Inhalt: Mitten während
einer Aufführung von „Julius Cäsar“ beschließt Antonio Berlinghieri (Ugo
Tognazzi) aufzubrechen, weil es für ihn an der Zeit dazu wäre. Das Ende sei bekannt, teilt er unmissverständlich seiner weiblichen Begleitung und einem befreundeten
Paar mit, von denen er selbstverständlich erwartet, dass sie seine
Entscheidung akzeptieren. Für den kommenden Tag hat der erfolgreiche
Geschäftsmann schon feste Vorstellungen. Früh wird er aufbrechen, um seinen 9jährigen
Sohn zwischen 15 und 16 Uhr in dessen Internat zu besuchen – der indianische
Federschmuck, den er ihm mitbringen soll, liegt schon bereit – denn abends will
er wieder zurück sein.
Wie geplant
bricht er mit seinem sportlichen Cabriolet auf, damit aber nur ein gemäßigtes Tempo
einschlagend. Als er den Reifendruck prüfen will, fahren zwei ältere Autos
voller junger Leute nah an ihn heran, um ihn zu ärgern. Als er sich noch über
die heutige Jugend aufregt, sieht er einen der Wagen auf der Straße stehen, kurz bevor
ihn ein Mädchen (Catherine Spaak) zum Bremsen zwingt. Francesca bittet ihn,
ihnen zu helfen, was er großzügig erledigt. Er lässt ein wenig seines Benzins in
einen Kanister ab, damit sie zur nächsten Tankstelle gelangen können. Dort trifft
er sie wieder und erkennt schnell, dass sie den Tankwart um seine Rechnung prellen
wollen. Als er diesem zu Hilfe kommen will und den letzten
Flüchtigen stoppt, markiert dieser eine Ohnmacht. Berlinghieri übernimmt
schuldbewusst die Rechnung und transportiert den jungen Mann zu dem Strandhaus,
in dem die Gruppe gemeinsam wohnt und feiert. Dort hüpft dieser fröhlich aus
dem Auto und springt ins Meer. Jetzt ist Berlinghieri ernsthaft sauer und will nur noch weg, doch er hat sein Auto in der Wut zu tief in den Sand gefahren und kommt
allein nicht mehr heraus…
Regisseur
Luciano Salce blieb sein Leben lang auch Schauspieler, nachdem er erstmals 1946 in
"Un americano in vacanza" von Luigi Zampa aufgetreten war. Aus dieser Phase kurz nach dem
2.Weltkrieg stammen seine Kontakte, die ihn später auch zu einem engagierten Vertreter des
Episodenfilms (unter anderen "Oggi, domani, dopodomani" (1965))
werden ließen. Nach einer kurzen Regie -Tätigkeit Anfang der 50er Jahre,
arbeitete er zunächst am Theater in Venedig und spielte hauptsächlich in Filmen unter
der Regie von Steno, darunter in "Totò nella luna" (1958) gemeinsam
mit Ugo Tognazzi. Tognazzi und Drehbuchautor Franco Castellano, mit denen
er auch zusammen in Mario Mattolis
"Tipi da spiaggia" (1959) agierte, wurden die wichtigsten Begleiter
seines endgültigen Einstiegs als Filmregisseur. "Il federale" (Zwei in
einem Stiefel, 1961) wurde ihr erstes Gemeinschaftsprojekt unter seiner Regie,
dem "La voglia matta" (Lockende Unschuld) und "Le ore
dell'amore" (Stunden der Liebe, 1963) folgen sollten.
Neben der
"Commedia all'italiana" war es besonders der gesellschaftliche Wandel
in der Sexualität der 50er Jahre, der seine frühen Filme beeinflusste, der auch zum gemeinsamen Episodenfilm mit Mario Monicelli, Elio Petri und Franco Rossi,"Alta infedeltà" (Ehen zu Dritt, 1964), führte. Ausgehend
von Alberto Lattuadas seit den frühen 50er Jahren vertretenen Haltung ("La spiaggia" (Der Skandal, 1954)), galt die
moralische Liberalisierung unter linksgerichteten Filmschaffenden als anti-bürgerlich und damit als Kritik an den
bestehenden Verhältnissen. So war es folgerichtig, dass Luciano Salce für die
Hauptrolle einer blutjungen Verführerin Catherine Spaak engagierte, die diese
Rolle - auch unter dem Namen "Francesca" - schon in Lattuadas "I dolci inganni" (Süße Begierde, 1960), damals noch als 15jährige,
verkörperte.
Beide Filme
erzählen zwar prinzipiell verschiedene Storys - Salces Film basiert auf Enrico la Stellas
Roman "Una ragazza di nome Francesca" (Ein Mädchen namens Francesca) - aber hinsichtlich des sexuellen Subtextes wirkt "La voglia matta" wie eine Steigerung zu Lattuadas Film. Spielte Catherine Spaak
dort eine 17jährige aus gutem Hause, die ihre Sexualität erst entdeckt, ist die
Francesca in Salces Film noch keine 16, aber in der Kunst der Verführung schon
sehr bewandert und sexuell offensiv. Zudem agiert sie aus einer Gruppe von
gleich gesinnten Jugendlichen heraus, die zusammen ein paar Tage am Meer
verbringen, während sich Lattuadas Francesca der lärmend fröhlichen
Gruppendynamik entzog. In ihrer - die damalige Gesellschaft provozierenden -
Handlungsweise ähneln sich die beiden jungen Frauen, denn sie sind nicht
bereit, sich den gesellschaftlichen Regeln zu beugen, die verlangten, sich
unterzuordnen und zu binden. Daran, dass die deutsche Kinofassung um mehr als 10 Minuten gekürzt wurde, wird erkennbar, wie sehr dieses Verhaltensweise den damaligen Normen widersprach.
Doch im
Gegensatz zu Lattuada in "I dolci inganni", der ernsthaft eine
Liebesgeschichte mit einem kultivierten Architekten beschreibt, dessen nach
einer gemeinsamen Nacht geäußerter Wunsch, sie zu heiraten, Francesca
zurückweist - dabei offen lassend wie sich ihre Beziehung weiter entwickelt -
geht Salces komödiantisch angelegter Film deutlich weiter und versteht sich als
Konfrontation zwischen der ersten Nachkriegsgeneration Italiens, die ohne
Sorgen in Friedenszeiten aufwachsen konnte, und der letzten vom Faschismus
geprägten Generation, die das Land nach dem Krieg mit aufbaute. In der
Gestaltung des Vertreters dieser Generation, einem Mann um die 40, werden die
Parallelen zu Dino Risis im selben Jahr entstandenen Film "Il sorpasso" (Verliebt in scharfe Kurven) offensichtlich.
Es ist kein
Zufall, das zwei der führenden Darsteller dieser Generation - Vittorio Gassman
und Ugo Tognazzi - jeweils den Prototyp eines Mannes mittleren Alters spielten,
wie er heute noch Gültigkeit besitzt. Getrennt von der Ehefrau (eine
Scheidung war in Italien 1962 noch nicht möglich), kaum Kontakt zum eigenen
Kind, fest davon überzeugt, es zu etwas gebracht zu haben, aber nicht
bereit, das eigene Altern anzuerkennen. Gassman und Tognazzi, die ein Jahr
später gemeinsam unter Risi in "I mostri" (Die Monster, 1963) die
gesamte Palette an zeitgenössischen Männertypen spielen sollten, legten ihre Rollen im
Detail unterschiedlich an. Gassmans Erfolgsattitüde in "Il sorpasso"
war aufgesetzt und wurde von ihm mit einem verwegenen Fahrstil und ständigen
Angebereien überspielt, Tognazzi verkörpert in "La voglia matta"
einen tatsächlich erfolgreichen Geschäftsmann, der daraus einen
selbstverständlichen Anspruch auf die eigene Überlegenheit ableitet.
Antonio
Berlinghieri (Ugo Tognazzi) ist keine außergewöhnliche Persönlichkeit, sondern
ein Durchschnittstyp, der wie viele Männer seiner Generation glaubt, sein Leben
im Griff zu haben. Wenn er zu Beginn seiner römischen Geliebten deutlich zu
verstehen gibt, ihren Arm wieder von seinen Schultern zu nehmen, da sie gesehen
werden könnten, daraufhin sie und ein befreundeten Paar dazu veranlasst, das
Theaterstück "Julius Cäsar" früher zu verlassen, da ihm das Ende
schon bekannt wäre, und er dem anderen Mann Lob zollt hinsichtlich seiner
attraktiven Freundin, ihn gleichzeitig aber davor warnt, sie zu heiraten,
handelt er ganz aus einer tiefen inneren Überzeugung. So wie er den folgenden Tag
schon organisiert hat – nach wie immer vier Stunden Schlaf wird er früh zum
Internat seines 9jährigen Sohnes fahren, für den er eine Stunde Zeit eingeplant
hat, um am selben Tag trotz seiner gemäßigten Fahrweise wieder in sein Haus zurück zu
kommen.
Normalerweise
ließe sich ein solcher Typ kaum von einer Gruppe junger Leute aus der Ruhe
bringen, aber Francesca (Catherine Spaak) ist er nicht gewachsen. Das sie sehr
hübsch ist, erkennt der von sich überzeugte Frauenheld sofort, aber das beeindruckt
ihn nicht besonders, weshalb er zuerst nur genervt reagiert, als sie erst
seinen Weg blockiert, um dann eine Tankfüllung und Getränke zu schnorren. Einer
der jungen Männer täuscht eine leichte Ohnmacht vor, weshalb er ihn mit seinem
Cabriolet zum Strand transportiert, wo er dann fröhlich aus dem Auto springt,
um in die Fluten zu tauchen. Zu diesem Zeitpunkt will Berlinghieri noch weg,
weshalb er sich auf den Handel einlässt, der Gruppe Whiskey zu kaufen, damit
sie ihm helfen, seinen Wagen aus dem Sand zu schieben. Doch er hat nicht damit
gerechnet, dass Francesca und Piero (Gianni Garko in einer seiner ersten
Rollen, bevor er später zu einem wichtigen Protagonisten im Italo-Western-Genre
wurde) sich auf der Rückbank seines Fahrzeugs versteckt hielten, um zu
garantieren, dass er sich auch an ihre Abmachung hält.
Spätestens ab diesem Moment hat Berlinghieri die Kontrolle über das Geschehen verloren,
ohne das es ihm bewusst ist. Normalerweise wäre es ein Leichtes für ihn, Francesca
und Piero einfach aus dem Wagen zu schmeißen, aber er ist es nicht gewohnt,
dass Menschen sich so frei ausleben und er will ihre Sympathie nicht verlieren,
für die er sich sonst wenig interessiert - nicht einmal bei seinem Sohn wie der
Film in einer erschütternd unemotionalen Szene zuvor zeigt. Die Gruppe junger Leute beeinflusst
ihn mit einem genauen Gespür für seine Bedürfnisse und Schwächen, ohne ihn mehr
zu verärgern, als es seine Grenzen zulassen. Zunehmend wird deutlich, dass
Berlinghieris selbstbewusste Attitüde nicht echt ist und er sich nach Liebe und
Zuneigung sehnt, die er in der jugendlichen, ihre Sexualität frei auslebenden
Francesca zu erkennen glaubt.
Die
Intelligenz der Inszenierung zeigt sich darin, dass "La voglia matta"
(wörtlich "Die verrückte Begierde") keine Seite einseitig bevorzugt.
Es handelt sich nicht einfach um die Demaskierung eines bürgerlichen Prototyps
zu einer lächerlichen Figur, sondern Tognazzis differenziertes Spiel lässt auch
die Tragik dahinter sichtbar werden. Das Trauma des Krieges ist Berlinghieri
nach wie vor gegenwärtig - mehrfach sieht er im Schlaf einen englischen
Soldaten vor sich - und die Gefühle, die er für Francesca entwickelt, sind, so
verrückt sie sein mögen, echt empfunden, während er den Besuch seines Sohns vergessen hat. Die jungen Leute dagegen spielen nur mit ihren Emotionen und
Meinungen, nehmen ständig wechselnde Rollen ein und wollen sich nicht
festlegen. Mussolini scheinen sie nicht mehr zu kennen und eine Schallplatte
mit einer Rede Adolf Hitlers läuft als Unterhaltungsmusik.
Einzig ihr
Spaß steht im Vordergrund, der zuerst auch Francesca antreibt. Doch ihre Figur
ist differenzierter, denn während ihre Freunde den älteren Mann eher skeptisch
betrachten und nach der anfänglichen Schnorrerei gerne wieder losgeworden
wären, sorgt sie dafür, dass er bei ihnen bleibt. Umso ernsthafter er seine
Gefühle formuliert, desto wilder treibt sie ihr Spiel mit ihm, verführt ihn
offensiv, um ihn im nächsten Moment bloß zu stellen. In ihrer Konfrontation
findet der eigentliche Generationskonflikt statt, zeigt Salce die gegenseitige
Anziehungskraft und gleichzeitige Ablehnung.
Weder will
"La voglia matta" bewerten, noch zwischen den Generationen
vermitteln, aber er lässt deutlich werden, dass beide Seiten nur Rollen
spielen, die ihre echten Bedürfnisse nicht widerspiegeln. In der Schlüsselszene
des Films tanzen die Paare eng umschlungen zu dem melancholischen Lied
"Non esiste l'amor" ("Liebe existiert nicht" - erstmals mit
einer von Ennio Morricone zusammengestellten und teilweise komponierten
Filmmusik). Einen Moment lang kehrt Ruhe ein, lassen sich echte Emotionen in
den Gesichtern lesen, werden Gemeinsamkeiten auch zu Berlinghieri spürbar. Bis Jemand die Situation
empfindlich stört und wieder zum allgemeinen Gelächter überleitet - der
Generationskonflikt geht weiter.
"La voglia matta" Italien 1962, Regie: Luciano Salce, Drehbuch: Franco Castellano, Luciano Salce, Enrico La Stella (Roman), Darsteller : Ugo Tognazzi, Catherine Spaak, Gianni Garko, Fabrizio Capucci, Franco Giacobini, Laufzeit : 105 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Luciano Salce:
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