Inhalt:
„Mondo cane“ entwickelte an Hand von weltweit aufgenommenen dokumentarischen Aufnahmen
menschlicher Verhaltensmuster - bezogen auf Ernährung, Sexualität, Kleidung,
Hierarchien, Religion, Freizeitgestaltung und Kultur – das komplexe Bild einer
Welt, die „vor die Hunde geht“. Obwohl es viele Parallelen im Verhalten der
unterschiedlichen Völker gibt, egal ob sie in New York oder im Dschungel leben,
wird die zerstörerische Kraft einer Zivilisation deutlich, die für sich die
Führung und damit die Hoheit über die Standards des Zusammenlebens beansprucht…
Der 1962
von den Dokumentarfilmern Gualtiero Jacopetti, Franco Prosperi und Paolo Cavara
in die Kinos gebrachte "Mondo cane" gilt als der Begründer eines
Subgenres, das sich scheinbar authentisch den Lebensverhältnissen der Menschen
weltweit widmete. Kurze dokumentarische Aufnahmen aus verschiedenen
Kulturräumen wurden auf Spielfilmlänge zusammengefügt, um ein möglichst
komplexes Bild der menschlichen Sozialisation entstehen zu lassen, bezogen auf
die wesentlichen Merkmale des Zusammenlebens - Ernährung, Sexualität, Kleidung,
Hierarchien, Religion, Freizeitgestaltung und Kultur. Der Begriff
"Mondo" (Welt) wurde zuvor schon in "Il mondo di notte"
(Die Welt bei Nacht, 1959) von Regisseur Luigi Vanzi verwendet, aber darin
widmete dieser sich ausschließlich den spezifischen Formen des Nachtlebens,
weshalb "Mondo cane" zum ersten Film wurde, der das menschliche
Dasein auf diese Weise generell erfassen wollte und dank seines großen Erfolgs
zum Vorbild für viele Nachahmer wurde.
Sieht man
von "Mondo cane 2" einmal ab, der ein
Jahr später aus im ersten Film noch nicht verwendetem Material montiert wurde,
wäre der unbekannt gebliebene "Il mondo di notte" das ehrlichere
Vorbild für die folgenden "Mondo" - Filme, denn diese strebten keine
umfassende, differenzierte Beobachtung menschlicher Verhaltensformen mehr an,
sondern widmeten sich Themenbereichen, die sich an der Sensationsgier des
Publikums orientierten. Selbst der von den drei Dokumentarfilmern ebenfalls
noch 1963 veröffentlichte „La donna del mondo“ (Alle Frauen dieser Welt)
schränkte seinen Blick schon ein, weshalb ihre folgenden Filme über Afrika
(„Africa addio“ (1966)) und „Addio, zio Tom“ (Addio Onkel Tom, 1971)) nicht
mehr den „Mondo“ – Begriff im Titel führten. An den Afrika-Filmen war Paolo
Cavara nicht mehr beteiligt, der mit „I malamondo“ (1964) schon einen
Gegenentwurf zu „Mondo cane“ vorlegte, der sich bewusst auf die Auswüchse der
westlichen Gesellschaft konzentrierte.
Denn obwohl
in „Mondo cane“ versucht wurde, Parallelen zwischen dem Verhalten der
westlichen Zivilisation und dem der Menschen in exotisch empfundenen Ländern aufzuzeigen,
konnte von einer gleichwertigen Gegenüberstellung nicht die Rede sein, da der
Film für ein westliches Publikum erdacht und hergestellt wurde. Aus Sicht der
Verhaltensforschung haben afrikanische Stammesrituale bei der Jagd auf einen
Bräutigam und der lächerliche Voyeurismus einer Hundertschaft Marinesoldaten beim Anblick
hübscher Mädchen im Bikini einen ähnlichen Ursprung, für das damalige Publikum
dagegen nicht, denn der Erfolg des Films beruhte auf Einblicke in Welten, die
dem westlich geprägten Europäer oder Nordamerikaner Anfang der 60er Jahre noch
gänzlich fremd waren. So wie im Panoptikum des frühen 20. Jahrhunderts allein
die Zurschaustellung eines Schwarzafrikaners zur Sensation gereichte, so
genügte schon der Anblick von Afrikanern mit ihrem Gesichtsschmuck und
Tätowierungen, von Asiaten, die Schlangen oder Hunde verspeisen, gemästeten
Haremsfrauen eines spindeldürren Despoten, oder die gezeigten
Tierschlachtungen, um gruseliges Empfinden zu erzeugen.
Den
Filmemachern muss bewusst gewesen sein, damit den wachsenden Wunsch des
Publikums nach Tabubrüchen zu bedienen, der sich in der moralisch konservativ
geprägten Nachkriegszeit mit dem Verweis auf „primitive“ Völker leichter
verwirklichen ließ (siehe auch den deutschen Beitrag von 1956 „Liane, das Mädchen aus dem Urwald“). Ein inhaltlicher Vorwurf ist ihnen daraus
vordergründig nicht zu machen, denn nur wenige Szenen wirken übertrieben oder
geschürt, wie das Schwein, das an einer weiblichen Brust säugt, während ihr
Versuch, den exotischen Schauwerten zivilisatorische Abgründe mit gezielt
entlarvenden Bildern von Ausbeutung oder Dekadenz entgegen zu setzen,
offensichtlich wird. Begleitet von der großartigen, häufig in ihrer Schönheit
bewusst kontrastierenden Musik Riz Ortolanis und einem emotionslos
vorgetragenen Kommentar, der angesichts des Gezeigten abwechselnd zynisch,
ironisch oder informierend wirkt, entfaltet sich ein Bild der Welt vor dem Auge
des Betrachter, das seine erschreckende Wirkung inzwischen eher gesteigert hat.
Denn aus
heutiger Sicht erweisen sich die Aufnahmen der Naturvölker oder die
Essgewohnheiten von Asiaten als traditionell gewachsene Lebensformen, während
die gezeigten Eingriffe und Auswüchse der westlichen Zivilisation zerstörerisch
und unnatürlich wirken. Das Einsperren von Hunden in viel zu enge Käfige, die
in Reih- und Glied aufmarschierenden, uniform gekleideten Mädchen in
Australien, Entenstopfleber in Frankreich, die Schnapsleichen am Morgen auf der Hamburger Reeperbahn oder die
Missionierung der Afrikaner erhalten mit dem heutigen Wissen eine gänzlich
andere Bewertung, als es 1962 möglich war. Das lässt nicht übersehen, dass das
Denken der Macher konservativ geprägt war und die Auswahl dessen, was als
lächerlich oder kleingeistig dargestellt wurde, deren subjektiver Meinung
entsprach. Allein die einmaligen Aufnahmen der Performance des unmittelbar nach
der Entstehung des Films früh verstorbenen französischen Pop-Art Künstlers Yves
Klein, dessen monochromes Blau Kunstgeschichte schrieb, legitimieren schon die
Ansicht des Film, auch wenn der Kommentator den Künstler nicht nur
fälschlicherweise als Tschechoslowaken bezeichnete (ein seltsamer Fehler,
angesichts der sonst hohen Professionalität), sondern sich auch stammtischartig
über die „Moderne Kunst“ belustigte - wie häufig mit einem Hinweis auf deren
hohen Preis.
Das „Mondo
cane“ als Vorbild für die folgende Welle so genannter „Mondo“ Filme gilt –
darunter die wenig später entstandenen „Sexy nel mondo“ (1963) und „Mondo
balordo“ (1964) von Regisseur Roberto Bianchi Montero – ist nur hinsichtlich
der äußeren Form richtig, inhaltlich gibt es kaum Parallelen. Doch während die
frühen Nachahmer immerhin noch versuchten, dem Begriff „Mondo“ und damit einer
weltweiten Betrachtung gerecht zu werden, sind „Mondo Hollywood“ (USA, 1967)
oder das ab den 70er Jahren inflationär verwendete „Mondo cannibale“ schon in
sich widersprüchlich, da sie sich auf einen sehr begrenzten Bereich konzentrierten. Umberto Lenzis 1972 entstandener Dschungel-Abenteuerfilm „Il paese del sesso selvaggio“ gilt als erster "Mondo cannibale", wobei es sich um einen Etikettenschwindel des deutschen Verleihs handelt. Lenzis Film hat mit „Mondo cane“
nur den darin geäußerten Hinweis des Kommentators auf Kannibalismus gemeinsam und diverse Szenen von Tiertötungen - von einem direkten Einfluss kann nicht die Rede sein.
Dagegen ist
es wichtig, einen Film wie „Mondo cane“ gleichzeitig aus damaliger wie heutiger Sicht zu
betrachten, denn daran lässt sich die Entwicklung eines halben Jahrhunderts in der sich verändernden Bewertung der menschlichen
Zivilisation nachvollziehen. Die damals als sensationell empfundenen Bilder haben ihre Wirkung
in einer medial übersättigten Welt schon lange verloren, weshalb es gerade die
eher unscheinbaren Aufnahmen sind, die heute kaum Jemand mehr zeigt, die tiefe
Einblicke in das Verhalten der Menschheit vermitteln.
"Mondo cane" Italien 1962, Regie: Paolo Cavara, Gualtiero Jacopetti, Franco Prosperi, Drehbuch: Paolo Cavara, Gualtiero Jacopetti, Darsteller : Stefano Sibaldi (Erzähler), Laufzeit : 103 Minuten
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