Inhalt: Während
die Freundinnen Eugenia (Ornella Muti) und Nicola (Eleonora Georgi) gemeinsam
Hausaufgaben machen, werden sie wieder Zeuge, wie Eugenias Mutter Elisa (Valentina
Cortese) sich beim Klavierspielen ihren immer heftiger werdenden Emotionen hingibt,
bis die Haushälterin sie stoppt. Besonders Eugenia ist von ihrer Mutter
genervt, die sie wegen ihrer ständigen Gefühlsschwankungen für verrückt hält.
Dagegen liebt sie ihren Vater Dr.Emilio Rutelli (Gabriele Ferzetti) abgöttisch,
den sie entsprechend begeistert begrüßt als er nach Hause kommt.
Auch Nicola
scheint von Dr.Rutelli sehr angetan zu sein, denn unter dem Vorwand einer
Untersuchung besucht sie ihn in seiner Zahnarztpraxis, um ihn nach der
Verabreichung einer Betäubungsspritze zu verführen. Er reagiert irritiert und
glaubt, es läge an dem neuen Mittel, da sie nach ihrem Erwachen nichts mehr von
ihrer Aktion zu wissen scheint, fühlt sich aber geschmeichelt. Gegenüber seiner
Frau, die ihn mit ihren übermäßigen Liebesbekundungen dagegen überfordert,
plagt ihn sein schlechtes Gewissen, da sie ihre Karriere als Pianistin für ihn
aufgegeben hatte. Doch die kurze Erfahrung mit Nicola lässt ihm keine Ruhe…
"Appassionata"
war der erste Film des damals 30jährigen Regisseurs Gianluigi Calderone, der
zuvor als Assistent an dem Episodenfilm "Amore e rabbia" (Liebe und
Zorn, 1969) mitgearbeitet hatte, und der so nur in der ersten Hälfte der 70er
Jahre entstehen konnte. Verglichen wurde "Appassionata" seinerzeit
mit den Filmen Salvatore Samperis, der seine erotischen Geschichten
("Malizia" (1973), an dessen Drehbuch Co-Autor Alessandro Parenzo ebenfalls mitgearbeitet hatte) aus einem atmosphärisch stimmig entworfenen,
historischen Kontext erzählte. Ähnlichkeiten lassen sich hinsichtlich des weichen,
indirekten Lichts feststellen, auch die üppige, an Farben reiche Ausstattung
der Villa erinnert an Samperi, aber Calderones Film spielte stattdessen in der
italienischen Gegenwart in Rom.
Im Zuge des
sexuellen Wandels, Ende der 60er Jahre, hatte die Darstellung von Sexualität im
Film zugenommen, aber sein Schmuddel-Image noch nicht abgelegt. Deshalb wurde
versucht, die Nacktheit der Darstellerinnen in einen seriösen Kontext zu
bringen, obwohl kein Zweifel daran bestehen konnte, dass erst der damit
verbundene Skandal den Reiz und damit die Werbewirksamkeit dieser Filme
ausmachte. Allein die Besetzung der beiden weiblichen Hauptrollen mit der
damals 19jährigen Ornella Muti und der wenig älteren Eleonora Georgi, die zwei
befreundete 16jährige Schülerinnen spielen, war eine gezielte Maßnahme, denn an
Schönheit waren sie nur schwer zu übertreffen. Aus heutiger Sicht ist es
bemerkenswert, dass sich dieses Image bis in die Gegenwart gehalten hat, obwohl
die wenigen Momente der Nacktheit sehr dezent integriert wurden und der Film
eine darüber hinaus gehende eigenständige Szenerie entwickelte.
Zur
Entstehungszeit des Films war es in Italien keineswegs üblich, dass die
weibliche Jugend selbstbewusst ihre eigene Sexualität ausübte, schon gar nicht
in den gehobenen Kreisen, zu denen die Diplomatentochter Nicola (Eleonora
Georgi) und ihre Freundin Eugenia (Ornella Muti), Tochter des Zahnarztes Dr.
Emilio Rutelli (Gabriele Ferzetti), gehören. Dessen harsche Reaktion, als er
ein Telefonat mit anhört und von den angeblichen Amouren seiner Tochter
erfährt, ist absolut authentisch, denn ein Vater achtete auf die
Jungfräulichkeit seiner Tochter. Ihr dabei das Oberteil einzureißen und damit
ihre Brust freizulegen, bedeutete einen gewünschten Nebeneffekt für den Betrachter,
war letztlich aber nicht weniger verlogen als die moralische Haltung des
Vaters.
Ähnlich wie
in vielen erotischen Filmen dieser Phase, kommt es auch in
"Appassionata" zu keinen sexuellen Kontakten zwischen Gleichaltrigen.
Dahinter verbirgt sich noch die stark von der katholischen Kirche bestimmte
Moral, dass nur in der Ehe sexuelle Handlungen vollzogen werden sollten,
weshalb bewusst Konstellationen für die ersten Erfahrungen gewählt wurden, die
als legitime Verbindungen nicht in Frage kamen. Üblicherweise wurden sie aus
der männlichen Sicht betrachtet, da es für den zukünftigen Patriarchen
selbstverständlich war, eine Jungfrau zu heiraten, er aber sein aufblühendes
sexuelles Verlangen schon früher befriedigen wollte. Ob in "Malizia"
das Hausmädchen, in "L'insegnante" (Die Bumsköpfe, 1975) die
Lehrerin oder in "Lezioni private" (1975) die Klavierpädagogin -
immer waren es attraktive ältere Frauen, die den jungen Männern sexuell zu
Diensten waren.
Dagegen
entwickelt "Appassionata" seine Story aus der Sicht zweier
selbstbewusster weiblicher Teenager, weshalb der Film in seiner Anlage
irritierte. Einerseits sollten Muti und Georgi mit ihrer Optik die
voyeuristischen Bedürfnisse männlicher Betrachter befriedigen, andererseits
agieren sie keineswegs wie willfährige Objekte. Den beiden
Jungschauspielerinnen wurden zudem mit Gabriele Ferzetti und Valentina Cortese
zwei renommierte Darsteller an die Seite gestellt, die stimmig das Abbild eines
Ehepaares mittleren Alters wiedergeben, dessen Konstellation seine Gültigkeit
bis heute bewahrt hat. Während ihr Mann seinem Beruf als Zahnarzt nachging,
verzichtete die Pianistin auf ihre Musik-Karriere, ganz im Sinn der klassischen
Rollenverteilung. Valentina Cortese spielt überzeugend eine Frau um die 50, die
in ihre eigene Falle getappt ist. Ihre emotionalen Schwankungen gelten als
Anzeichen einer Depression, weshalb sie im Auge ihres Mannes, aber besonders
ihrer Tochter, stets am Rande der Einlieferung in ein Sanatorium für psychisch
Kranke steht.
Doch ihr
Mann agiert nicht souveräner, auch wenn er im gesellschaftlichen Sinn
funktioniert. Er bemüht sich um seine Frau, kann aber mit ihren Ausbrüchen
nicht umgehen, weshalb er sehr empfänglich auf Nicolas Verführungskünste
reagiert, die ihn in wilden Fantasien verfolgen. Zwischen Nicola und Eugenia,
die ihren Vater mit nicht weniger erotischer Energie um den Finger zu wickeln
versucht, scheint ein Wettkampf um die Gunst des älteren Mannes zu entstehen,
weshalb die Freundinnen zunehmend in Streit geraten, aber das täuscht. Nicht
Dr. Rutelli bestimmt das Handeln, sondern die beiden jungen Frauen dosieren
ihre Zuneigung ganz nach ihrem Belieben, auch im Umgang mit Eugenias Mutter.
Seltsamerweise
wird das Verhalten von Eugenia und Nicola häufig negativ bewertet, obwohl sie
in ihrem pubertären Austesten der eigenen Möglichkeiten nicht anders agieren
als ihre männlichen Pendants. Dabei ist es die Schwäche der Erwachsenen, die
ihnen ihre Überlegenheit erst ermöglicht. Doch während die Mutter spät noch
eine konsequente Haltung beweist, ist es der Vater, der zum eigentlichen Objekt
wird. Indem "Appassionata" am Ende nicht deutlich werden lässt, ob
und mit wem der sexuelle Akt tatsächlich stattfindet - man sieht nur wie Nicola
hinein geht und wie Eugenia am Morgen nackt das Bett ihres Vaters verlässt -
gesteht der Film dem Mann keinen Erfolg zu. Das letzte Bild gehört entsprechend
den Freundinnen, die wieder vereint fröhlich davon gehen - eine selten
gelungene emanzipierte Konstellation trotz der voyeuristischen Absichten des
Films.
"Appassionata" Italien 1974, Regie: Gianluigi Calderone, Drehbuch: Gianluigi Calderone, Allessandro Parenzo, Domenico Rafele, Darsteller : Ornella Muti, Eleonora Giorgi, Gabriele Ferzetti, Valentina Cortese, Ninetto Davoli, Laufzeit : 92 Minuten
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