannibalen die Zunge abschneidet, entsprach zwar den Gebräuchen der Dschungelbewohner,
bedeutete aber keine Assimilation. Im Gegenteil lautete die Botschaft des
Films, die zivilisatorischen Qualitäten mit der natürlichen Lebensform der
„Wilden“ zu verbinden. Dank dieser Konsequenz mausert sich der Protagonist am
Ende zu einem Anführer, der das Dorf nach dessen Zerstörung wieder aufbaut.
Von einer ähnlich positiven Botschaft ist in Deodatos Film nichts
zu erkennen. In „Ultimo mondo cannibale“ geht es um das nackte Überleben,
werden die Protagonisten auf ihre Ursprünge zurückgeworfen und erweisen sich
die zivilisatorischen Errungenschaften als leicht zerstörbare Hülle. Dem Film
wurden Rassismus, Voyeurismus und Misogynie vorgeworfen. Die drastischen
Tiertötungen – ein noch lebendes Krokodil wird geschlachtet und ausgeweidet – dienten
nur der Sensationsgier der Zuschauer, eine junge Frau wird durch Vergewaltigung
gefügig gemacht und belohnt diese Vorgehensweise durch Dienstbeflissenheit und
die „Wilden“ im asiatischen Dschungel quälen zuerst ihre Opfer, bevor sie sie
verspeisen. Kritikpunkte, die mehr über die Kritiker aussagen als über die
Intention des Films.
Es lassen sich einige Konzessionen an das Publikum in
Deodatos Film finden. Der pseudo-dokumentarische Anstrich einer angeblich
wahren Begebenheit, die abschließende Flucht des männlichen Protagonisten aus
dem Dschungel sowie die Besetzung von Me Me Lai, deren hübsche, nackte Optik
aus dem sonst konsequent dreckigen, grobstichigen Umfeld heraus sticht. Ihre Vergewaltigung
durch Robert Harper (Massimo Foschi), der seine Triebe nicht zurückhalten kann,
unterstrich nur dessen Verlust zivilisatorischer Verhaltensmuster. Ihre
freundliche Reaktion basiert dagegen auf reinem Überlebenswillen in einer
feindlichen Umgebung und verfügt über keinerlei Gemeinsamkeiten mit der in
Lenzis Film geschilderten romantischen Beziehung zwischen der Stammesbewohnerin
und dem Abkömmling westlicher Kultur. Dagegen diente ihr hübsches Aussehen allein der
Erwartungshaltung männlicher Betrachter, die bei der einzigen wesentlichen Frauenrolle
nicht mit der sonst üblichen Optik konfrontiert werden sollten – ein misogyner
Ansatz, der nur selten Erwähnung findet.
Von diesen Konzessionen abgesehen, gelang Deodato ein
verstörend konsequentes Abbild menschlicher Urinstinkte. Besonders die
Begegnung Harpers mit den Dschungelbewohnern, die ihn nicht weniger fremdartig
finden als er sie und deshalb glauben, dass er fliegen könnte, ist von großer
Intensität. Die Bilder, in denen sie an seinem Penis ziehen, sind in ihrem
spielerischen Gestus einmalig und ohne jeden Voyeurismus. Nicht Sadismus,
sondern Neugierde treibt sie zu ihrem oft grausamen Spiel mit Harper, ebenso
wie ihr Essverhalten bis zum Kannibalismus den natürlichen Abläufen folgt und
nie als Konsequenz taktischer Überlegungen erscheint. Deshalb wäre es falsch,
Harpers Entwicklung als Anpassung an diese Lebensweise zu interpretieren, auch
wenn er am Ende Respekt dadurch gewinnt, dass er die Innereien eines getöteten
Feindes frisst. Er wird auf seine eigenen Ursprünge zurückgeworfen. Er tötet,
vergewaltigt und kämpft nach seinen Regeln ums Überleben. Emphatische Gefühle
für die Frau entwickelt er selbst dann nicht, als sie gefangen genommen und für ihren
Verrat brutal bestraft wird.
Dieser Verzicht auf abschwächende Elemente und damit auf
jede Vereinbarkeit von archaischer Lebenswelt und sogenannter Zivilisation musste
provozieren. Es lässt sich darüber diskutieren, ob die Anzahl der gezeigten
Tiertötungen oder die Geburtsszene, nach der eine Frau ihr Baby scheinbar an
die Krokodile verfüttert, notwendig war, aber sie unterstrichen noch zusätzlich
eine Situation, in der die gewohnten moralischen Maßstäbe des westlichen
Kulturkreises nicht nur nicht mehr galten, sondern sich als Illusion erwiesen.
Deodato betonte das noch zusätzlich, indem er die drastischen Kannibalismus-Bilder
mit harmonischer Musik unterlegte. „Ultimo mondo cannibale“ wurde weniger ein Film über
eine unbekannte Welt, sondern hält seinen Betrachtern den Spiegel vor. Nicht
erstaunlich, dass der Film so viel Kritik hervorrief, denn damit wird die Nähe
zu einer Handlung vermieden, die die Frage nach dem eigenen
Verhalten in einer vergleichbar lebensbedrohenden Situation stellt.
"Ultimo mondo cannibale" Italien 1977, Regie: Ruggero Deodato, Drehbuch: Tito Carpi, Gianfranco Clerici, Giorgio Carlo Rossi, Darsteller : Massimo Foschi, Ivan Rassimov, Me Me Lai, Judy Rosli, Laufzeit : 88 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Roggero Deodato:
"Zenabel" (1969)
weitere im Blog besprochene Filme von Roggero Deodato:
"Zenabel" (1969)
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