Inhalt: Jef
Costello (Alain Delon) verlässt seine karge Wohnung, die er nur mit einem
kleinen Vogel in einem Käfig teilt, und begibt sich auf die Straßen von Paris.
Dort öffnet er einen Citroen und probiert in Ruhe seine Zündschlüssel aus, bis
er den passenden findet. Mit dem gestohlenen Wagen fährt er in die Garage eines
Spezialisten, der ihn mit einer Waffe versorgt und neue Nummernschilder
anschraubt.
Danach
besucht er Jane Lagrange (Nathalie Delon) in ihrer Wohnung, um mit ihr sein
Alibi abzustimmen. Er erfährt von ihr, dass ihr wohlhabender Geliebter um zwei
Uhr nachts vorbei kommt, um sich später für denselben Zeitpunkt bei einer
Pokerrunde anzumelden. In den Hinterräumen eines Pariser Nachtclubs erschießt
er die Zielperson, wird aber beim Betreten und Verlassen des Gebäudes von
mehreren Zeugen gesehen, genauer von der Pianistin Valerie (Cathy Rosier), die
ihm unmittelbar nach der Tat gegenüber steht. Ruhig verfolgt Costello weiter
seinen Plan, fährt zu der Wohnung von Jane Lagrange, um den Hausflur in dem
Moment zu verlassen als ihr Geliebter diesen betritt. Wenig später wird er von
der Pariser Polizei als einer von vielen Verdächtigen bei der Pokerrunde
verhaftet…
Als
"Le samouraï" (Der eiskalte Engel) 1967 in die Kinos kam, bedeutete
dieser Film nichts weniger als eine Zäsur
- sowohl in Jean-Pierre Melvilles Filmschaffen, als auch für das Genre
des Kriminalfilms schlechthin. So einflussreich der Film für viele
Filmschaffende wurde, so missverständlich wurde der Umgang mit diesem Werk,
dessen tatsächliche Qualitäten von einer Vielzahl an Fehlinterpretationen
überdeckt wurden, die schon mit dem deutschen Titel begannen. Auch der
Filmtitel des italienischen Co-Produzenten "Frank Costello, faccia
d'angelo" bezieht sich auf das schöne Gesicht Alain Delons, verzichtet
aber immerhin auf den unzutreffenden Zusatz "eiskalt" ("In Japan hat der Film seinen Namen behalten, wohingegen man ihn in Italien als "Frank Costello, faccia d'angelo" herausbrachte - weil es der Name eines amerikanischen Gangsters ist. Diese Hunde!" J.P. Melville in "Kino der Nacht").
Dabei weist
Melville mit dem Originaltitel auf das ehrenhafte, einem strengen Kodex
folgende Verhalten hin, dem sich jeder Samurai bedingungslos unterwirft. In der
japanischen Legende der "47 Samurai" bilden das Tötungsdelikt und die
Konsequenz daraus für den Täter eine untrennbare Einheit, aber Melvilles
Interpretation eines solchen Individuums innerhalb der westlichen
Sozialisation, musste auf den Versuch treffen, dessen Verhalten mit bekannten psychologischen Mustern zu erklären. Begriffe wie Einsamkeit,
Todessehnsucht, Bindungsunfähigkeit oder Gefühlskälte wurden in die regungslos
scheinenden Gesichtszüge Alain Delons hinein interpretiert, dabei verkennend,
das sie sich nur in ihm spiegeln, letztlich Ausdruck der ihn umgebenden
Gesellschaft sind.
Die äußere
Form:
Als
besonders bemerkenswert gelten die ersten zehn Minuten des Films, in denen kein
Wort gesprochen wird. Abgesehen davon, das sich Jef Costello (Alain Delon) zu
Beginn den Vorbereitungen seines Attentats widmet, wobei er nur einem Mann
begegnet, der ihm gefälschte Nummernschilder an den gestohlenen Wagen schraubt,
zeigt sich darin der typische Stil Jean-Pierre Melvilles. Bei ihm liegt die
Konzentration auf der Handlung, während die Dialoge auf ein notwendiges Minimum
beschränkt werden. Auch im zuvor gedrehten „Le deuxième souffle" (Der
zweite Atem, 1966) fällt in den ersten sieben Minuten kein Wort, obwohl dort
drei Männer gemeinsam aus dem Gefängnis ausbrechen, aber wenn es einmal zu
längeren Dialogen kommt - in der Regel eher in der Form von Monologen - dann
verfolgen die Ausführenden damit immer einen perfiden Plan.
In diesem
Stilmittel wird zudem der Einfluss auf Quentin Tarantino deutlich, der in
seinen Filmen allerdings wesentlich mehr davon Gebrauch machte, denn man sollte
sich in den eloquenten, äußerlich freundlichen Worten, für die in „Le
samouraï" der Kommissar (François
Périer) zuständig ist, nicht täuschen. Er schleicht sich von hinten an und will
seinen Gegner einlullen, verfolgt dabei aber immer egoistische Ziele ("Der von Périer gespielte Kommissar ist eine sehr subtile, sehr abgebrühte Figur" J.P. Melville in "Kino der Nacht"). Costellos
sparsame Sätze sind dagegen von klarer Aufrichtigkeit. Mit diesen Gegensätzen
arbeitete Melville auch schon in „Le deuxième souffle", wurde in seinen
späteren Filmen aber immer reduzierter. In seinem letzten Film „Un flic"
(Der Chef, 1972) verzichtete er auf jeden ausführlichen Dialog - Straftäter und
Strafverfolger agierten auf einer Ebene, persönliche Befindlichkeiten wurden
nicht mehr ausgetauscht. Auch in der Strenge der äußeren Form und den
Anspielungen auf den amerikanischen „Film noir" reiht sich „Le
samouraï" in Melvilles Schaffen ein, nicht aber in der Anlage seiner
Hauptfigur.
Jef
Costello, der Profi-Killer:
Coole,
kontrolliert handelnde Protagonisten waren seit „Le silence de la mer“ (Das
Schweigen des Meeres, 1949) ein fester Bestandteil in Melvilles Werk, Emotionen
zeigten sich nur in Nuancen, blieben dafür aber umso prägnanter. Auch der
Vorgänger Jef Costellos, der von Lino Ventura verkörperte Gustave in „Le
deuxième souffle", zeichnete sich durch Zurückhaltung aus, war aber in
seinem Charakter noch nachvollziehbar. Werte wie Freundschaft und
Zuverlässigkeit hatten für ihn höchste Priorität, blieben immer Grundlage
seines Handelns, auch wenn er dafür Töten musste.
Betrachtet
man Melvilles spätere Kriminaldramen wird der zunehmende Hang zum Fatalismus
deutlich, der sich in dem sinnlosen Ende von „Le deuxième souffle" schon
andeutete. In „Le cercle rouge“ (Vier im roten Kreis, 1971) kommen keine alten
Kameraden mehr zusammen, um ein Ding zu drehen, sondern begegnen sich
demoralisierte Männer ohne Zukunftsaussichten. Sie agieren nur noch um der
Aktion willen, was Melville in seinem leider letzten Film „Un flic“ (Der Chef,
1972) weiter zuspitzt. Die Hintergründe einer Story und die Intentionen der
Handelnden entwickelte Melville in seinen Filmen grundsätzlich erst aus dem
Geschehen heraus, aber in „Un flic“ lässt er auch bei fortschreitender Handlung
keine emotionalen Motive mehr erkennen. Weder auf der Seite der Unterwelt, noch
der Polizei – nicht einmal in den Liebesbeziehungen.
Frauen
spielten in Melvilles späten Filmen keine Hauptrolle mehr, ihre Interaktionen
mit den männlichen Protagonisten blieben aber wesentlich für den Charakter
seiner Filme. In „Le deuxième souffle" hatte Gustave noch eine echte
Partnerin an seiner Seite, die nach seinem Gefängnisausbruch weiter zu ihm
hielt, einen Vorzug, über den Alain Delon als Corey in „Le cercle rouge“ nach
seiner Entlassung nicht mehr verfügte. Dass seine Freundin inzwischen ein Verhältnis
mit seinem ehemaligen Partner begonnen hatte, erzeugte schon keine emotionale
Reaktion mehr bei ihm. In „Un Flic“ teilte Delon - diesmal in der Rolle des
Polizisten - seine Geliebte mit dem von ihm verfolgten Nachtclub-Chef, aber
diesem fast beiläufigen Dreiecksverhältnis fehlte die emotionale Tiefe.
Innerhalb
dieser Entwicklung nimmt „Le samouraï" eine Sonderrolle ein, die wie ein
Einschnitt wirkt, in seiner Ästhetik und im Storyaufbau, Melvilles Intentionen
aber in Reinform zusammen fasst. Es ist weniger die Rolle des Profi-Killers,
die eine Ausnahme zu seinen sonstigen Gangstertypen bildet, als der damit
verbundene völlige Verzicht auf die Beschreibung eines Umfelds und einer
Vergangenheit. Interpretationen in der Hinsicht, dass Costello zum ersten Mal
einen Fehler macht bei der Umsetzung eines Auftrags, oder das die Anwesenheit
des Kanarienvogels in seiner nur mit den notwendigsten Dingen eingerichteten
Wohnung, auf seine Unfähigkeit zu menschlichen Kontakte hinweist, unterliegen
rein der Fantasie des Betrachters, der versucht, die Figur des Jef Costello mit
vertrauten Maßstäben zu erfassen. Im Film selbst gibt es dafür keine Hinweise. ("Jef Costello ist weder ein Gauner noch ein Gangster. Er ist "rein" in dem Sinne, das ein Schizophrener nicht weiß, dass er ein Krimineller ist..." "Ich habe bewusst davon Abstand genommen, ihn zu einem traumatisierten Fallschirmjäger mit Kampferfahrung in Indochina oder Algerien zu machen, der gelernt hat, im Auftrag der Regierung zu töten." J.P. Melville in "Kino der Nacht").
Im
Gegenteil stellt sich die Frage, ob Jef Costello tatsächlich einen Fehler
begeht, als er seinen Auftragsmord in einem Pariser Nachtclub ausführt. An der
Genauigkeit, mit der er sein Alibi vorbereitet, wird deutlich, dass er schon
zuvor von eventuellen Zeugen ausging. Damit, das eine Person – in diesem Fall
die Pianistin Valerie (Cathy Rosier) – ihn in dem stark frequentierten Club
genauer ansieht, musste er rechnen, doch keinen Moment beabsichtigt er deshalb,
die Zeugin zu ermorden. Duccio Tessari lässt Alain Delon in „Tony Arzenta“
(Tödlicher Hass, 1973) in einer vergleichbaren Interpretation des Profi-Killers
anders handeln – fast bedauernd erschießt er einen zufällig hinzu gekommenen
Zeugen. Melville zieht diese Möglichkeit nicht in Erwägung, da sie Costellos
moralischer Instanz nicht entspricht. In der Einschätzung ihrer Person liegt er
zudem richtig, denn Valerie verrät ihn nicht bei der späteren
Gegenüberstellung. Auch der Kommissar zweifelt nicht an ihren Worten, sondern
an denen von Jane Lagrange (Nathalie Delon), der Costello sein Alibi verdankt.
Die
Interpretation, Costello hätte einen Fehler gemacht, lässt sich bei genauer
Analyse nicht halten, denn nicht sein Verhalten, sondern das seiner
Auftraggeber setzt ihn zunehmend unter Druck. Verunsichert von der
polizeilichen Untersuchung, versuchen diese ihn bei der Geldübergabe erschießen
zu lassen, was zwar misslingt, aber den weiteren Verlauf bestimmt. Costello
reagiert damit auf deren unehrenhaftes Verhalten, aber nicht mehr im Stil von
Gustave, der sich in „Le deuxième souffle" für die Unterstellung, er wäre
ein Verräter, rächt, sondern aus seiner inneren Konsequenz heraus, die der am
Moralkodex der Samurai orientierten stilisierten Figur entspricht. Deutlich
wird das auch darin, dass Costello nie unnötig Gewalt ausübt. Der Handlanger,
der ihn bei der Geldübergabe töten sollte und ihn am Arm verletzte, wird von
ihm nicht getötet, nachdem er von ihm erfahren hatte, wer tatsächlich hinter
dem Auftrag steckt. Wie wenig das Attribut „eiskalt“ im deutschen Filmtitel
gerechtfertigt ist, verdeutlicht sich auch an seinem Umgang mit den Frauen, der
jederzeit respektvoll bleibt. Das Jane Lagrange selbst unter größtem
psychischem Druck ihre Loyalität zu Costello bewahrt, lässt sich nicht mit
Abhängigkeiten erklären ("Nun ist aber das einzige Alibi, auf das du im Leben zählen kannst, das der Frau, die dich liebt" J.P. Melville in "Kino der Nacht") so wie ihn mit Valerie auch keine unglückliche
Liebesbeziehung verbindet ("Allein der Tod kann ihn zum Verlierer machen, aber das ist ein unweigerlicher Schritt, und Jef verliebt sich in seinen Tod" J.P. Melville in "Kino der Nacht"). Im Gegenteil sind seine Beziehungen zu ihnen von der
gleichen stringenten Klarheit wie seine sonstigen Handlungen. Sein Alleinsein
und spartanischer Lebensstil ist selbst gewählt und kein Ausdruck von
unerfüllten Wünschen.
„Le
samouraï" wurde ein zutiefst moralischer Film, mit einem Profi-Killer als
maßgebender Instanz. Während seine Umgebung keine hinterhältige Methode
auslässt - unabhängig davon, ob es sich um die Unterwelt handelt oder die ihn
verfolgende Polizei - bleibt Costello immer seinem Kodex treu. Bis zu einem
Ende, das nicht aus dem Gefühl der Ausweglosigkeit geschieht, sondern in der
Verantwortung gegenüber dem eigenen Handeln. So wie die „47 Samurai“, die viele
Jahre benötigten, ihren Herrn zu rächen, um nach der Tat ihren Tod als
Konsequenz daraus zu akzeptieren.
Entsprechend
falsch ist auch die Annahme, Alain Delon hätte seine zwei weiteren Rollen in
Zusammenarbeit mit Jean-Pierre Melville ähnlich interpretiert, denn diesem
gelang mit „Le samouraï" ein in Stil und Inhalt nahezu perfekter Film, mit
einem Hauptdarsteller, dessen klare, ebenmäßige Gesichtszüge noch einen Rest an
Anstand ausdrückten. Der von Delon gespielte Kommissar in „Un flic“ hatte
dagegen jede moralische Relevanz verloren.
"Le samourai" Frankreich / Italien 1967, Regie: Jean-Pierre Melville, Drehbuch: Jean-Pierre Melville, Georges Pellegrin, Darsteller : Alain Delon, Nathalie Delon, Francois Périer, Cathy Rosier, Jacques Leroy, Laufzeit : 101 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Jean-Pierre Melville:
"Un flic" (1972)
danke für diesen beitrag
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