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Nino Manfredi und Virna Lisi |
Inhalt: „La telefonata“ – (Regie Dino Risi, Drehbuch Rodolfo
Senogo): Nicht nur die Hitze macht dem jungen Ehemann (Nino Manfredi) zu
schaffen, auch seine spärlich bekleidete Frau (Virna Lisi) lässt seine Gefühle
hochkochen. Doch deren Interesse gilt nur den letzten Seiten ihres Romans –
eine Phase, die ihr Mann mit Geduld zu überbrücken versucht. Endlich legt seine
Frau das Buch zur Seite, als das Telefon klingelt. Seine Schwiegermutter ruft an…
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Piero Foccaccio und Elke Sommer |
„Il trattato di Eugenetica“ – (Regie Luigi Comecini,
Drehbuch Luciano Salce, Steno): Valerio (Piero Foccaccio) soll eine junge
Deutsche abholen, um sie durch Rom zu chauffieren. Zu seiner Überraschung
tauscht Ulla (Elke Sommer) sofort die Rollen, denn fahren will sie selbst.
Valerio soll ihr stattdessen Orte zeigen, an denen sich Männer versammeln. Dort
will sie nach dem idealen Erzeuger für ihr Kind suchen – streng nach
wissenschaftlichen Kriterien selbstverständlich.
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John Karlsen und Monica Vitti |
„La minestra“ – (Regie Franco Rossi, Drehbuch Rodolfo Senogo):
Wie jeden Abend sitzen Giovanna (Monica Vitti) und ihr älterer Ehemann (John
Karlsen) wortlos am Tisch in ihrer einfachen Hütte, während er die von ihr
gekochte Minestrone schlürft. Von außen klingt ein Lied an ihr Ohr, das von
Freiheit und Aufbruch spricht und ihre Emotionen voll trifft. Sie spricht einen
alten Kraftfahrer an und will ihn dafür bezahlen, ihren Mann zu überfahren…
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Gina Lollobrigida und Jean Sorel |
„Monsignor cupido“ – (Regie Mauro Bolognini, Drehbuch Leo
Benvenuti, Piero De Bernardi): Vincenzo (Jean Sorel) begleitet als Assistent
seinen Onkel, Monsignor Arendi (Akim Tamiroff), nach Rom zu einem Konzil im
Vatikan. Für den jungen Mann der erste Besuch in einer Großstadt. Auch im
Umgang mit Frauen ist er vollkommen unerfahren, wie Beatrice (Gina Lollobrigida)
feststellen muss, deren Verführungsversuche nicht fruchten. Erst als sie
gegenüber dem Priester behauptet, sein Neffe würde sie belästigen, dreht sich
das Blatt…
Über die in Vergessenheit geratene Bedeutung des
italienischen Episodenfilms oder die Vergänglichkeit nah am Zeitgeist
orientierter Stoffe war in meinen Texten schon häufig die Rede. Aber kaum ein
Film repräsentiert diese Konsequenzen mehr als "Le bambole" (Die
Puppen), der Anfang 1965 in die Kinos kam, als sich der Episodenfilm auf dem
Höhepunkt seiner Popularität befand und die sexuelle Liberalisierung langsam
Fahrt aufnahm.
Sieht man von dem frühen "Boccaccio '70" (1962) ab,
versammelte sich selten eine illustrere Gesellschaft auf dem Regie-Stuhl,
hinter dem Drehbuch und vor der Kamera. Doch die Prominenz half nicht vor der italienischen Zensur, die "Le bambole" vier Monate lang wegen "Obszönität" sperrte, woran die Tragweite der damaligen Provokation deutlich wird. Trotzdem ist "Le bambole"
- auch im Vergleich zu seinen Genre-Verwandten - dem Film-Gedächtnis nahezu entschwunden.
Ein Star-Ensemble lässt die Puppen tanzen
Stand der Episodenfilm für viele Regisseure am Beginn ihrer
Karriere, kamen in "Le bambole" ausschließlich erfahrene und
preisgekrönte Künstler zusammen. Für Dino Risi war es die erste Beteiligung seit
„L’amore in città“ (1953), nachdem er in den Jahren zuvor schon unter
alleiniger Regie der Kurzfilmform gefrönt hatte („I mostri“ (Die Monster,
1963)). Luigi Comencini („Tre notti d’amore“ (Drei Liebesnächte, 1964)), Mauro
Bolognini („La mia signora“ (1964)) und besonders Franco Rossi („Controsesso“
(1964)) hatten schon diverse Genre-Beiträge abgeliefert (siehe den Essay „L’amore in città und die Folgen“) und blieben dem Episodenfilm bis in die 70er Jahre
treu, kamen aber nicht mehr in dieser geballten Form zusammen.
Wie seine Regie-Kollegen gehörte auch Drehbuchautor Rodolfo
Sonego seit den 50er Jahren („Achtung! Banditi!“ 1951, Regie Carlo Lizzani) zu
den führenden Filmschaffenden in Italien. Über ihn, der zwei der vier Episoden
verantwortete, lässt sich die Entwicklung des Erotikfilms von Alberto Lattuadas
stilbildendem „La spiaggia“ (Der Skandal, 1954) über die vielfache Beteiligung
am Episodenfilm der 60er Jahre (“Le fate“ (Die Gespielinnen, 1966)) bis zur
„Commedia sexy“ in die 70er Jahre verfolgen („Di che segno sei? (1975) Regie
Sergio Corbucci.). Nicht weniger einflussreich waren die hier nur als Autoren
aktiven Regisseure Luciano Salce und Steno, die die Idee zur zweiten von
Comencini gedrehten Episode beisteuerten. Auch das Autoren Duo Leo Benvenuti
und Piero De Bernardi war über Jahrzehnte nicht aus der „Commedia all’italiana“
wegzudenken („Fantozzi“(1975)) - für die vierte, von Bolognini umgesetzte
Episode, nahmen sie sich eine Boccaccio-Novelle aus dem Dekameron zum Vorbild.
Besitzt die Aufzählung der hinter der Kamera
Verantwortlichen immer einen theoretischen Charakter, verliert sich dieser
Eindruck bei der Nennung der Darstellerinnen sofort. Virna Lisi, Monica Vitti
und Gina Lollobrigida gehören zu den ganz großen Stars des italienischen Kinos - und die deutsche Schauspielerin Elke Sommer befand sich damals in der Hochphase ihrer internationalen Karriere. Ihre männlichen Co-Stars Nino Manfredi, Jean Sorel
und Maurizio Arena können hinsichtlich des Glamour-Faktors nicht ganz
mithalten, aber auch ihre Namen haben bis heute einen guten Klang. Umso mehr
stellt sich die Frage, wieso „Le bambole“ vollständig in der Versenkung verschwand
und über keinerlei Reputation verfügt? - Die Antwort fällt leicht. Die Stories
sind bis auf „Monsignor cupido“ nach Boccaccio schwach und klischeehaft.
Die Männer schlagen zurück
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Der Ehemann tröstet sich mit der Nachbarin (Alicia Brandet) |
In der ersten Episode „La telefonata“ fühlt sich der junge
Ehemann (Nino Manfredi) von seiner schönen, mit ihrer Mutter
dauertelefonierenden Ehefrau (Virna Lisi) zurückgesetzt. Gerade hatte er sich
auf das Liebesspiel mit ihr gefreut – sie hatte ihn hingehalten bis sie ihren
Roman ausgelesen hatte – wird seine Geduld schon wieder auf die Probe gestellt.
Die Kamera umschmeichelt Virna Lisis Körper so ausführlich, dass die
Begehrlichkeiten des Ehemanns verständlich werden, was ihn aber nicht davon
abhält, zu der jungen Nachbarin (Alicia Brandet) auf die andere Straßenseite zu
wechseln. Während die Ehefrau noch gegenüber ihrer Mutter von ihrem braven
Ehemann schwärmt, der an der üppig gebauten nymphomanen Frau von Gegenüber
keinen Gefallen findet, wurde er von dieser schon mit offenen Armen empfangen.
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Ulla endet als Hausfrau |
Ähnlich daneben liegt Ulla (Elke Sommer), eine junge
Deutsche, die in Italien nach dem idealen „Latin Lover“ als Samenspender für
ihr Kind sucht. Beziehung, gar Ehe kommen für sie nicht in Frage, da sie nur
Abhängigkeit bedeuten. In „Il trattato di Eugenetica“ lässt sie sich vom wenig
attraktiven Chauffeur Valerio (Piero Foccaccio) Rom zeigen, wo sie die Männer
nach strengen Kriterien vermisst und begutachtet. Da die Blondine sehr hübsch
ist, lassen sie es sich gerne gefallen, aber Keiner von ihnen entspricht ihren umfangreichen
Anforderungen. Schon gar nicht Valerio, der in Liebe zu Ulla entflammt ist und
es nicht mitansehen kann, wie sie einen Mann ausschließlich für die
Kindszeugung sucht. Als er sich weigert, weiter für sie zu arbeiten, begegnet
Ulla Massimo (Maurizio Arena), der die Kriterien erfüllt. Nur kommt der Macho mit
seiner Rolle als „Zuchthengst“ nicht zurecht, weshalb sie ihn mit Pillen vor
dem Sex still stellen will. Erwartungsgemäß scheitert sie an der praktischen
Umsetzung ihrer Theorie und landet schließlich als Hausfrau und vielfache
Mutter in einem einfachen Wohnblock, wo sie schon die Nudeln für ihren von der
Arbeit heimkehrenden Ehemann Valerio bereitet hat.
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Der schlürfende Ehemann bleibt |
In der dritten Episode „La minstra“ trieben die Macher ihr böses
Spiel mit den Frauen weiter auf die Spitze. Schon optisch ist die
Grundkonstellation eine Provokation. Monica Vitti als schöne Ehefrau sitzt in
einer einfachen Behausung einem deutlich älteren, hageren Ehemann (John
Karlsen) gegenüber, der die von ihr gekochte Minestrone missmutig in sich
hinein schlürft. Wer will es ihr da verdenken, dass sie ihn umbringen lassen
will? – Leider nur mit mäßigem Erfolg. Die Männer, die sie dafür anheuert,
nehmen ihr erst ihr Geld, dann ihren Körper. Immer mit demselben Ergebnis – ihr
Ehemann kommt nach Hause und schlürft seine Suppe. Begleitet wird die Szenerie von
einem Gitarristen, dessen Gesang von Freiheit und Aufbruch in den Kopf der
jungen Frau dringt. Spätestens hier wird deutlich, dass Sonego und seine
Kollegen die Vorurteile gegenüber einer sich verändernden Sozialisation,
besonders gegenüber der Emanzipation, mit überzeichneten weiblichen Figuren veralberten:
- die ihren Ehemann vernachlässigende Hausfrau, die allzeitbereite Nachbarin,
die intellektuelle Technokratin und die von Rock-Musik beeinflusste Träumerin.
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Monsignore (Akim Tamiroff) achtet auf seinen Neffen |
Wer die Werke der beteiligten Herren hinter der Kamera, mehr
noch die Filme der Darstellerinnen um Monica Vitti und Gina Lollobrigida
kannte, wusste die Ironie hinter den geballten Klischees einzuschätzen – dem
damaligen Publikum war das zuzutrauen. Dazu gehört auch, „Le bambole“ in seiner
Gesamtheit zu betrachten und nicht - wie inzwischen üblich - die Episoden als
unabhängige Kurzfilme zu bewerten. Erst die innere Dynamik, die direkt auf die
letzte Episode zuläuft, wird dem Film gerecht. Auch „Monsignor cupido“
entwickelt sich zuerst gegen die weiblichen Absichten. Beatrice (Gina
Lollobrigida), die mit ihrem Ehemann gemeinsam ein Hotel leitet, wird auf einen
hübschen jungen Mann (Jean Sorel) aufmerksam, der seinen Onkel (Akim Tamiroff),
einen Priester, zu einem Treffen im Vatikan nach Rom begleitet. Beatrice wendet
alle ihre Verführungskünste bei ihm an – ohne Wirkung, denn scheinbar gilt
dessen Interesse nur der katholischen Kirche. Erst als Beatrice dem Priester
vorlügt, sein Neffe würde ihr nachstellen, wendet sich das Blatt. Dessen Wut
über die angebliche Unmoral seines Schützlings führt den jungen Mann direkt in
die Arme der Schönen - eine logische Konsequenz ganz im Sinn von Boccaccio.
Die Schwäche von „Le bambole“, seine Klischeehaftigkeit und vorhersehbare
Konsequenz zugunsten der Männer, ist gleichzeitig seine Stärke. Deutlich wird
daran, wie sehr der Episodenfilm in mehr als 80 Kurzfilmen der Jahre 1962 bis
1966 versuchte, die zunehmende gesellschaftliche Liberalisierung von allen
Seiten zu betrachten (nimmt man die nur unter einem Regisseur entstandenen
Episodenfilme hinzu, vergrößert sich diese Zahl noch erheblich). „Le bambole“
war Teil eines Diskurses, der die gesellschaftliche Doppelmoral und die
Macho-Allüren der Männer genauso mit Humor anprangerte, wie er sich über die
neuen Frauen-Rollen lustig machte. Die Macher wechselten ständig
den Blickwinkel und gaben sich nicht ohne Selbstironie dem Voyeurismus hin, immer verbunden mit ihrer Sympathie für die gesellschaftlichen Veränderungen und ihrer Lust an der Provokation.
Die negativen Reaktionen auf "Le bambole" konnten sie nicht überraschen, denn die Quintessenz lässt sich schon an den Anfangscredits ablesen – wir alle sind Marionetten.
"Le bambole" Italien, Frankreich 1965, Regie: Luigi Comencini, Dino Risi, Franco Rossi, Mauro Bolognini, Drehbuch: Rodolfo Sonego, Luciano Salce, Steno, Leo Benvenuti, Piero De Benardi, Darsteller : Monica Vitti, Gina Lollobrigida, Virna Lisi, Elke Sommer, Nino Manfredi, Jean Sorel, Alicia Brandet, Piero Focaccia, Maurizio Arena, Akim Tamiroff, Laufzeit : 105 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Luigi Comencini:
"I nuovi mostri" (1977)
- weitere im Blog besprochene Filme von Mauro Bolognini :
- weitere im Blog besprochene Filme von Franco Rossi :
"Tre notti d'amore" (1964)
"Le streghe" (1967)
Sehr schöner Bericht, herzlichen Dank!
AntwortenLöschenHabe mir erlaubt, in meinem neuen "Movie-Magazin" darauf hinzuweisen - und Dich in meiner Blogroll zu verlinken.