Inhalt: Giulio
Sacchi (Tomas Milian) verliert als Fahrer des Fluchtwagens bei einem
Banküberfall die Nerven, als ein Polizist auf ihn zukommt, weshalb die Gangster
nur knapp entkommen. Entsprechend verärgert reagiert deren Chef Majone (Luciano
Catenacci), lässt Sacchi verprügeln und droht ihm mit tödlichen Folgen, sollte
er sich wieder in ihrer Nähe sehen lassen. Doch der arbeitslose Kleinkriminelle
lässt sich nicht unterkriegen, sondern hat eigene hochtrabende Pläne. Als er
seine Freundin Iona (Anita Strindberg) wie häufig von deren Arbeit abholt,
sieht er zufällig Marilù (Laura Belli), die jugendliche Tochter ihres reichen
Chefs, und fasst den Entschluss, sie gemeinsam mit zwei Kumpels zu entführen,
um ihren Vater (Guido Alberti) um eine halbe Milliarde Lire zu erpressen.
Zu Dritt
versuchen sie sie zu überwältigen, als sie sich gerade mit ihrem Freund
(Lorenzo Piani) zu einem Schäferstündchen in einem Waldstück zurückgezogen
hatte. Doch als es mit dem Freund Schwierigkeiten gibt, gelingt es Marilù zu
einer nahe gelegenen Villa zu gelangen, wo betuchte Freunde gerade einen
geselligen Abend verbringen. Bevor sie begreifen, was mit Marilù passiert ist, stehen
schon Sacchi und seine Kumpanen schwer bewaffnet in der Tür. Am nächsten Morgen
steht Commissario Grandi (Henry Silva) nicht nur vor einer Vielzahl an Leichen,
sondern auch einem Entführungsfall, bei dem höchste Eile geboten ist…
Nachdem er
seinen letzten Poliziesco "Milano rovente" (1973) schon in Mailand
spielen ließ, knüpfte Umberto Lenzi mit "Milano odia: la polizia non può
sparare" nicht nur wieder an den Ort der Handlung, sondern auch an die
schöne Tradition an, dem Polizeifilm einen lange Titel zu geben, wie zuvor
beispielhaft "La polizia sta a guardare" (Der unerbittliche
Vollstrecker, 1973) von Roberto Infascelli oder "La polizia incrimina la legge assolve" (Tote Zeugen singen nicht, 1973) von Enzo G.Castellari.
Auch die Bedeutung des Titels ist recht viel sagend mit "Mailand hasst:
die Polizei darf (wahlweise "kann") nicht schießen", aber der
deutsche Verleih machte daraus ein profanes "Der Berserker".
Seltsamerweise wird in vielen Publikationen die Meinung vertreten, der deutsche
Titel, der sich auf den von Tomas Milian verkörperten Kriminellen Giulio Sacchi
bezieht, träfe damit ins Schwarze, dabei verkennend, das Milian in "Milano
odia: la polizia non può sparare" keinen brachialen Gewalttäter, sondern
einen in seiner Komplexität neuen Verbrechertypus schuf, der prägend für das
Genre wurde.
Lenzis Polizeifilme orientierten sich Mitte der 70er Jahre an den realen
Ereignissen in Italien - steigende Verbrechensraten und Terrorakte - und wurden
in der Darstellung von Gewalttaten zunehmend umfassender ("Roma a mano armata" (Die Viper, 1976)). Hier, in seiner ersten Zusammenarbeit mit
Tomas Milian, beschränkt er sich größtenteils auf eine damals sehr populäre
Methode - Entführung und Erpressung, wie sie etwa auch Eriprando Visconti in
"La Orca" (La Orca - gefangen, geschändet, erniedrigt, 1976) oder er
selbst in einer weiteren Zusammenarbeit mit Tomas Milian und Henry Silva in
"Il trucido e lo sbirro" (Das Schlitzohr und der Bulle)
thematisierte. Der von Milian gespielte Giulio Sacchi ist nur aus diesem
Zeitgeist heraus zu verstehen, denn Lenzi macht deutlich, das es sich bei dem
filigranen, äußerlich wenig Furcht einflößenden Kleinganoven ursprünglich um
einen Mitläufer handelt, der in Unterweltkreisen nicht für voll genommen wird.
Gleich zu Beginn versaut er beinahe einen Banküberfall, als er überhastet
reagiert, als sich ein Polizist dem von ihm gesteuerten Fluchtfahrzeug nähert.
Die Gangster unter der Leitung von Ugo Majone (Luciano Catenacci) lassen ihn
sein Versagen darauf hin körperlich spüren und jagen ihn zum Teufel. Doch
Sacchi reagiert nicht typisch - weder rächt er sich, noch begeht er
irgendwelche überhasteten Verbrechen auf eigene Faust - sondern nutzt sein
Image für seine weitere Vorgehensweise. Ihn als Wahnsinnigen zu bezeichnen, ist
zu oberflächlich, auch wenn Milian das rigorose Morden seiner Figur häufig mit
einem leicht irren Blick begleitet und wenig Coolness ausstrahlt. Doch das
sollte nicht verkennen lassen, dass seine Taten oft spontan, auch ungewollt
oder gezwungenermaßen geschehen, er aber instinktiv stets das schlüssige Alibi
im Auge behält. Sacchi tötet im Film letztlich nur Menschen, die ihm als Zeugen
gefährlich werden könnten, auch wenn diese ihm persönlich nahe stehen.
Gefährlicher ist er im täglichen Umgang, in seiner Art seine Umgebung zu
beeinflussen - dagegen mordet er direkt und ohne sadistischen Gestus.
Das Neuartige an dieser Figur liegt darin, das diese sich aus dem zunehmenden
Bewusstsein einer Unterschicht entwickelt, den Aufstieg auf legale Weise nicht
schaffen zu können. Kein passives Abgleiten in die Kriminalität als Ausdruck
des bürgerlichen Scheiterns, sondern ein aus innerer Überzeugung
gerechtfertigtes aktives Vorgehen treibt den arbeitslosen Sacchi an. Seine
Argumente klingen nach Klassenkampf, womit er die politischen Absichten
dahinter pervertiert. Zudem begreift er, der auch eine hübsche, bürgerliche
Freundin hat (Anita Strindberg), die Mechanismen einer sich rasant verändernden
Gegenwart, indem er mit überholten gesellschaftlichen Klischees spielt. Sehr
genau erfasst Ennio Morricones Musik diesen Charakter, die das unter dem fast
harmlos wirkenden Äußeren verborgene Grauen anklingen lässt. Damit griff Lenzi,
angesichts der Stärkung der Arbeiterklasse Ende der 60er Jahre und einer daraus
entstehenden Durchlässigkeit der Schichten, unmittelbar die Ängste einer
konservativ geprägten Gesellschaft auf. So sehr er Sacchis gnadenloses Vorgehen
ins Extreme zuspitzt und nicht mit schockierenden Momenten spart, so
faszinierend bleibt diese Figur trotzdem in ihrer aalglatten Flexibilität - ihn
als "Berserker" zu bezeichnen, könnte missverstandener kaum
sein.
Das Lenzi dessen Gegenpart Commissario Walter Grandi (Henry Silva) deutlich
reduzierter angelegt hat, liegt an dessen Verkörperung des bisherigen Status.
Brandi ist zwar einer von der harten Sorte, aber noch ganz dem konservativen
Kampf gegen das Verbrechen verpflichtet. Er reiht sich damit in eine Umgebung
ein, die im Gegensatz zu Sacchi noch nicht in der Moderne angekommen zu sein
scheint. Lenzi verzichtet als Kontrast zu Sacchi auf jede Überzeichnung der
anderen Protagonisten, unabhängig davon, ob es sich um den Großindustriellen
Porrino (Guido Alberti) handelt, dessen Tochter Marilù (Laura Belli) entführt
wurde, um den Staatsanwalt, um Sacchis Freundin oder seine beiden Kumpanen. Sie
alle verhalten sich entsprechend ihrer jeweiligen Position angemessen und
nachvollziehbar, womit sie Sacchi nicht gewachsen sind, dessen Verhalten Jeden
von ihnen überrascht. Grandis abschließende Konsequenz ist entsprechend keine
Befreiung, sondern Ausdruck einer tiefgehenden Hilflosigkeit.
Die Figur des Giulio Sacchi wurde in den folgenden Jahren von Tomas Milian
mehrfach variiert und wiederholt gespielt. In ähnlich bösartig hinterlistiger
Form als der Bucklige ("Il gobbo") Vincenzo Moretto, in "Roma a mano armata", diesmal mit Maurizio Merli als Gegenspieler, der die Zeichen
der Zeit erkannt hatte. In der abgeschwächten Figur des gewitzten
Kleinkriminellen Sergio Morazzi, erstmals in "Il trucido e lo sbirro"
auftretend, und am populärsten als ungewöhnlicher Polizist Nico Giraldi, dessem
"Squadra antiscippo" (Der Superbulle mit der Strickmütze, 1976) noch
zehn weitere Filme folgen sollten. So unterschiedlich sie charakterlich auch
angelegt waren, so vereinte sie doch eine Eigenschaft - sie waren in der
Gegenwart angekommen.
"Milano odia: la polizia non può sparare" Italien 1974, Regie: Umberto Lenzi, Drehbuch: Ernesto Gastaldi, Darsteller : Tomas Milian, Henry Silva, Laura Belli, Gino Santercole, Anita Strindberg, Ray Lovelock, Laufzeit : 96 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Umberto Lenzi:
"Roma a mano armata" (1976)
"Il trucido e lo sbrirro" (1976)
"La banda del gobbo" (1978)
"Incubo sulla città contaminata" (1980)
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