Doch inzwischen sind 7 Jahre vergangen, neue, demokratische Zeiten sind angebrochen, und Niemand aus seinem Heimatort will noch etwas mit dieser Tat zu tun haben. Bruno trifft auf eine Mauer des Schweigens und muss feststellen, dass sich einige Dinge verändert haben - Maria (Anna-Maria Ferrero), die er bat, auf ihn zu warten, hatte sich mit seinem Bruder eingelassen, als es hieß, er wäre gefallen, und selbst seine Mutter bittet ihn inständig, sie nicht nach dem Verräter zu befragen. Einzig sein alter Freund Antonio (Alain Cuny) will noch mit ihm reden...
Bekannt wurde Malaparte einem größeren Publikum durch seine sehr drastischen Schilderungen der Gewalt im 2.Weltkrieg, dessen Realitäten er als Kriegsberichterstatter in vielen Ländern fast täglich erlebte. Nach dem Krieg entschied er sich für den Kommunismus, worin eine Parallele zu Regisseuren wie Visconti oder Rossellini zu erkennen ist, an deren neorealistischen Werken er sich mit seinem einzigen Film scheinbar orientierte. "Il cristo proibito" wirkt in seiner Optik und der dokumentarischen Schilderung des Alltags der Menschen in einem kleinen Ort in der Toskana, wie ein Paradebeispiel für den realistischen Stil, aber Malapartes Film ist vor allem ein emotionaler Koloss – widersprüchlich und ohne Angst vor dem radikalen Ausleben eines Konfliktes.
Im Mittelpunkt steht Bruno Baldi (Raf Vallone), der fünf Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wieder in sein Heimatdorf zurückkehrt. Getrieben wird er von dem Wunsch nach Rache, denn er erhielt während der russischen Gefangenschaft die Nachricht, dass sein kleiner Bruder von den Deutschen standrechtlich erschossen wurde, nachdem er zuvor verraten wurde. Doch für die Dorfbewohner, selbst für seine Mutter (Rina Morelli), liegt diese Tat viele Jahre zurück, weshalb er auf eine Mauer des Schweigens trifft. Niemand will mehr etwas mit diesen Zeiten zu tun haben, weshalb keiner sein offensichtliches Wissen über den Täter offenbart.
Malaparte fasste hier mit Vehemenz ein Thema an, dass selten in dieser Konsequenz im italienischen Film umgesetzt wurde. Nachdem die Alliierten vom Süden her Italien besetzten und Mussolini in Folge dessen in Rom abgesetzt und festgenommen wurde, entstand im Norden des Landes eine Art Bürgerkrieg. Auf der einen Seite befanden sich die Mussolini - Treuen, auf der anderen die Widerstandkämpfer, die die deutsche Besatzungsmacht und deren Marionettenrepublik - mit einem von den Deutschen befreiten Mussolini an der Spitze - bekämpften. Und gleichzeitig drang die US-amerikanische Armee immer weiter vor. Der italienische Bürger wurde innerhalb dieser unsicheren, wechselnden Machtverhältnisse zu hoher Flexibilität hinsichtlich seiner Parteinahme gezwungen, was Malaparte in einer kurzen Szene anschaulich werden lässt. In einem kleinen Geschäft hängt ein Plakat mit Stalins Konterfei von der Decke, aber als der Händler einen Schrank öffnet, wird an der Innenseite ein Bild Mussolinis sichtbar.
Mit welcher Wucht Malaparte in dieses Panoptikum der Verdrängung und Lüge eindringt, wird an der Figur des Bruno offensichtlich. Anders als viele langjährige Kriegsgefangene kommt er nicht als gebrochener Mann in seine Heimatstadt zurück, sondern strahlt innere Ruhe und Kraft aus. Malaparte inszeniert Bruno als fleischgewordene Schuld, woraus sich die Reaktion der Bürger begründet – Viele gehen ihm mit Schweigen aus dem Weg, einige Wenige versuchen ihre Situation zu erklären, um ihn von seinen Rachegedanken abzubringen. Doch Niemand greift ihn an oder belügt ihn konkret – eine fast unerklärliche Sehnsucht nach Wahrheit und Erlösung ergreift Jeden, der sich ihm aussetzt. Seine Mutter fleht ihn an, sie nicht nach dem Verräter zu fragen, um ihn nicht nennen zu müssen, Maria (Anna-Maria Ferrero), die ihm Treue versprochen hatte, als er in den Krieg ziehen musste, beichtet ihm, dass sie sich mit seinem Bruder eingelassen hatte, als sie glaubte, er wäre gefallen, Nella (Elena Varzi), eine frühe Jugendfreundin, erzählt ihm von den Vergewaltigungen, die sie erleiden musste, auch um Maria zu schützen, und sein Freund Antonio (Alain Cuny), der als die integerste Person im Ort gilt, gesteht ihm, dass er vor langer Zeit einen Mord begangen hatte, weshalb er die Schuld des Verräters auf sich nehmen will.
Malaparte wählte für seinen Film zwar ein äußerlich realistisch gestaltetes Umfeld, dass an den Neorealismus erinnert, aber für die Beschreibung des inneren, psychischen Zustands der italienischen Gesellschaft nach dem 2.Weltkrieg und damit die Frage nach Schuld und Sühne, wählte er ein überhöhtes Szenario, dass zunehmend christliche Züge annimmt. Gut zu erkennen auch an den stoischen Reaktionen Brunos, mit denen er auf die unterschiedlichen Geständnisse reagiert. Zu Beginn – bevor Bruno seinen Heimatort erreichte - erwähnte er noch, dass es keine Unschuldigen gibt, aber zum Schluss schreit er mehrfach ein „Warum?“ hinaus – warum trifft es die Unschuldigen? – Seine einzige starke emotionale Reaktion im gesamten Film.
Dieser Widerspruch wurde dem Film oft angelastet, aber er entsteht zwangsläufig aus einer Hauptfigur, deren eigene Verstrickung erst mit der Beichte des Verräters, der sich Brunos Urteil unterwirft, offensichtlich wird. In der Figur des Bruno spiegeln sich zudem die Widersprüchlichkeiten Malapartes, der - selbst aus der Toskana stammend - seine Eindrücke aus dem Krieg, parteipolitische Erfahrungen, aber auch seinen christlichen Glauben, der ihn kurz vor seinem frühen Tod zum Katholizismus übertreten ließ, in die Charakterisierung einfließen ließ. Konkret reagierte er mit „Il cristo proibito“ auf die damalige Gegenwart und damit auf die schnelle Anpassungsfähigkeit seiner Mitbürger, die nur zu gern zur Tagesordnung übergingen und nur noch ungern an Verfehlungen aus der jüngeren Vergangenheit erinnert werden wollten – ein bis heute gültiges, generelles Szenario.
Der Film ist letztlich das Gegenteil von Realität, denn durch das Auftauchen einer Erlöserfigur werden die Menschen zu einem atypischen Verhalten animiert - sie sagen die Wahrheit und gestehen ihre Schuld. Malaparte entwickelte daraus eine Konstellation, die nicht von außen die Gesellschaft kritisiert, sondern ihr die Möglichkeit gibt, sich selbst zu stellen – eine beeindruckende Form der Selbstoffenbarung. Weder Schuld noch Unschuld werden dadurch geklärt, auch wird keine Absolution erteilt, einzig die Chance entsteht, nicht mehr mit der Lüge leben zu müssen. Entsprechend wird Curzio Malapartes Titel „Der verbotene Christus“ zum Kommentar, denn wer sehnt wirklich einen Mann herbei, der die Wahrheit fordert, aber weder Antworten weiß, noch von Schuld freisprechen kann ?
"Il cristo proibito" Italien 1951, Regie: Curzio Malaparte, Drehbuch: Curzio Malaparte, Rafael Ascona, Darsteller: Raf Vallone, Alain Cuny, Anna-Maria Ferrero, Rina Morelli, Gino Cervi, Gabriele Ferzetti, Laufzeit: 99 Minuten