Inhalt:
Nach einer Party macht sich eine illustre Gesellschaft auf, um sich bei Nacht
das leer stehende, aber sehr gut erhaltene Theatergebäude von Patrick Davenant
(Chris Avram) anzusehen. Er wird von seiner jungen Verlobten Kim (Janet Agren)
begleitet, die eine heimliche Liebesbeziehung mit Russel (Howard Ross) pflegt,
die seine Töchter Lynn (Paola Senatore) und Rebecca (Eva Czemerys) ahnen. Besonders
Lynn, die ihren Vater wie einen Geliebten behandelt, obwohl sie sich selbst in
Begleitung von Duncan (Gaetano Russo) befindet, hält wenig von Kim, während
ihre Schwester offen die Beziehung zu Doris (Lucrezia Love) pflegt. Auch Vivian
(Rosanna Schiaffino), die Partnerin von Albert (Andrea Scotti), steht in einem
nicht gelösten Verhältnis zu Patrick.
Als er beinahe
von einem Balken erschlagen wird, dessen Halterung offensichtlich durchgeschnitten
wurde, äußert er seinen Verdacht gegenüber Einigen der Beteiligten, weshalb
Russell erbost das Haus verlassen will. Doch alle Türen sind verschlossen und
es gelingt ihm nicht aus dem Gebäude zu gelangen. Bevor er sich deshalb an
Patrick wenden kann, wird er Zeuge, wie Kim, die eine Szene auf der Bühne
gespielt hatte, in der sie Selbstmord beging, tatsächlich stirbt – ein Dolch
steckt in ihrem Rücken…
Als
"L'assassino ha riservato nove poltrone" (Der Mörder hat neun
Parkettsitze reserviert) im Mai 1974 in die italienischen Kinos kam, hatte der
"Giallo" seine Hochphase schon hinter sich. Genre-Impresario Mario
Bava hatte seinen prägenden Stil in "Lisa e il diavolo" (Der
Teuflische) bereits 1973 rekapituliert, Sergio Martino sich inzwischen dem
Poliziesco zugewandt ("Milano trema: la polizia vuole giustizia"
1973) und Dario Argento den klassischen "Giallo" individuell weiter
entwickelt ("Profondo rosso" (Rosso - die Farbe des Todes, 1975)),
weshalb "L'assassino ha riservato nove poltrone" außerhalb Italiens
kaum noch vermarktet wurde. Zudem war Regisseur Giuseppe Benati, der seit den
frühen 60er Jahren ("Congo vivo" 1962) nur noch einmal für das italienische
Fernsehen gearbeitet hatte, wenig bekannt und erntete auch in Italien Kritik
für seinen späten, sein Filmschaffen abschließenden Schritt zum
"Giallo".
Auch die
Story bot von ihrer Anlage her nichts Neues. Wie schon die Zahl
"Neun" im Filmtitel andeutet, erzählt "L'assassino ha riservato
nove poltrone" die bekannte Geschichte von zehn Menschen, die sich
unentrinnbar an einem Ort befinden, an dem sie der Reihe nach ermordet werden.
Die Sitze - "poltrone" bezeichnet genauer die Sperrsitze oder
Parkettplätze - weist direkt auf die eindrucksvolle Location hin, in der die
Handlung stattfindet. Ein Jahrhunderte altes Theatergebäude - ein
unübersichtlicher, mondäner Ort mit seiner Bühnenkonstruktion und dem
Schnürboden, den verwinkelt gelegenen Nebenräumen und dem darunter gelegenen
Gewölbe, der nicht zum ersten Mal als Schauplatz für die dem Theaterspiel nahen
Abläufe eines "Giallo" diente. Ähnliches gilt für die Balance
zwischen Realität und Mysterium, die zu einem festen Bestandteil des Genres
wurde. So auch hier, denn als die Protagonisten nach dem ersten Mord, der ganz
klassisch auf der Bühne stattfindet, versuchen, die Polizei zu benachrichtigen,
müssen sie feststellen, dass sie nicht mehr aus dem Theater heraus können -
auch die Schlüssel helfen ihnen nicht, dem hermetisch abgeriegelten Gebäude zu
entrinnen.
Zudem
befindet sich ein Mann unter ihnen, den Niemand näher kennt - zwei Frauen
hatten ihn nach der Party mitgenommen, von der aus die Gruppe zu dem alten
Theatergebäude aufgebrochen war, welches Patrick Davenant (Chris Avram), dessen
zwei erwachsene Töchter Lynn (Paola Senatore) und Rebecca (Eva Czemerys)
ebenfalls zu seinen Begleiterinnen gehören, geerbt hatte. Die Szenen zu Beginn,
in denen sich die Lichter ihrer Autos einen Weg durch die Nacht suchen, während
die Kamera schon ihre Beziehungen im Inneren erfasst, erinnert an den 1971
erschienenen "Qualcosa striscia nel buio" (Etwas kriecht im Dunklen),
der noch weitere Ähnlichkeiten aufweist - die nächtliche Zusammenkunft von zehn
Frauen und Männern, größtenteils aus wohlhabenden Gesellschaftsschichten
stammend, an einem von der Umwelt abgeschlossenen Ort, bei dem es sich bei dem
älteren Film zwar um eine alte Villa auf dem Land handelte, die aber optisch
ähnlich eingefangen wurde.
Bei diesen
Parallelen handelte es sich um keinen Zufall, denn Kameramann Giuseppe Aquari
war entscheidend an beiden Filmen beteiligt. Auch die übrige Crew bestand aus
Genre erfahrenen Mitarbeitern, besonders Komponist Carlo Savina, ständiger
Begleiter der Filme Fellinis, und sowohl für die Musik zu Bavas "Lisa e il
diavolo", als auch zu "The godfather" (Der Pate, 1972)
verantwortlich, dem es schon in den ersten Minuten gelingt, den Betrachter mit einer dichten
Atmosphäre aus scheinbarer Harmonie und 70er Jahre Feeling in seinen Bann zu
ziehen. Kostümdesigner und Dekorateur Enzo Eusepi hatte 1972 "Ludwig
II." von Luchino Visconti ausgestattet und Autor Biagio Proietti war am
Drehbuch zu Duccio Tessaris "La morte risale a ieri sera" (Das Grauen
kam aus dem Nebel (1970)) beteiligt.
Die Darstellerriege
wurde von Rosanna Schiaffino, bekannt seit den 50er Jahren ("La
sfida" (Die Herausforderung, 1958, von Francesco Rosi)), die hier in einer
ihrer letzten Rollen zu sehen war, und dem ebenfalls Bava-erfahrenen Chris
Avram ("Reazione a catena" (Im Blutrausch des Satans, 1971))
angeführt, der den Erben und geheimnisvollen Mittelpunkt der Gruppe spielte,
auf den zu Beginn ein misslungener Mordanschlag verübt wird. Mit Janet Agren,
Eva Czemerys, Lucrezia Love und Paola Senatore verfügt der Film zudem über vier
attraktive, in Erotik- und Genrefilmen der 70er und 80er häufig besetzte
Darstellerinnen, die dem Film sowohl optisch, wie inhaltlich einen
erotisch-promiskuitiven Charakter verliehen, der zwar mit inzestiösen und
lesbischen Elementen spielte, diese aber geschickt in die inneren Abläufe
integrierte, ohne sie vordergründig zu benutzen.
Obwohl die
heimlichen Liebesbeziehungen dazu Anlass gäben, bleiben offene Animositäten
größtenteils aus. Selbst als die Gruppe schon deutlich reduziert wurde, kommt
es nicht zu den aus ähnlichen Konstellationen bekannten eskalierenden
Streitigkeiten. Der Film verzichtet entsprechend auf spezifische
Identifikationen - weder existieren ausgesprochene Sympathieträger, noch
typische Feindbilder - wodurch sowohl die Reihenfolge der Opfer, als auch der
mögliche Täter im Ungewissen bleiben. Zudem kommt es zu keiner explizit
gezeigten Gewalt, werden die Opfer nicht optisch zerstört. Das Schlagen eines
Nagels durch eine weibliche Hand wird letztlich zum Teil eines Arrangements zweier
toter Frauen, das Schönheit und Verbundenheit ausstrahlt - nicht ohne Grund
warb das Filmplakat mit dieser skulpturellen Anordnung.
Warum der
Täter sich diese Mühe gab, bleibt ebenso offen, wie eine Vielzahl der hier
gezeigten Abläufe nicht näher erklärt werden. Sicherlich ein Grund für die
Kritik an Bennatis Film, die aber nicht anerkennt, dass das Gewicht des Films
auf seiner dichten, ganz in der Tradition des "Giallo" mit Licht und
Farben spielenden Bildsprache liegt, die dem Ort gewidmet ist, an dem der Film
ausschließlich spielt - dem Theater und damit einem Schauspiel, für das der
Mörder neun Plätze in der ersten Reihe reserviert hat. "L'assassino ha
riservato nove poltrone" verwendete bekannte Muster im Rahmen einer
konventionellen Geschichte, kehrte die Intention aber um. Keine menschlichen
Regungen wie Rache oder Habsucht forcierten hier letzlich das atmosphärisch
mitreißende Geschehen, sondern eine übergeordnete Macht - wie die Hand eines
Regisseurs.
"L'assassino ha riservato nove poltrone" Italien 1974, Regie: Giuseppe Bennati, Drehbuch: Biaggo Proietti, Paolo Levi, Giuseppe Bennati, Darsteller : Rosanna Schiaffino, Chris Avram, Paola Senatore, Janet Agren, Lucretia Love, Eva Czemerys, Laufzeit : 99 Minuten
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