Casanova (Gabriele Ferzetti) und Dolores (Irene Galter) |
Inhalt: Spanien 1760 – der Polizeichef
von Madrid formuliert schriftlich den Befehl, dass Jeder im Namen der Inquisition an der
Ergreifung Giacomo Casanovas (Gabriele Ferzetti) mitwirken soll, während der Abenteurer und Frauenheld gerade im Nebenzimmer dessen Frau liebkost. Langsam wird aber auch ihm der Boden
in Spanien zu heiß, weshalb er mit seinem Diener Le Duc (Carlo Campanini) in
Richtung Frankreich aufbricht. Bis die Kutsche in einem kleinen Ort kurz anhält und Casanova die Beine der jungen Dolores (Irene Galter) erblickt. Zum Entsetzen seines Dieners entscheidet er spontan, doch den Abend hier zu
verbringen.
Le Duc (Carlo Campanini) hofft noch auf die Vernunft seines Herrn |
Ein Fehler, wie sich bald herausstellt, denn Dolores ist
nicht nur sehr selbstbewusst, sondern wird eifersüchtig von José (Aroldo Tieri)
bewacht, dem Anführer der Ortspolizei. Ihm und seinen Männern gelingt es,
Casanova festzunehmen und in einer Zelle einzuschließen. Dabei entdecken sie
sein Buch, indem er seine Abenteuer und Liebschaften seit seiner Jugend festhält, und beginnen laut daraus vorzulesen…
Der junge Casanova gibt noch Anlass zu den schönsten Hoffnungen |
Äußerlich deutete einiges darauf hin, dass Stenos Film
"Le avventure di Giacomo Casanova" (Casanova - Seine Liebe und
Abenteuer) aus dem üblichen Komödien-Rahmen fiel. Zwar stand wie seit Jahren
gewohnt Lucio Fulci als Regie-Assistent an seiner Seite und war auch am
Drehbuch beteiligt, aber darüber hinaus betrat der Regisseur Neuland. Statt der
Komiker Alberto Sordi ("Un Americano a Roma" (Ein Amerikaner in Rom,
1954)), Peppino de Filippo ("Un giorno in pretoria" (Drei
Sünderinnen, 1954)) oder Totò ("L'uomo, la bestia e la virtù" 1953),
die seine zuvor gedrehten Filme prägten, verpflichtete er den schönen Gabriele
Ferzetti als Hauptdarsteller, geschuldet der historischen Figur des Giacomo
Casanova - eine Abkehr von den zeitgenössischen Stoffen, mit denen Steno sonst
satirisch demaskierend seine Landsleute im italienischen Alltag beobachtete.
Doch sein erster Arbeitsplatz an der Villa D'Este führt zu der Begegnung mit: |
Die für ihn ungewöhnliche internationale Ausrichtung des mit
französischen Produktionsgeldern entstandenen Farbfilms lässt sich auch an der
breit aufgestellten Darsteller-Riege erkennen, die mit einer Vielzahl an
weiblichen Schönheiten aus Frankreich, der Schweiz, Österreich, Rumänien und
Italien aufwarten konnte. Zur adäquaten Umsetzung zog der Regisseur Mario Bava
als Kameramann hinzu, mit dem er zuletzt bei „Guardi e ladri“ (Räuber und
Gendarm, 1951) zusammengearbeitet hatte. Dieser tauchte die historischen
Landschaften und Bauten in schönste Farben und betonte noch die Attraktivität
der Damen in ihren prächtigen Kostümen. Deren sehr freizügige Inszenierung
verbunden mit der offen sexuellen Thematik stieß auf unterschiedliche
Reaktionen in den Produktionsländern. Während „Le avventure di Giacomo
Casanova" in Frankreich ab 16 Jahren freigegeben wurde, galt er für die
katholische Kirche in Italien als Pornografie.
Barbara (Mara Lane) |
Das hatte zur Folge, dass der im März 1955 in die Kinos
gekommene Film schnell wieder aus den Sälen verschwand und erst Ende des Jahres
in einer stark geschnittenen Version zurückkehren durfte. Der Auseinandersetzung
mit den italienischen Zensurbehörden war nicht nur der Torso zu verdanken,
sondern auch die Umbenennung des Titels – ursprünglich hieß Stenos Film „Le
avventure e gli amori di Giacomo Casanova“. Die „Liebschaften“ mussten entfallen
- angesichts der Handlung geradezu absurd. Denn obwohl diese im Jahr 1760
einsetzt und rückblickend Casanovas Leben betrachtet, legte Steno keinen Wert
auf historische Authentizität, sondern reduzierte die Figur des Intellektuellen
und Schriftstellers allein auf dessen Ruf als Verführer, der jedes Risiko für
ein Liebesabenteuer mit einer schönen Frau eingeht.
Angelica (Florence Arnaud) |
Ihm zur Seite steht mit Le Duc (Carlo Campanini) eine Art
„Sancho Pansa“, dessen bedingungslose Treue nicht näher begründet wird.
Vorteile seiner Diener-Position lassen sich nicht erkennen. Stattdessen muss er
jedes Schlamassel, in das sein Herr bei seinen amourösen Abenteuern
hineingerät, mit ausbaden. Allein an dieser Konstellation wird deutlich, dass
es Steno und seinen Co-Autoren, darunter auch sein alter Vertrauter Sandro
Continenza, nicht um ein realitätsnahes Historienbild ging, sondern um ein
provokantes Spiel mit der Moral, das unmittelbar in die damalige Gegenwart führte.
Die ablehnende Reaktion konservativer Kreise und der katholischen Kirche war
auch ohne Nacktbilder vorhersehbar.
und Lucrezia (Lia di Leo) |
Obwohl von sich und seiner Wirkung auf Frauen überzeugt, ist
Ferzetti als Casanova im Film der eindeutige Sympathieträger, denn im Gegensatz
zur restlichen Männerwelt nimmt er sich selbst nicht zu ernst, die Frauen dafür
umso mehr. Sein galantes Auftreten, sein Wortwitz und sein gutes Aussehen sind
sicherlich von Vorteil, aber entscheidend für seinen Erfolg ist, dass er die
Frauen als gleichwertig respektiert. Die gemeinsamen Liebesnächte beruhen auf
einem gegenseitigen Einverständnis - nie ist Casanova nur Verführer, sondern
immer auch Verführter. Ob Hausmädchen, höhere Tochter oder adelige Ehefrau,
alle Frauen treten selbstbewusst und sexuell aktiv auf, Einige begeben sich in
Wettstreit mit dem Frauenhelden, Andere wissen ihn geschickt zu händeln.
Ob im Harem... |
Sehr schön wird das im Rückblick auf seine Anfänge als
Hauslehrer auf dem herrschaftlichen Landsitz des Barons Costanzi deutlich, wo
er versucht, dem Hausmädchen Bettina (Fulvia Franco) näher zu kommen. Bei den Cousinen
der Baronesse Lucrezia (Lia di Leo), der standesbewussten Barbara (Mara Lane)
und der einzig an ihren Büchern interessierten Angelica (Florence Arnaud),
rechnet er sich dagegen keine Chancen aus. Ohne zu wissen, dass Bettina kurzfristig nach Rom geschickt wurde, um den maladen Baron dort zu betreuen,
begibt er sich wie verabredet des Nachts auf ihr Zimmer. Er erlebt die
erhofften Wonnen, ahnt aber nicht, dass Barbara ihre Verabredung mitgehört
hatte und statt des Hausmädchens auf ihn gewartet hatte. Dass es eine Andere
war, wird ihm am nächsten Morgen klar, als er Bettina aus der von Rom kommenden
Kutsche aussteigen sieht. Er beginnt, nach der wahren Geliebten zu forschen. Zuerst
bei Lucrezia, dann bei Angelica, schließlich erkennt er Barbara wieder, aber
auch Bettina fordert die geplatzte Verabredung ein. Mit der Folge, dass sich
der überforderte und übernächtigte Liebhaber heimlich davon stiehlt.
...oder als Kommissar für moralische Angelegenheiten... |
Das Potpourri an sexuellen Abenteuern, das Steno hier
entfaltete, war eine Überzeichnung der sich nach dem Krieg verändernden
Geschlechterrollen. Auf der einen Seite standen emanzipierte Frauen, auf der
anderen ihre an ihrer patriarchalischen Überlegenheit festhaltenden Männer –
dazwischen nutzte Casanova den sich bietenden Freiraum. Zum eigenen Vergnügen, meist
auch dem der Frauen, aber immer zum Ärger der Männer, die ihn jagen, einkerkern
und hinrichten lassen wollen. Zwar zitierte der Film in diesem Zusammenhang Casanovas
historisch verbürgte Flucht aus dem Bleigefängnis von Venedig, aber langsam
kristallisierte sich auch die Parallele zu Stenos zeitgenössischen Filmen wie
„Totò a colori“ (Totò in Farbe, 1952) oder „Un Americano a Roma“ heraus. Erneut
stand eine Außenseiter-Figur im Mittelpunkt des Geschehens, deren
Unangepasstheit die bürgerlichen und in diesem Fall auch adeligen
Gesellschaftsschichten zur Weißglut brachte. Dass es sich hier um einen
überlegenen Charakter handelte, machte keinen Unterschied – die Konsequenz war
dieselbe.
...die Frauen beherrschen jeden seiner Schritte: Marina Vlady |
Auch äußerlich blieb Steno seiner bevorzugten episodenhaften
Inszenierungsform treu. Ausgehend von einer Rahmenhandlung, die Casanova 1760
in ein spanisches Gefängnis bringt, erzählte er rückblickend in aneinander
gereihten Episoden von dessen vergnüglichen Abenteuern. Einzig die tragische
Tiefe fehlte dieser Figur, denn dafür agierte Ferzetti in seiner Rolle im
Gegensatz zu den von Totò und Alberto Sordi gespielten Verlierer-Typen zu
souverän, gab es keinen Zweifel daran, dass er auch der misslichsten Lage
entkommen würde. Offensichtlich bedurfte es keines kritischen Subtexts wie in
der „Commedia all’italiana“ üblich, denn allein der ungezwungene Umgang mit der
Sexualität, kombiniert mit Nacktaufnahmen, die erst Ende der 60er Jahre wieder
in dieser Direktheit und Häufigkeit im italienischen Film zu sehen waren, genügte
schon als Provokation.
Nadia Gray |
Abschließend bleibt die Frage, wieso "Le avventure di
Giacomo Casanova" trotz seiner Ausnahmestellung in Vergessenheit geriet? –
Im Gegensatz zu Alberto Lattuadas „La spiaggia“ (Der Skandal, 1954), der heute
zu den 100 wichtigsten italienischen Filmen gezählt wird, fehlte Stenos frivolem
Lustspiel die unterschwellige Kritik an der damals vorherrschenden Doppelmoral.
Und als Tabubruch, der schon eine Vielzahl typischer Merkmale der späteren „Commedia
sexy all’italiana“ vorweg nahm, kam der Film Mitte der 50er Jahre schlicht zu
früh, zusätzlich noch dank der Zensur stark gekürzt. Ob es an diesen negativen
Erfahrungen lag, bleibt Spekulation, aber es dauerte ein Jahrzehnt bis sich
Steno in „Letti sbagliati“ (Die richtige Frau im falschen Bett, 1965) wieder
dem erotischen Komödien-Genre zuwandte. Gemessen an den moralischen Standards
im Land verständlich, angesichts des äußerst unterhaltsamen Films und seiner
optischen Opulenz sehr schade.
"Le avventure di Giacomo Casanova" Italien, Frankreich 1955, Regie: Steno, Drehbuch: Steno, Lucio Fulci, Erno Bistolfi, Gian Bistolfi, Sandro Continenza, Mario Guerra, Carlo Romano, Darsteller : Gabriele Ferzetti, Carlo Campanini, Irene Galter, Marina Vlady, Nadia Gray, Mara Lane, Corinne Calvet, Lia Di Leo, Anna Amendola, Ursula Andress, Laufzeit : 100 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Steno:
"Totò a colori" (1952)
"L'uomo, la bestia e la virtù" (1953)
"Un americano a Roma" (1954)
"Guardia, ladro e cameriera" (1958)
"Letti sbagliati" (1965)
"La polizia ringrazia" (1972)
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