Dienstag, 29. November 2016

Le calde notti di Don Giovanni (Sein Schlachtfeld war das Bett) 1971 Alfonso Brescia


Don Giovanni (Robert Hoffmann) mit Esmeralda (Barbara Bouchet)
Inhalt: Während Paco die Tochter des Grafen mit zwar stotternd vorgetragenen, aber liebevollen Versen davon überzeugen will, dass es sich bei ihm um Don Giovanni handelt, befindet sich sein Herr, der echte Frauenheld (Robert Hoffmann), gerade im Bett der Hausherrin Esmeralda (Barbara Bouchet). Das Ablenkungsmanöver gelingt zwar, aber der Ärger bleibt Don Giovanni nicht erspart, da Esmeraldas Mann glaubt, er hätte es auf seine Tochter abgesehen. Nur dank seiner Fechtkünste kann er ihm und dessen aufgebrachten Soldaten entkommen. 

Fürstin Isabella (Ira von Fürstenberg) betrachtet den Frauenheld skeptisch
Trotzdem erscheint er am kommenden Tag in Sevilla auf dem Empfang der Fürstin Isabella Gonzales (Ira von Fürstenberg), da er weiß, dass sich der Graf vor der illustren Runde keine Blöße geben wird. Ungerührt fordert er vor dessen Augen dessen verliebte Tochter auf, während er gleichzeitig ein Auge auf die schöne Fürstin wirft, die ihn ganz offensichtlich missachtet. Ein Verhalten, dass Don Giovanni erst motiviert. 


Am liebsten beschäftigt sich Don Giovanni auf diese Weise...
Ausnahmsweise traf der deutsche Titel "Sein Schlachtfeld war das Bett" den Inhalt des Films genauer als der Originaltitel, denn "Le calde notti di Don Giovanni" (Die heißen Nächte des Don Giovanni) war eine Mogelpackung. Von "heißen Nächten" ist im Film nur wenig zu sehen, von "Schlachtfeldern" dagegen umso mehr, wenn auch nicht im Bett. Auch die sehr vorzeigbare Riege an weiblichen Stars - Barbara Bouchet, Edwige Fenech, Ira von Fürstenberg, Annabella Incontrera und Lucrezia Love - kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Schwergewicht der immerhin mehr als 100 Minuten andauernden Handlung auf Männern im Kampfeinsatz liegt. Don Giovanni Tenorio (Robert Hoffman) gibt sich zwar die größte Mühe, bei den Schönen im Bett zu landen, gemessen am zeitlichen Aufwand und dem nicht zu vernachlässigenden Risiko, wirkt seine Erfolgsquote aber wenig beeindruckend.

...aber gezwungenermaßen meistens so.
Entsprechend rar gesät sind auch die erotischen Einblicke, die der Film gewährt. Räkelt sich zu Beginn Barbara Bouchet als Esmeralda in den Armen Don Giovannis (in der deutschen Fassung zudem noch gekürzt), dauert es mehr als eine Stunde, bis sich Edwige Fenech entblättert. In den letzten Minuten darf auch Lucrezia Love als zyprische Prinzessin noch ein wenig nackte Haut zeigen. Gemessen am Standard deutscher Erotikfilme der frühen 70er Jahre eine dezente Inszenierung, aber typisch für diese Phase der „Commedia sexy all’italiana“ zwischen den gesellschaftspolitisch ambitionierten, optisch noch zurückhaltenden Episodenfilmen der 60er Jahre und der kurz bevorstehenden Welle der „Decamerotichi“ nach Pier Paolo Pasolinis Erfolg mit „Decameron“ (1971), die den Prozess in Richtung einer freizügigeren Erotik im italienischen Film beschleunigten.

Der genesene Don Giovanni umgarnt Maddalena (Annabella Incontrera)...
Regisseur Alfonso Brescia, seit Mitte der 60er Jahre (“La colt è la mia legge“ (Stirb aufrecht, Gringo!, 1965)) vor allem im Western-Genre tätig, hatte sich 1969 erstmals mit der Sexual-Thematik beschäftigt. „Nel labirinto del sesso (psichidion)“ (Im Labyrinth der Sexualität) war noch ein Vertreter der semi-dokumentarischen Auseinandersetzung mit der aufkommenden Sex-Welle, bevor er mit „Le calde notti di Don Giovanni“ ins komödiantische Fach wechselte. Sein Film gehört zur Reihe der „Commedia sexy“ in Folge von Pasquale Festa Campaniles "La cintura di castità" (Der Keuschheitsgürtel, 1967), deren meist ungenauer historischer Kontext Ende der 60er Jahre mehr inhaltliche Freizügigkeit als zeitgenössische Stoffe zuließ, nicht zuletzt im Hinblick auf die Konfrontation von Kirche und Sexualität.

...und stürzt sie ins Unglück - ein kurzer Abstecher ins Dramatische
Zu diesem Konflikt kam es in Brescias Film, als Don Giovanni, zuvor nur knapp dem Tod entronnen und im Kloster wieder zu Kräften gekommen, vergeblich versucht die junge Nonne Maddalena (Annabella Incontrera) zu verführen, die daraufhin sehr mit ihren inneren Gefühlen zu kämpfen hat. Innerhalb der italienisch-spanischen Co-Produktion eine ungewöhnlich ernsthafte Szene, die in der deutschen Fassung fast vollständig der Schere zum Opfer fiel, weil sie nicht ins sonst lustige Treiben passen wollte. Tatsächlich finden sich in dieser Sequenz noch Berührungspunkte zu der literarischen Vorlage: das in Spanien sehr populäre, 1844 uraufgeführte Theaterstück „Don Juan Tenorio“ des spanischen Dichters José Zorilla, wenn auch in einem verfälschenden Zusammenhang. Die unmögliche, erst nach ihrem Tod vollendete Liebe zwischen der Novizin Dona Ines und Don Juan ist zentraler Bestandteil in Zorillas Werk.

Danach ist wieder Amore (hier mit Edwige Fenech) angesagt...
Von der Kloster-Szene abgesehen, waren Brescia und sein Autorenteam um Aldo Crudo nur an den äußeren Rahmenbedingungen der Story um den berühmten Weiberhelden interessiert, der vom spanischen König wegen seiner zahlreichen Affären mit Ehefrauen einflussreicher Persönlichkeiten zu den Berbern nach Nordafrika verbannt wird. Mitten im islamischen Hoheitsgebiet scheinen Don Giovanni die Gelegenheiten für Liebesabenteuer abzugehen, aber mit der so emanzipierten wie schönen Tochter des Emirs Omar, Aiscia (Edwige Fenech), findet sich schnell wieder ein neues Objekt der Begierde. Religion, Sex, Emanzipation – von Bedeutung war das nicht in „Le calde notti di Don Giovanni“, der weder sich selbst, noch irgendein anderes Thema ernst nahm. Robert Hoffmann mit ondulierter 70er Jahre Matte zwinkerte sich reihenweise durch die Frauenherzen, die ihm nur scheinbar verfallen, ihren eigenen Vorteil aber nicht aus den Augen verlieren. In der Konsequenz daraus befindet sich Don Giovanni ständig auf der Flucht – entweder vor eifersüchtigen Ehemännern und aufgebrachten Vätern oder vor allzu heiratswütigen Geliebten.

...nicht immer mit befriedigendem Ergebnis
Mit dem auch im italienischen Original stotternden Paco, Don Giovannis stets getreuem Knappen, fand sich hier schon eine Figur, die auf Brescias folgende Historien-Komödien „Poppea... una prostituta al servizio dell'impero“ (Zwei Halunken im alten Rom, 1972) und „Elena si, ma... di Troia“ (Zwei Halunken stürmen Troja, 1973) hinwies. Von deren derbem Humor grenzte sich „Le calde notti di Don Giovanni“ aber noch wohltuend ab und behielt die Balance zwischen Belustigung und Respekt. Besonders gelungen sind trotz einer gewissen Abnutzung der sich wiederholenden Gags die Szenen im letzten Drittel des Films, in denen Don Giovanni mit vier Kumpanen im Stil eines Heist-Movies in die uneinnehmbare Festung von Aiscias Vater eindringt. Eine Persiflage, die den Eindruck noch bestärkt, dass hier Aufwand und Nutzen in einem Missverhältnis zueinander stehen. Wenn Don Giovanni - endlich am Ziel angelangt - zudem noch damit konfrontiert wird, dass sein wiederholter Verführer-Spruch „Ein flüchtiges Lächeln, ein zärtlicher Blick nur von dir und ich wäre bereit, zufrieden zu sterben“ wörtlich genommen wird, will trotz der schönen Frauen nicht wirklich Neid aufkommen. Aber Spaß macht es, ihm dabei zuzusehen. 

"Le calde notti di Don GiovanniItalien, Spanien 1971, Regie: Alfonso BresciaDrehbuch: Keith Luger, Aldo Crudo, Arpad DeRiso, Arturo MarcosDarsteller : Robert Hoffmann, Barbara Bouchet, Edwige Fenech, Ira von Fürstenberg, Lucretia Love, Annabella IncontreraLaufzeit : 101 Minuten

Dienstag, 8. November 2016

Servo suo (1973) Romano Scavolini


Inhalt: Martin (Chris Avram), ein gebürtiger Engländer Ende 30, lebt allein in einer kleinen Hütte in einem heruntergekommenen Stadtteil. Als Englisch-Nachhilfe-Lehrer des an einen Rollstuhl gefesselten Sohnes des örtlichen Mafia-Bosses verdient er ein wenig Geld und hat es sich trotz seiner Perspektivlosigkeit in seinem Leben eingerichtet. Auch wenn ihn seine Nachbarn belächeln, weil er seine kleine Wohnung immer ordentlich abschließt. Bei ihm gäbe es schließlich nichts zu holen. 

Sein Leben verändert sich schlagartig als ihm nach einer nachmittäglichen Unterrichtsstunde zu viel Geld zugesteckt wird. Als der Wachposten es nicht zurücknehmen will, verbringt er eine gemeinsame Nacht mit der jungen Prostituierten vom Straßenstrich nebenan. Am nächsten Tag kann er das Geld nicht mehr zurückzahlen. Martin ahnt den perfiden Plan dahinter noch nicht. Er wurde von dem Vater seines Schülers als Werkzeug eines Rachefeldzugs ausgewählt. Neben seiner körperlichen Konstitution sind es besonders seine fehlenden sozialen Bindungen, die ihn für die Rolle eines Profi-Killers prädestinieren… 

Die Story von "Servo suo" klingt vertraut und befand sich 1973 auf der Höhe einer Zeit, in der einige Mafia-Filme in die Kinos kamen und der "Poliziesco" in Italien an Fahrt aufnahm. Im Jahr zuvor hatte Regisseur Romano Scavolini mit dem Giallo "Un bianco vestite per Marialé" schon einmal ein populäres Genre bedient, blieb aber seinem avantgardistischen Stil treu. "Servo suo" erfüllt nicht die übliche Erwartungshaltung an einen Thriller oder Action-Film, sondern betrachtete das Genre aus einem eigenständigen Blickwinkel, geprägt von der Bildsprache Scavolinis, der neben Regie und Drehbuch auch als Kameramann fungierte. 

Seit Mitte der 60er Jahre bis heute arbeitet Scavolini, Jahrgang 1940, in unregelmäßigen Abständen außerhalb des populären Kinobetriebs auf vielen Feldern des Filmschaffens und ist nur wenig bekannt. Leider existiert von "Servo suo" nur eine Veröffentlichung in VHS-Qualität - entsprechend unzureichend sind die hier im Blog gezeigten Screenshots. Bei der Veranstaltung des Filmkollektivs Frankfurt "Avantgarde und Experiment in Italien" vom 3.-6.11.2016 gab es die einmalige Gelegenheit seinen Kurzfilm "Solitudine" aus dem Jahr 1966 zu betrachten - neben einer Vielzahl weiterer Werke avantgardistischer Filmkunst. 

Martin (Chris Avram), ein Mann ohne Zukunft und familiäre Bindungen, wird zum Objekt eines Mafia-Clans für einen internen Racheplan. Erst wird er zum Killer ausgebildet, dann muss er seine Fähigkeiten beweisen, bevor er auf das Zielobjekt angesetzt wird.

Romano Scavolini entwarf und drehte seinen Film in einer Phase, in der das aufkommende Poliziesco-Genre noch zwischen Mafia- und Polizeifilm wechselte. "Servo suo" kam im September 1973 in die italienischen Kinos, wenige Tage nach Duccio Tessaris "Tony Arzenta" (Tödlicher Hass, 1973), der den vergeblichen Versuch eines Mafia-Killers schilderte, auszusteigen. Gespielt wurde die Rolle von Alain Delon, dessen Darstellung eines Profis in "Le samourai" (Der eiskalte Engel, 1967) prototypisch für den einsamen, seine Emotionen kontrollierenden Auftragskiller wurde. Eine Referenz, die in "Servo suo" immer spürbar bleibt und auch direkt zitiert wird – allerdings ironisch gebrochen: 

„Alle denken, die Einsamkeit ist Teil des Geschäfts“

äußert Martin einmal gegenüber einem Verbindungsmann, der ihm den Kontakt zu einer schönen Tänzerin (Paola Senatore) ermöglicht. Doch bis Martin dieser Glücksmoment gewährt wird – der sich genregerecht als Illusion herausstellt – vergeht viel Zeit, denn Scavolini legte sein erzählerisches Gewicht auf die Vorgeschichte. Diese beginnt noch konventionell mit einem Attentat und lauten Sirenen, aber schon hier wird die eigenwillige Handschrift des Regisseurs deutlich. Keine Verfolgungsjagd oder Schusswechsel bestimmen den weiteren Verlauf, sondern die Kamera bleibt bei dem Schwerverletzten im Krankenwagen und fängt dessen Schmerzen ein. An ihrer Kritik an der Mafia, die Jeden gnadenlos opfert, der ihrer Sache im Weg steht, ließen weder "Tony Arzenta" noch die parallel erschienenen Mafia-Filme Fernando di Leos („Il Boss“ (Der Teufel führt Regie, 1973)) einen Zweifel, aber sie betonten mehr deren Gewaltpotential, Scavolini konzentrierte sich dagegen auf die sklavenhafte Abhängigkeit des Einzelnen innerhalb eines Systems völliger Kontrolle.

Mit den Worten „Servo suo“ (Dein Diener) erweist ein Mafia-Boss dem ranghöheren Paten seinen Respekt. Bei ihm eine Form der Höflichkeit, für Martin die erniedrigende Realität. Er gerät unfreiwillig in diese Position, weil er dem an einen Rollstuhl gefesselten Sohn des örtlichen Mafia-Potentaten Englischunterricht gibt und damit in den Focus seines Auftraggebers gerät. Obwohl ohne Freunde und Perspektive, hat sich der aus England stammende Enddreißiger mit seiner Situation abgefunden und sein Leben in einer einfachen Umgebung eingerichtet. Für die Mafia ist er ein idealer Kandidat – Niemand würde ihn vermissen. Als ihm nach einer Unterrichtsstunde zu viel Geld zugesteckt wird, will er es zurückgeben, aber der Wachposten am Tor verweigert die Annahme. Martin nutzt das Geld für eine Nacht mit seiner Lieblings-Prostituierten, weshalb er am nächsten Tag nicht mehr in der Lage ist, es zurückzuzahlen. Eine kleine Summe genügte, um ihn in die Abhängigkeit der Mafia geraten zu lassen.

Der rumänische Darsteller Chris Avram, selbstbewusst und markant auftretend, ist ideal besetzt als unfreiwilliger Handlanger des organisierten Verbrechens. Nie lässt er sich unterkriegen, bleibt sprachlich provokant und zynisch, aber an seiner Metamorphose zum Killer ändert das nichts. Im Gegenteil erweist sich die Einschätzung der Mafia als richtig, ihn als Profi-Killer auszubilden, denn Martin erledigt die ihm gestellten Aufgaben mit Bravour. Ausgesetzt ohne Geld in einer ihm unbekannten Gegend, findet er schnell seine Kontaktperson. Allein tötet er eine schwer bewaffnete Übermacht. Doch auch diese aktionistischen Sequenzen und Martins dominantes Auftreten ändern nichts an seinem Ausgeliefertsein. Freude, gar Befriedigung können diese Erfolge weder bei ihm, noch dem Betrachter auslösen.

Die erzählerische Anlage des Films ist sehr ruhig und blieb in der Verwendung bekannter Klischees des Mafia- und Kriminalfilms konventionell. Doch diese dienten Scavolini nur als Rahmen für eine Bildsprache, die dem Genre nicht nur zusätzliche Aspekte verlieh, sondern darüber hinausging. Die eingeblendeten TV-Bildschirme einer zentralen Überwachungsstelle, von der aus Martin bei jeder Regung beobachtet werden kann, überhöhten die Realität und sollten die marionettenhafte Abhängigkeit des Protagonisten symbolisieren. Mehr noch betonte Scavolini mit seinen Bildern eine inhaltliche Leere. Eine Leere, die Scavolini generell als Ausdruck der Gegenwart verstand. Wiederholt stellte er seinen Protagonisten in große, von betonierten Flächen bestimmte Räume, in denen er fast verschwindet. Oder er konfrontierte ihn mit gleichförmigen Mustern. Ein anderes Mal tritt er aus dem Hintergrund einer zentral im Bild stehenden unbekannten Person heraus. Das Individuum fällt hinter eine austauschbare, gesichtslose Umgebung zurück. Auch den wenigen Action-Szenen nahm Scavolini ihre Bedeutung. Von der wilden Schießerei in einer Industriebrache schwenkt die Kamera über zu seinem einsamen Sandstrand mit zwei Spaziergängern und Hund, die nichts davon bemerkt haben.

„Servo suo“ ist ein aufregender, überraschender Film, aber er zieht seine Spannung weniger aus der Story, als aus einer optischen Inszenierung, die mehr zuließ als die Genre--übliche Auseinandersetzung mit einem übermächtigen Feind. Den eigentlichen Kampf liefert Martin um seine Selbstbestimmtheit und der Ausgang bleibt bis zum Schluss offen. 

"Servo suoItalien 1973, Regie: Romano ScavoliniDrehbuch: Romano ScavoliniDarsteller : Chris Avram, Paola Senatore, Lea Leander, Alberto Bertoli, Francesca SebastianiLaufzeit : 90 Minuten