Inhalt: Als
Kommissar Stéphane Carella (Jean-Louis Trintignant) mit dem Schiff, das er
gemeinsam mit Jocelyne (Carla Gravina) genutzt hatte, am Hafen von Nizza
ankommt, wird er schon von seinen Kollegen erwartet, um mit ihm zum
Kommissariat zu fahren. Doch vorher verabschiedet er sich noch von Jocelyne, die
ihm eine kleine Pfeife einsteckt, mit der er sie zu sich rufen kann, wenn er
will. Währenddessen wird Sandra (Dominique Sandra), die sich bei den
Vorbereitungen ihres Freundes und TV-Moderators Julien (Sasha Distel) für
dessen neue Live - Sendung in der Stadt befindet, von ihrem Stiefvater Tony
Forest (Michel Bardinet) aufgefordert, zu ihrer Mutter zum Mittagessen zu
gehen. Offensichtlich mag er Julien nicht, aber dieser erwähnt lächelnd nur
eine alte Geschichte, ohne näher darauf einzugehen.
Nur wenig
später, als Forest sich gerade bei einem Treffen mit Geschäftsleuten in einer
noblen Villengegend von Nizza befindet, fällt er plötzlich tot um, nur mit
einer kleinen Einschussöffnung auf der Stirn. Weder war ein Schuss zu hören,
noch ein Täter zu sehen. Carella, begleitet von einem großen Polizeiaufgebot,
beginnt sofort mit den Ermittlungen, findet aber auch im Gespräch mit der Frau (Esmeralda
Ruspoli) des Ermordeten und ihrer Tochter Sandra keine Hinweise auf ein Motiv.
Doch seine Arbeit wird schon kurz danach unterbrochen, als ihm gemeldet wird,
dass der Architekt Barroyer (Alexis Sellan) auf die gleiche Weise an einem
Swimming-Pool erschossen wurde. Was verbindet die beiden getöteten Männer?
Als
Philippe Labro 1971 "Sans mobile apparent" (wörtlich "Ohne
offensichtliches Motiv") inszenierte, befand er sich damit auf der Höhe
der Zeit und vereinte eine Vielzahl von Stilrichtungen in seinem Film. Sein
Drehbuch war nach einem Roman des amerikanischen Autors Evan Hunter
(Originaltitel "Ten plus one") entstanden, der selbst viele
Drehbücher verfasst hatte - darunter zu "The birds" (Die Vögel, 1963)
von Alfred Hitchcock - worin Labros Vorliebe für die USA und deren
Kriminalfilme deutlich wurde. Diese wiederum verband ihn mit Jean-Pierre
Melville, mit dem er befreundet war, und dessen ästhetischer Einfluss in der
nach Nizza an die französische Mittelmeerküste versetzten Handlung ebenfalls
spürbar wird, wie schon an dem voraus gesetzten Zitat von Raymond Chandler
ersichtlich wird.
Neben
diesem französisch - amerikanischen Konglomerat ergänzte Labro seinen
italienisch co-produzierten Film noch mit Stilelementen des Poliziesco,
unterstützt von dem Drehbuchautor Vincenzo Labella. Auch die beeindruckende Besetzung
weiblicher Stars setzte sich gleichberechtigt aus den französischen Darstellerinnen
Dominique Sanda und Stéphane Audran sowie den Italienerinnen Carla Gravina und
Laura Antonelli zusammen. Wie auch Hauptdarsteller Jean-Louis Trintignant zuvor
schon in einer Vielzahl italienischer Filme ("Il silenzio"(Leichen
pflastern seinen Weg, 1968), "Il sorpasso" (Verliebt in scharfe
Kurven, 1962)) mitgewirkt hatte.
Diese
Mischung unterschiedlicher Stile ließ "Sans mobile apparent" zu einem
ungewöhnlichen Film werden, dessen Ästhetik die manchmal unfertig wirkende
Story in den Schatten stellt. Während einige Szenen in ihrer stylischen
Inszenierung die Kälte des Mordens mit einem Präzisionsgewehr genau wiedergeben
- ein Eindruck, der von Ennio Morricones Filmmusik noch verstärkt wird - wirken
die Charakterisierungen der Protagonisten nicht zu Ende gedacht. Das gilt auch
für Stéphane Carella (Jean-Louis Trintignant), dem ermittelnden
Polizeioffizier, dessen Charakter als knallharter, die Polizeiregeln sehr frei
interpretierender Verfolger an den Poliziesco erinnert, dessen manchmal
kindlichen Ausbrüche und seine Beziehungen zu den Frauen aber nicht näher
betrachtet werden.
Gleich zu
Beginn, als er sich mit Jocelyne Rocca (Carla Gravina) gemeinsam auf dem Schiff
nach Nizza befindet, steht er plötzlich auf und richtet seine Pistole albern
gen Himmel, Schüsse vortäuschend. Zu diesem Zeitpunkt weiß der Betrachter noch
nicht, dass er mit Jocelyne einmal eine Beziehung hatte, die er vor einiger
Zeit beendet hatte, aber auch im weiteren Verlauf erfährt man keine Details
dazu, obwohl Jocelyne ebenfalls im Fadenkreuz des Täters zu stehen scheint. Allein
in dieser Konstellation steckte genügend Komplexität für den gesamten Film,
aber „Sans mobile apparent“ beließ es bei wenigen, kühl inszenierten Momenten
angedeuteter Emotion. Trotzdem bleibt die Figur des Carella der überzeugendste
Charakter des Films, weniger dank des Drehbuchs als dem variablen Spiel
Trintignants, in dessen Blick immer auch ein wenig der Wahnsinn des manischen
Verfolgers zu spüren bleibt.
Die
Grundlage der Story, die von Morden an Menschen erzählt, die am helllichten Tag
von einem Scharfschützen erschossen werden, ohne das es ersichtlich wird, was
diese Personen miteinander verbindet, ist viel versprechend, aber Phillipe
Labro verhebt sich ein wenig bei dem Versuch, zu viele weitere Komponenten zu
integrieren. Neben dem klassischen "Who done it?" stehen die
einzelnen Opfer für diverse Gesellschaftsgruppen - der reiche Geschäftsmann mit
der angeblich glücklichen Ehe, dessen Stief - Tochter (Dominique Sanda), die
eine Beziehung mit dem Fernsehmoderator Julien (Sacha Distel) hat, der angeberische
Architekt Barroyer (Alexis Sellan), der geschäftstüchtige Astrologe Hans
Kleinberg (Erich Segal), der alternde Theaterregisseur und die junge
Arzthelferin - deren Lebensumstände meist nur angerissen werden, obwohl einige
davon sehr interessant sind.
Über allem
schwebt ein Hauch Gesellschaftskritik, gibt es ein Anlehnen an die aktuellen
politischen Ereignisse der Zeit, wenn etwa Carella das „Anarchie“ - Zeichen auf
sein Cabriolet gemalt wird, zeigen sich Verdrängung, Skrupellosigkeit und
Egoismus im Charakter der Protagonisten, auch in der Haltung des Polizeichefs,
dem es nur um eine schnelle Aufklärung mit den üblichen Verdächtigen geht,
womit er Carellas Arbeit eher behindert. Doch diese kritischen Ansätze bleiben
so oberflächlich, wie die Lösung letztlich fast profan scheint, ohne sich dem
Täter näher zu widmen, dessen Motive durchaus komplexer Natur sind und auch die
Selbstjustiz-Thematik streifen. Möglicherweise reichte Anfang der 70er Jahre
allein schon der Auslöser des Dramas, um die Betrachter angemessen zu
schockieren, aber das ändert nichts daran, das Labros Film seine vielen
Möglichkeiten nicht nutzt und einen inhomogenen Eindruck hinterlässt.
"Style
over substance" wäre der nahe liegende Begriff aus heutiger Sicht, aber
das greift zu kurz. Nicht nur die Ästhetik der Inszenierung und die Musik
Morricones bestimmen das Geschehen, auch die Darsteller sind durchgehend sehr
gut und lassen Abgründe in ihren Charakteren erkennen, ohne das Labro ins
Moralisieren verfällt, aber der Film wechselt zu schnell zur nächsten Szene,
beim Versuch seiner großen Darstellerschar gerecht zu werden. "Sans mobile
apparent" ist unterhaltend und spannend, vermittelt ein genaues Bild des
damaligen Zeitgeistes, deutet aber eine mögliche Tiefe innerhalb der Story an,
die er nicht umzusetzen in der Lage ist.
"Sans mobile apparent" Frankreich, Italien 1971, Regie: Philippe Labro, Drehbuch: Phillipe Labro, Vincenzo Labella, Evan Hunter (Roman), Darsteller : Jean-Louis Trintignant, Carla Gravina, Dominique Sanda, Laura Antonelli, Stéphane Audran, Sasha Distel, Laufzeit : 97 Minuten
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