Freitag, 25. April 2014

Peur sur la ville (Il poliziotto della brigata criminale / Angst über der Stadt) 1975 Henri Verneuil

Inhalt: Commissaire Jean Letellier (Jean-Paul Belmondo) musste vor einem Jahr eine schwere Niederlage einstecken, als dem erfolgsverwöhnten Ermittler ein Bankräuber entkam, dessen Flucht zudem zivile Opfer forderte. Als er erfährt, dass sich Marcucci (Giovanni Cianfriglia) wieder in Paris aufhält, verfolgt er fanatisch jeden Hinweis, weshalb er den Tod einer jungen Frau (Lea Massari), die offensichtlich zu Tode erschreckt aus ihrer Wohnung stürzte, nicht besonders ernst nimmt.

Nur widerwillig folgt er den Anweisungen seines Chefs (Jean Martin), einen Mann ausfindig zu machen, der die Frau zuvor am Telefon bedroht hatte. An Hand weiterer Anzeigen von Frauen, die sich ähnlich belästigt fühlten, versuchen er und seine Männer die Spur von „Minos“ (Adalberto Maria Merli) aufzunehmen, der öffentlich damit prahlt, die Frauen wegen ihrer Unmoral bestrafen zu wollen. Bisher hat er noch keinen Mord begangen, weshalb Letellier ihn für einen Spinner hält, aber dann kommen er und Inspekteur  Moissac (Charles Denner) zu spät zu einer der Frauen…


Der französische Regisseur Henri Verneuil pflegte einen engen Kontakt zur italienischen Filmindustrie - nicht nur hinsichtlich der Tatsache, dass der Großteil seiner Filme als italienisch-französische Co-Produktionen entstand und er namhafte italienische Darsteller besetzte, sondern auch thematisch lassen sich Parallelen feststellen. "Le clan des Siciliens" (Der Clan der Sizilianer, 1969)) über das organisierte Verbrechen und der Polit-Thriller  "I... comme Icare" (I wie Ikarus, 1979)) waren jeweils auf der Höhe ihrer Zeit. "Peur sur la ville" (Angst über der Stadt) entstand 1975 auf dem Zenit des "Polizieschi all'italiana", als hohe Kriminalitätsraten und terroristische Anschläge Italien erschütterten. Diese Aktualität lässt sich an dem italienischen Verleih-Titel "Il poliziotto della brigata criminale" ablesen, der den Polizei-Charakter des Films noch betonen sollte, aber trotz diverser inhaltlicher Übereinstimmungen - ein eigenmächtig vorgehender Kommissar, ein rücksichtsloser Mörder, die Zivilbevölkerung bedrohende Schusswechsel und wilde Verfolgungsjagden - zeigt "Peur sul la ville" anschaulich den enormen Unterschied zwischen dem französischen und italienischen Kriminalfilm dieser Hochphase gesellschaftlicher Spannungen Mitte der 70er Jahre.

Der Beginn, mit dem Verneuil den italienischen Genre-Vertretern noch ganz nah kam, ist reinste Paranoia. Während die Kamera von oben über das nächtliche Paris streift oder verlassen wirkende, von Lichtreklame und spärlich beleuchteten Geschäftshäusern gesäumte Straßen einfängt, erklingt Ennio Morricones ins Atonale abgleitende rhythmische Musik, die eine gespenstisch bedrohliche Atmosphäre erzeugt. Und damit den passenden Hintergrund für die erste Szene um die italienische Schauspielerin Lea Massari („L’avventura“ (Die mit der Liebe spielen, 1960)) abgibt, die vor Angst stirbt, ohne das der Täter selbst eingreifen muss. Ein makabres Spiel mit den Emotionen, die Verneuil eng mit einer modernen, kalt wirkenden Architektur verband. Eine schöne Frau fällt aus dem Stockwerk eines hohen Wohnturms - symbolisch für eine soziale Entwicklung stehend, die die traditionellen Geschlechterrollen und damit den Umgang mit der Sexualität aushebelte. Das zentrale Thema des Films.

Ohne die sich seit den 60er Jahren vehement verändernde Sozialisation wären auch die „Polizieschi“ nicht vorstellbar gewesen, aber diese leisteten sich nicht mehr den Luxus, eines allein vorgehenden psychopathischen Mörders – ein klassisches Motiv des Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre aktuellen „Giallo“ - sondern ließen ihre Ermittler vor dem breiten Hintergrund eines kriminell aufgeheizten Klimas agieren, das unmittelbar auf die mafiösen Strukturen und die politischen Auseinandersetzungen im Land anspielte. Dieser gesamtgesellschaftliche Aspekt fehlte zwar in „Peur sur la ville“, aber auch Verneuil hob die Morde an allein stehenden, sich angeblich promiskuitiv verhaltenden Frauen aus der Anonymität eines Einzeltäters heraus. Der äußerlich unauffällige Mann, dessen Identität Verneuil früh preisgibt, nennt sich selbst „Minos“ – nach einer Figur aus der „Göttlichen Komödie“ von Dante Alighieri, einem zentralen Werk der italienischen Literatur – und versteht sich als Rächer einer wachsenden Amoral, weshalb er mit Informationen über seine Motive und Taten auch an die Presse geht.

Damit griff der Film eine Mitte der 70er Jahre aktuelle Diskussion auf, als die Emanzipation, verbunden mit einer liberaleren sexuellen Haltung, in Großstädten wie Paris zwar schon fortgeschritten, die gesamte Entwicklung aber noch fragil und erheblichen Anfeindungen ausgesetzt war. Aus heutiger Sicht verhalten sich die von „Minos“ bedrohten ungebundenen Frauen in jeder Hinsicht normal - sie haben Affären mit verheirateten Männern oder erneuten sexuellen Kontakt nach dem Tod ihres Ehemanns – aber Verneuil lässt aus den Worten eines Psychologen, der für „Minos“ Verständnis aufbringt, erkennen, dass dieser mit seiner ablehnenden Reaktion damals nicht allein stand. Eine weitere Betonung dieser Ambivalenz vermied der Regisseur durch die Charakterisierung und Besetzung der beiden Gegenspieler - Adalberto Maria Merli legte den Killer zwischen Minderwertigkeitskomplex und Wahnsinn an, weshalb er auch zur Entstehungszeit des Films nicht als Identifikationsfigur diente, und Jean-Paul Belmondo als ermittelnder Kommissar Jean Letellier ist eben Jean-Paul Belmondo.

Belmondo übte sich in „Peur sur la ville“ im Gegensatz zu vielen späteren ähnlich angelegten Filmen noch in Zurückhaltung und blieb jederzeit ernsthaft in seiner Rolle, aber die damalige vor allem von der seriösen Presse geäußerte Kritik an seiner eigenmächtigen Vorgehensweise als Polizist lässt sich nur mit der großen Popularität des damaligen Kino-Superstars erklären und dem damit verbundenen hohen Identifikationspotential. Im Vergleich zu einem von Maurizio Merli gespielten Commissario fiel Belmondo mehr durch Action als brutale Konsequenz auf. Die gesamten Szenen um den Bankräuber Marcucci (Giovanni Cianfriglia), der Letellier ein Jahr zuvor entkommen konnte, haben nur den Zweck, Belmondo die Gelegenheit für sportliche Höchstleistungen bei einer wilden Verfolgungsjagd zu bieten – ein Können, dass er auch bei der langen Sequenz mit Minos auf den rutschigen Pariser Dächern beweist, als ihm die Kugeln um den Kopf fliegen, er aber immer noch genügend Power hat, sich an den Dachrinnen entlang zu hangeln. Diese authentischen Stunts haben ihre Wirkung bis heute nicht verloren, aber die Szenen, in denen er gemeinsam mit seinem Partner, Inspektor Moissac (Charles Denner), unrechtmäßig Druck auf Verbrecher ausübt, wirken auch dank Belmondos lässigen Spiels inzwischen beinahe harmlos. Selbst Jean Martin, der vehement die Rolle Frankreichs im Algerienkonflikt kritisierte und wichtige Rollen in „La battaglia di Algeri“ (Schlacht um Algier, 1966) und „The day of the jackal“ (Der Schakal, 1973) übernahm, tritt als Letelliers Vorgesetzter Sabin gemäßigt auf.

Henri Verneuil gelang damit die Gratwanderung zwischen populärem Actionkino und einer von Angst bestimmten Atmosphäre, die er mit kalten Großstadtbildern, unterlegt mit Morricones Filmmusik, erzeugte. Bis heute macht dieser zwischen diesen Polen changierende, manchmal inkonsequent wirkende Eindruck, die eigentliche Faszination des Films aus.


"Peur sur la ville" Italien / Frankreich 1975, Regie: Henri Verneuil, Drehbuch: Henri Verneuil, Jean-Paul Rappeneau, Darsteller : Jean-Paul Belmondo, Charles Denner, Alberto Maria Merli, Lea Massari, Jean Martin, Rosy Varte, Laufzeit : 121 Minuten

Montag, 21. April 2014

L'homme de Rio (L'uomo di Rio / Abenteuer in Rio) 1964 Philippe de Broca

Inhalt: Soldat Adrien (Jean-Paul Belmondo) kommt gemeinsam mit einem befreundeten Kameraden auf Heimaturlaub nach Paris. Am Bahnhof trennen sie sich, verabreden sich aber wieder für die Rückreise. Adrien will seine Verlobte Agnés (Françoise Dorléac) besuchen, die bei Professor Catalan (Jean Servais), einem früheren Kollegen ihres verstorbenen Vaters, in einem Museum arbeitet. Als er dort ankommt, wird er Zeuge des Diebstahls einer wertvollen Inka-Statue und der Entführung seiner Verlobten und des Professors.

Er lässt sich von den Entführern nicht abschütteln und kommt auf Umwegen bis Rio de Janeiro, wo er zwar mehr über das Geheimnis der Statuen erfährt, gleichzeitig aber in Gefahr gerät…


"L'homme de Rio" (Abenteuer in Rio) konnte so nur in der ersten Hälfte der 60er Jahre entstehen - in einer Zeit, die noch von den altmodischen Relikten der Nachkriegszeit geprägt wurde, sich aber schon hemmungslos auf einen optischen wie architektonischen Futurismus zu bewegte, dessen uneingeschränkter Optimismus den Charme eines Films ausmacht, den Jean-Paul Belmondo als „Mann von Rio“ ideal verkörperte. In der Rolle des Adrien begibt er sich auf eine "Tour de Force", die noch unzählige Male imitiert wurde, aber in dieser Mischung aus Selbstironie, Lässigkeit, Ungeschicktheit, Zuverlässigkeit, heldenhaftem Mut und erfrischender intellektueller Einfachheit nicht mehr erreicht wurde (auch von Belmondo selbst nicht). Adrien hält immer die Waage zwischen Macho und Softie, Gewinner und Verlierer und selbst die widrigsten Umstände können ihn nicht von seinem Weg abbringen. Das Durchhaltevermögen und die körperliche Ausdauer des ständig rennenden und kletternden Kerls grenzen ans Übernatürliche.

Regisseur und Drehbuchautor Philipp de Broca, der zuvor schon „Cartouche“ (Cartouche der Bandit, 1962) mit Belmondo in der Hauptrolle inszeniert hatte, machte kein Geheimnis daraus, dass er sich mit dem Film an Hergés "Tintin"-Comics orientierte, dessen Held auch immer weite Wege gehen musste, womit De Broca sich einen Traum erfüllte. Doch das allein begründet nicht die traumwandlerische Sicherheit, mit der er seine Geschichte auf dem schmalen Grad von Albernheit, Kitsch, Übertreibungen und Stereotypen so tanzen lässt, dass sie trotzdem nachvollziehbar und fesselnd bleibt. Unterstützt wurde De Broca von überzeugenden Schauspielern, die den comichaft zugespitzten Figuren Leben einhauchten, ohne in Overacting zu verfallen. Besonders hervorzuheben ist Françoise Dorléac, die leider früh verstorbene große Schwester von Catherine Deneuve, die der jungen Agnès eine Mischung aus mädchenhafter Erotik, selbstbewusster Widerspenstigkeit und intelligenter Tatkraft verlieh. Auch Adolfo Celi als brasilianischer Forscher und Millionär De Castro ist einfach köstlich in seinem ständigen Wechsel zwischen Snobismus und Naivität.

Entscheidend für die Wirkung des Films ist aber die großartige Kulisse Rio de Janeiros und der im Entstehen begriffenen Hauptstadt „Brasilia“, die erst vier Jahre zuvor mitten im Urwald gegründet wurde. Der optimistische, zukunftsgläubige Zeitgeist spiegelt sich in deren Optik wider. Selbst in den Favelas Rio de Janeiros lässt sich Aufbruchstimmung und Modernität erkennen, aber erst die klar strukturierten Räumlichkeiten und Gebäude der futuristischen Architektur Oscar Niemayers in Brasilia verleihen dem chaotischen Treiben den passenden Hintergrund.

Vordergründig geht es um drei Inka-Figuren, die zusammen einen großen Schatz verbergen, dessen Geheimnis nur der Pariser Museumsleiter Prof. Norbert Catalan (Jean Servais) kennt. Er hatte diese zusammen mit zwei Forscherkollegen gefunden, die jeweils eine davon in ihrem Besitz behielten. Darunter Agnés Vater, der aber schon kurze Zeit später den Tod fand. Allerdings hatte er zuvor die Statue in Rio versteckt und nur seine Tochter kannte das Versteck. Als kurz hintereinander Catalans Figur aus dem Museum gestohlen wird und der Professor und Agnés entführt werden, führt die Spur unweigerlich nach Brasilien, wo sich die dritte Figur im Besitz des reichen Forschers De Castro befindet. Der einfache Soldat Adrien (Jean-Paul Belmondo) gerät nur in dieses Komplott, weil er während seines Heimaturlaubs seine Freundin Agnés besuchen will und sie vor seinen Augen entführt wird.

Erstaunlich an dieser Jagd über tausende Kilometer ist nicht nur das stimmige Tempo, dass neben wilden Jagden und halsbrecherischen Stunts immer wieder ruhige Momente einstreut, sondern die Lässigkeit, mit der die gesamte, sich keinen Moment zu ernst nehmende Geschichte, erzählt wird. Als zum Schluss Adrien wieder am Bahnhof Richtung Armeestützpunkt einsteigt, erreicht in letzter Sekunde auch sein Kamerad den abfahrenden Zug und erzählt aufgeregt vom Verkehrsstau, der ihn drei Stunden lang vom Montmartre zum Hauptbahnhof aufgehalten hätte. Adrien hört ihm aufmerksam zu, als hätte er selbst nichts erlebt - ein würdigeres Ende ist kaum vorstellbar.

"L'homme de Rio" Italien / Frankreich 1964, Regie: Philippe de Broca, Drehbuch: Philippe de Broca, Ariane Mnouchkine, Jean-Paul Rappeneau, Darsteller : Jean-Paul Belmondo, Francois Dorléac, Adolfo Celi, Roger Dumas, Jean Servais, Laufzeit : 98 Minuten

Sonntag, 20. April 2014

Classe tous risques (Asfalto che scotta / Der Panther wird gehetzt) 1960 Claude Sautet

Inhalt: Abel Davos (Lino Ventura) will zusammen mit seiner Frau Clemente und seinen beiden kleinen Söhne wieder zurück in ihr Heimatland Frankreich fliehen. Außerdem begleitet ihn sein Freund Raymond (Stan Krol), der ihn bei der Flucht aus Italien unterstützt.

Die beiden Gangster wurden in Italien zum Tode verurteilt und sie erhoffen sich in Frankreich - auch mit Hilfe ihrer alten Pariser Freunde - einen neuen Anfang. Doch die Flucht erfordert dramatische Opfer und Abel muß erfahren, daß ihn auch die alten Kumpels im Stich lassen. Einzig ein Fremder namens Stark (Jean-Paul Belmondo) scheint ihm helfen zu wollen...


Claude Sautets zweiter Film „Classe tous risques" (Der Panther wird gehetzt) wurde nicht nur ein signifikantes Werk für den italienisch-stämmigen Lino Ventura, der zuvor schon die Hauptrolle in „Le fauve est lâché" (Ein Raubtier rechnet ab, 1959) nach einem Drehbuch Sautets gespielt hatte, sondern auch zu einem Wegbereiter der langjährigen Karriere Jean-Paul Belmondos, obwohl der äußerst spannend erzählte Gangster-Film im allgemeinen Hype um die "Nouvelle Vague" zu Unrecht unterging. Godards nach einem Drehbuch Francois Truffauts parallel gedrehter "À bout de souffle" (Außer Atem, 1960) machte Belmondo endgültig zum Star als cooler Draufgänger, während er in „La ciociara“ (...und dennoch leben sie, 1960) unter Vittorio De Sica noch einen zurückhaltenden Intellektuellen neben der übermächtigen Sophia Loren verkörperte. Sautets realistischer, fast lakonisch dokumentarisch anmutender Stil, seine atmosphärischen Außenaufnahmen und teilweise aus einem subjektiven Blickwinkel gedrehten Schwarz-Weiß-Bilder wirken heute noch modern, aber sein rationaler Erzählstil und ausgeprägter Hang zur Action galt im Vergleich zum avantgardistischen Stil des jungen französischen Films damals als altmodisch.

Die italienisch-französische Co-Produktion beginnt in Mailand, wo die Freunde Abel Davos (Lino Ventura) und Raymond einen Geldkurier überfallen. Zuvor hatte Abel seine Frau Clemente und seine beiden kleinen Söhne zum Zug gebracht und sich mit ihr in dem italienischen Grenzort Ventimiglia verabredet, von wo sie gemeinsam nach Frankreich fliehen wollen, da Abel in Italien wegen Mordes zum Tode verurteilt worden war. In Frankreich erhofft er sich Unterstützung durch seine alten Freunde und ein Leben zusammen mit seiner Familie. Sautets Film nimmt in der ersten Hälfte den Charakter eines rasanten Road-Movies an, denn Abel befindet sich auf der Flucht vor der Polizei, ständig bedroht von Straßensperren und Kontrollen. Doch sein Plan geht schief. Als sie in einem Motorboot die französische Küste erreichen, werden sein bester Freund und seine Frau von Polizisten erschossen. Er kann zwar mit seinen Söhnen fliehen, aber der Bruch seines Lebenswillens wird trotz seines äußerlich weiter gehenden Kampfes zunehmend spürbar.

Lino Ventura, 1950 Europameister im Ringen, galt als ein Macho vom alten Schlag, der eher eine Frau schlug als mit ihr zu diskutieren. Äußerlich entsprach er diesem Image auch in Sautets Film, als er in einer Szene einer naseweisen jungen Frau eine Ohrfeige gibt, aber darüber hinaus zeichnet er sich durch einen sensiblen Umgang mit seiner Familie aus, was ihm die Sympathien der Zuschauer einbringt, die von seinen früheren Verbrechen nichts erfahren. Abel ist ein verzweifelter Mann, der darunter leidet, keine Zeit für seine Familie zu haben und es bereut, seiner geliebten Frau dieses Gangsterleben zugemutet zu haben. Die Szene zwischen ihm und seiner Frau kurz vor der Flucht beeindruckt durch ihre lakonische, frei von Kitsch bleibende Intensität. Auch der Umgang mit seinen Kindern wirkt genretypisch anachronistisch, da im Gangsterfilm normalerweise auf eine intensive Vermischung von Gangsterleben und Familie verzichtet wird.

Lino Venturas desillusionierter Ernsthaftigkeit stand als zweiter Hauptdarsteller der junge, stets gut gelaunte und optimistische Eric Stark gegenüber, ideal von Jean-Paul Belmondo verkörpert. Belmondo interpretierte mit seinem lässigen, gleichzeitig professionellen Spiel einen ähnlichen Typus wie in „Außer Atem“, der schon im heutigen Sinn cool wirkte und damit seiner Zeit weit voraus war - frei von Anstrengung und gleichzeitig seiner Situation bewusst. Es erstaunt wenig, dass der altmodische Abel viel Zeit benötigt, bis er ihm vertraut. Stattdessen versucht er - in Paris nur dank der Hilfe Starks angekommen - wieder Kontakt zu seinen alten Kumpels aufzunehmen, die sich teilweise zur Ruhe gesetzt haben und denen der von der Polizei gesuchte Gangster ein Dorn im Auge ist, den sie schnell wieder loswerden wollen. Sautet betont in der zweiten Hälfte des Films die Diskrepanz zwischen deren verbrecherischen Handeln und ihrer inzwischen festen Verankerungen in einem bürgerlichen Leben, auf das sie keineswegs mehr verzichten wollen.

Abel muss erkennen, dass ihn seine alten Kumpanen nicht nur im Stich gelassen haben, sondern das seine Vorstellungen von Gangster-Ehre und Zusammenhalt schlicht der Vergangenheit angehören, womit Sautet die Thematik des Melville-Films „Le deuxième souffle“ (Der zweite Atem, 1966) - ebenfalls mit Lino Ventura in der Hauptrolle - schon vorweg nahm. Einzig Eric Stark ( Jean-Paul Belmondo) steht ihm als Sympathieträger und cooler Draufgänger zur Seite, was Sautet nicht davon abhielt, seinen illusionslosen Film bis zum konsequenten Ende zu führen.

"Classe tous risques" Italien / Frankreich 1960, Regie: Claude Sautet, Drehbuch: José Giovanni, Claude Sautet, Darsteller : Lino Ventura, Jean-Paul Belmondo, Sandra Milo, Michel Ardan, Marcel Dalio, Laufzeit : 102 Minuten

Montag, 14. April 2014

L'ultimo cacciatore (Jäger der Apokalypse) 1980 Antonio Margheriti

Inhalt: Nachdem Captain Henry Morris (David Warbeck) nicht verhindern konnte, dass einer seiner besten Freunde erst einen Kameraden und dann sich selbst erschoss, ist er bereit, einen gefährlichen Auftrag anzunehmen, der ihn mitten in den vom Vietcong kontrollierten Dschungel führt. Er soll eine Radiostation zerstören, deren englischsprachige Sendung die Moral der US-Soldaten untergräbt.

Nachdem er von einem Hubschrauber abgesetzt wurde, trifft er auf eine Gruppe Soldaten und die Kriegsberichterstatterin Jane Foster (Tisa Ferrow), die ihre Aktion begleiten will. Morris macht sich sofort auf den Weg, der ihn zu einer mitten im Dschungel stationierten, von vietnamesischen Kämpfern umzingelten US-Einheit führt, die jede militärische Disziplin vermissen lässt...


Nach einer längeren Durststrecke in der ersten Hälfte der 70er Jahre - Kriegs-Action galt angesichts der Protestbewegung gegen den Vietnam-Krieg als wenig opportun - hatte die italienische Filmindustrie auch das Kriegsfilm-Genre wieder entdeckt. Umberto Lenzi brachte mit "Il grande attacco" (Die große Offensive, 1978) und "Da Dunkerque alla vittoria" (Nur Drei kamen durch, 1979) zwei mit internationaler Beteiligung gedrehte Weltkrieg II-Filme auf die Leinwand, die parallel zur beginnenden Welle der Hollywood-Epigonen und im Dschungel gedrehten Kannibalen-Filme entstanden. Auch Regisseur Antonio Margheriti hatte sich in dieser Hinsicht vorgetan, war mit "Killer-Fish" (Piranha II - Die Rache der Killerfische, 1978) auf Spielbergs "Der weiße Hai"-Spuren gewandelt und schuf mit "Apocalypse domani" (Asphalt-Kannibalen, 1980) einen Film, der die Vietnam-Thematik schon streifte, sie aber mit der aktuellen Zombie/Kannibalismuswelle verband. 

"L'ultimo cacciatore" (Jäger der Apokalypse) kam nicht nur unmittelbar nach "Apocalypse domani" in die italienischen Kinos, sondern wurde ebenfalls nach einem Drehbuch von Dardano Sacchetti auf den Philippinen gedreht. Weitere Querverbindungen sind trotz der verschiedenen Produzenten und Darsteller - wie im italienischen Film-Business gewohnt - mannigfaltig. Die Karriere von Gianfranco Couyoumdijan als Produzent und später Co-Autor fand im Erotik- („La bella Antonia, prima Monica e poi Domina“ (Wehe, wenn die Lust uns packt, 1972) und im Polizieschi-Genre („La banda del trucido“ (Die Gangster-Akademie, 1977) ihren Ursprung, bevor er mit „Zombie Holocaust“ (Zombies unter Kannibalen, 1980) seinen Beitrag zur Kannibalismus-Welle leistete. Mit Dardano Sacchetti hatte er erstmals bei „La banda del trucido“ zusammengearbeitet, der parallel das Drehbuch zu Lucio Fulcis „Paura nella città die morti viventi“ (Ein Zombie hing am Glockenseil, 1980) schrieb. In Fulcis Vorgängerfilm „Zombie 2“ (Woodoo,1979) war neben ihm und Couyoumdjian auch Tisa Ferrow schon mit an Bord, die im selben Jahr noch in D’Amatos „Antropophagus“ (Man-Eater,1980) in der weiblichen Hauptrolle auftrat, bevor sie ihre Karriere früh beendete. 

Dass die Produzenten von „Apocalypse domani“ zuvor schon an Lenzis Kriegsfilm „Nur Drei kamen durch“ beteiligt waren, überrascht da schon nicht mehr, denn „L’ultimo cacciatore“ kombinierte eine Vielzahl damals aktueller Strömungen: die Kriegsfilmthematik - konsequent an den Hollywood-Vorbildern „The deer hunter“ (Die durch die Hölle gehen, 1978) und „Apocalypse now“ (1979) orientiert - die vom Kannibalismusfilm gewohnte exotische Dschungel-Optik und diverse Splatter-Einlagen, die gemessen an den üblichen Kriegsverletzungen übertrieben wirkten. Als einer der verzichtbaren Begleit-Soldaten von einer mit angespitzten Bambushölzern ausgestatteten Falle erwischt wird, quellen gleich seine Gedärme heraus. Entsprechend wenig Reputation erfuhr Margheritis Film, der trotz der zitierten Hollywood-Antikriegsfilme schnell den Ruf eines reinen Action- und Baller-Vehikels erhielt, dass den Hintergrund des Vietnam-Kriegs nur für eine besonders gewalttätige und dreckige Umsetzung nutzte. Auch Regisseur Margheriti machte keinen Hehl aus seinen vor allem der Unterhaltung dienenden Absichten mit einem US-Soldaten als Helden im Mittelpunkt, der sich im Dschungel einem gesichtslosen Vietcong ausgesetzt sieht.

Angesichts der sensiblen Thematik um den erst wenige Jahre zuvor beendeten Kampfeinsatz der US-Armee, war eine differenzierte Betrachtungsweise zur Entstehungszeit des Films kaum zu erwarten, aber „L’ultimo cacciatore“ vermittelt aus heutiger Sicht trotz der ausführlich gezeigten Kampfhandlungen weder einen befriedigenden, noch heroischen Charakter und verwendete die Zitate aus „Deer hunter“ und „Apocalypse now“ eigenständig. Michael Ciminos „Deer hunter“ wird nur in einer der letzten Szenen des Films konkret kopiert, als Captain Morris (David Warbeck) in einen Wasserkäfig gesperrt wird, wo er nicht nur von Wasserratten angegriffen wird, sondern miterleben muss, wie ein Mithäftling aufgefressen wird. Wie üblich steigerten die italienischen Epigonen das Gewalt-Level der US-Vorbilder, aber damit verstießen sie auch gegen deren Tabus. Der Wahnsinn, der in Coppolas „Apocalypse now“ zum allgegenwärtigen, bewusst überzeichneten Zustand innerhalb der US-Armee wird, bekam in „L’ultimo cacciatore“ einen realistischeren Anstrich und vermittelte einen ungeschönten Blick. 

John Steiner als Befehlshaber einer mitten im Dschungel stationierten Einheit verwahrloster und unmotivierter Soldaten wirkt im Vergleich zu Marlon Brandos ähnlich angelegter Rolle in Coppolas Film zwar wie ein seriöser Offizier, schickt aber einen seiner Männer nur zum Spaß unter dem Dauerbeschuss der Vietnamesen in den Urwald, um eine Kokosnuss vom Baum zu pflücken. Besonders die Eingangssequenz, in der ein alter Freund von Captain Morris erst einen Kameraden und dann sich selbst in einem herunter gekommenen Strip-Lokal erschießt oder später die Vergewaltigungsszene um die Bildreporterin Jane Foster (Tisa Ferrow) lassen kein gutes Haar an den US-Soldaten, die gegenüber den anonym bleibenden vietnamesischen Angreifern größtenteils als wehrloses Kanonenfutter herhalten müssen. 

Margheriti verfolgte damit weder kritische Absichten, noch bemühte er gesellschaftspolitische Zusammenhänge, aber die geradlinige und kurzweilige Inszenierung lässt in ihrer kompromisslosen Direktheit keine positiven Emotionen aufkommen - zu verdanken auch dem reduzierten, in der Originalfassung wortkargen Spiel des Neuseeländers David Warbeck, der der Hauptrolle in „L’ultimo cacciatore“ nach jahrelanger Untätigkeit seine zweite Karriere als Schauspieler verdankte. Zwar schlägt er sich erfolgreich durch alle Widrigkeiten, aber patriotische Töne sind von ihm nicht zu hören. Sein gern zitierter Satz, er hasse den Vietcong nicht, sondern erschießt ihn, wirkt aus dem Zusammenhang gerissen zynisch und menschenverachtend, verliert diese Dimension aber angesichts der Beiläufigkeit, mit der Captain Morris nicht nur so die Frage der Journalistin beantwortet, sondern generell seinem Auftrag nachgeht. Der Anlass, eine die Moral der US-Armee untergrabende Radio-Station auszuheben, mag etwas konstruiert scheinen, aber die Szenen, in denen die Soldaten zu der freundlichen weiblichen Stimme abgeschlachtet werden, die ihnen empfiehlt, sich lieber nach Hause zu ihrer Freundin zu begeben, verfehlen ihre Wirkung nicht. Auch die von Mia Ferrows Schwester Tisa gespielte Kriegsberichterstatterin ist weniger klischeehaft als im Genre üblich - optisch glaubwürdig und ohne Bunny-Attitüde, verzichtete der Film auf die gebetsmühlenartigen Vorträge, dass Frauen hier nichts zu suchen hätten, und kehrte einmal sogar die Rettungssituation um.

„L’ultimo cacciatore“ reihte sich Anfang der 80er Jahre hinsichtlich seines Action- und Gewaltpotentials zwar mühelos in die parallel entstandenen Horror- und Apocalypse-Filme ein, aber die mit einem im Vergleich zu den US-Produktionen geringen Budget ausgestattete italienische Machart hielt sich nicht mit Ausgewogenheiten auf, sondern schuf einen atmosphärisch stimmigen Kriegsfilm, der ohne Verherrlichungen auskam.

"L'ultimo cacciatore" Italien 1980, Regie: Antonio Margheriti, Drehbuch: Gianfranco Couyoumdijan, Dardano Sacchetti,  Darsteller : David Warbeck, Tisa Ferrow, Tony King, Bobby Rhodes, John Steiner, Laufzeit : 97 Minuten

Abschlussfilm beim 1. Festival des italienischen Genre-Filmfestivals "Terza Visione" in Nürnberg vom 25. bis 27.04.2014


weitere im Blog besprochene Filme von Antonio Margheriti: