Sonntag, 18. Oktober 2015

Le avventure di Giacomo Casanova (Casanova - seine Liebe und Abenteuer) 1955 Steno

Casanova (Gabriele Ferzetti) und Dolores (Irene Galter)
Inhalt: Spanien 1760 – der Polizeichef von Madrid formuliert schriftlich den Befehl, dass Jeder im Namen der Inquisition an der Ergreifung Giacomo Casanovas (Gabriele Ferzetti) mitwirken soll, während der Abenteurer und Frauenheld gerade im Nebenzimmer dessen Frau liebkost. Langsam wird aber auch ihm der Boden in Spanien zu heiß, weshalb er mit seinem Diener Le Duc (Carlo Campanini) in Richtung Frankreich aufbricht. Bis die Kutsche in einem kleinen Ort kurz anhält und Casanova die Beine der jungen Dolores (Irene Galter) erblickt. Zum Entsetzen seines Dieners entscheidet er spontan, doch den Abend hier zu verbringen.

Le Duc (Carlo Campanini) hofft noch auf die Vernunft seines Herrn
Ein Fehler, wie sich bald herausstellt, denn Dolores ist nicht nur sehr selbstbewusst, sondern wird eifersüchtig von José (Aroldo Tieri) bewacht, dem Anführer der Ortspolizei. Ihm und seinen Männern gelingt es, Casanova festzunehmen und in einer Zelle einzuschließen. Dabei entdecken sie sein Buch, indem er seine Abenteuer und Liebschaften seit seiner Jugend  festhält, und beginnen laut daraus vorzulesen…



"Le avventure di Giacomo Casanova" sollte Teil meiner Aufarbeitung der Frühphase der "Commedia all'italiana" werden - mit dem zusätzlichen Blick auf Lucio Fulcis Filmkarriere vor seiner ersten Regie-Arbeit, die eng mit Steno und der italienischen Komödie verbunden ist. Hier übernahm er zudem eine Rolle als Mitglied der Wachmannschaft, die sich die Memoiren des Lebenskünstlers zu Gemüte führt.

Zu meiner Überraschung erwies sich der Film auch als Baustein zu meiner Reihe über die Entstehung der "Commedia sexy all'italiana" - mit so einem frühen Beispiel eines erotischen Films hatte ich nicht gerechnet. Tatsächlich galt der Film auf Grund starker Zensurschnitte lange als verschollen, konnte aber mit Hilfe einer französischen Kopie wieder rekonstruiert werden, auch wenn einige Szenen, darunter die im Harem, nur noch in schwarz/weiß vorliegen. Zu verdanken ist das Ergebnis den Machern der sehr empfehlenswerten italienischen DVD, zu der es auch englische Untertitel gibt.



Der junge Casanova gibt noch Anlass zu den schönsten Hoffnungen
Äußerlich deutete einiges darauf hin, dass Stenos Film "Le avventure di Giacomo Casanova" (Casanova - Seine Liebe und Abenteuer) aus dem üblichen Komödien-Rahmen fiel. Zwar stand wie seit Jahren gewohnt Lucio Fulci als Regie-Assistent an seiner Seite und war auch am Drehbuch beteiligt, aber darüber hinaus betrat der Regisseur Neuland. Statt der Komiker Alberto Sordi ("Un Americano a Roma" (Ein Amerikaner in Rom, 1954)), Peppino de Filippo ("Un giorno in pretoria" (Drei Sünderinnen, 1954)) oder Totò ("L'uomo, la bestia e la virtù" 1953), die seine zuvor gedrehten Filme prägten, verpflichtete er den schönen Gabriele Ferzetti als Hauptdarsteller, geschuldet der historischen Figur des Giacomo Casanova - eine Abkehr von den zeitgenössischen Stoffen, mit denen Steno sonst satirisch demaskierend seine Landsleute im italienischen Alltag beobachtete.

Doch sein erster Arbeitsplatz an der Villa D'Este führt zu der Begegnung mit:
Die für ihn ungewöhnliche internationale Ausrichtung des mit französischen Produktionsgeldern entstandenen Farbfilms lässt sich auch an der breit aufgestellten Darsteller-Riege erkennen, die mit einer Vielzahl an weiblichen Schönheiten aus Frankreich, der Schweiz, Österreich, Rumänien und Italien aufwarten konnte. Zur adäquaten Umsetzung zog der Regisseur Mario Bava als Kameramann hinzu, mit dem er zuletzt bei „Guardi e ladri“ (Räuber und Gendarm, 1951) zusammengearbeitet hatte. Dieser tauchte die historischen Landschaften und Bauten in schönste Farben und betonte noch die Attraktivität der Damen in ihren prächtigen Kostümen. Deren sehr freizügige Inszenierung verbunden mit der offen sexuellen Thematik stieß auf unterschiedliche Reaktionen in den Produktionsländern. Während „Le avventure di Giacomo Casanova" in Frankreich ab 16 Jahren freigegeben wurde, galt er für die katholische Kirche in Italien als Pornografie.

Barbara (Mara Lane)
Das hatte zur Folge, dass der im März 1955 in die Kinos gekommene Film schnell wieder aus den Sälen verschwand und erst Ende des Jahres in einer stark geschnittenen Version zurückkehren durfte. Der Auseinandersetzung mit den italienischen Zensurbehörden war nicht nur der Torso zu verdanken, sondern auch die Umbenennung des Titels – ursprünglich hieß Stenos Film „Le avventure e gli amori di Giacomo Casanova“. Die „Liebschaften“ mussten entfallen - angesichts der Handlung geradezu absurd. Denn obwohl diese im Jahr 1760 einsetzt und rückblickend Casanovas Leben betrachtet, legte Steno keinen Wert auf historische Authentizität, sondern reduzierte die Figur des Intellektuellen und Schriftstellers allein auf dessen Ruf als Verführer, der jedes Risiko für ein Liebesabenteuer mit einer schönen Frau eingeht.

Angelica (Florence Arnaud)
Ihm zur Seite steht mit Le Duc (Carlo Campanini) eine Art „Sancho Pansa“, dessen bedingungslose Treue nicht näher begründet wird. Vorteile seiner Diener-Position lassen sich nicht erkennen. Stattdessen muss er jedes Schlamassel, in das sein Herr bei seinen amourösen Abenteuern hineingerät, mit ausbaden. Allein an dieser Konstellation wird deutlich, dass es Steno und seinen Co-Autoren, darunter auch sein alter Vertrauter Sandro Continenza, nicht um ein realitätsnahes Historienbild ging, sondern um ein provokantes Spiel mit der Moral, das unmittelbar in die damalige Gegenwart führte. Die ablehnende Reaktion konservativer Kreise und der katholischen Kirche war auch ohne Nacktbilder vorhersehbar.

und Lucrezia (Lia di Leo)
Obwohl von sich und seiner Wirkung auf Frauen überzeugt, ist Ferzetti als Casanova im Film der eindeutige Sympathieträger, denn im Gegensatz zur restlichen Männerwelt nimmt er sich selbst nicht zu ernst, die Frauen dafür umso mehr. Sein galantes Auftreten, sein Wortwitz und sein gutes Aussehen sind sicherlich von Vorteil, aber entscheidend für seinen Erfolg ist, dass er die Frauen als gleichwertig respektiert. Die gemeinsamen Liebesnächte beruhen auf einem gegenseitigen Einverständnis - nie ist Casanova nur Verführer, sondern immer auch Verführter. Ob Hausmädchen, höhere Tochter oder adelige Ehefrau, alle Frauen treten selbstbewusst und sexuell aktiv auf, Einige begeben sich in Wettstreit mit dem Frauenhelden, Andere wissen ihn geschickt zu händeln.

Ob im Harem...
Sehr schön wird das im Rückblick auf seine Anfänge als Hauslehrer auf dem herrschaftlichen Landsitz des Barons Costanzi deutlich, wo er versucht, dem Hausmädchen Bettina (Fulvia Franco) näher zu kommen. Bei den Cousinen der Baronesse Lucrezia (Lia di Leo), der standesbewussten Barbara (Mara Lane) und der einzig an ihren Büchern interessierten Angelica (Florence Arnaud), rechnet er sich dagegen keine Chancen aus. Ohne zu wissen, dass Bettina kurzfristig nach Rom geschickt wurde, um den maladen Baron dort zu betreuen, begibt er sich wie verabredet des Nachts auf ihr Zimmer. Er erlebt die erhofften Wonnen, ahnt aber nicht, dass Barbara ihre Verabredung mitgehört hatte und statt des Hausmädchens auf ihn gewartet hatte. Dass es eine Andere war, wird ihm am nächsten Morgen klar, als er Bettina aus der von Rom kommenden Kutsche aussteigen sieht. Er beginnt, nach der wahren Geliebten zu forschen. Zuerst bei Lucrezia, dann bei Angelica, schließlich erkennt er Barbara wieder, aber auch Bettina fordert die geplatzte Verabredung ein. Mit der Folge, dass sich der überforderte und übernächtigte Liebhaber heimlich davon stiehlt.

...oder als Kommissar für moralische Angelegenheiten...
Das Potpourri an sexuellen Abenteuern, das Steno hier entfaltete, war eine Überzeichnung der sich nach dem Krieg verändernden Geschlechterrollen. Auf der einen Seite standen emanzipierte Frauen, auf der anderen ihre an ihrer patriarchalischen Überlegenheit festhaltenden Männer – dazwischen nutzte Casanova den sich bietenden Freiraum. Zum eigenen Vergnügen, meist auch dem der Frauen, aber immer zum Ärger der Männer, die ihn jagen, einkerkern und hinrichten lassen wollen. Zwar zitierte der Film in diesem Zusammenhang Casanovas historisch verbürgte Flucht aus dem Bleigefängnis von Venedig, aber langsam kristallisierte sich auch die Parallele zu Stenos zeitgenössischen Filmen wie „Totò a colori“ (Totò in Farbe, 1952) oder „Un Americano a Roma“ heraus. Erneut stand eine Außenseiter-Figur im Mittelpunkt des Geschehens, deren Unangepasstheit die bürgerlichen und in diesem Fall auch adeligen Gesellschaftsschichten zur Weißglut brachte. Dass es sich hier um einen überlegenen Charakter handelte, machte keinen Unterschied – die Konsequenz war dieselbe.

...die Frauen beherrschen jeden seiner Schritte: Marina Vlady
Auch äußerlich blieb Steno seiner bevorzugten episodenhaften Inszenierungsform treu. Ausgehend von einer Rahmenhandlung, die Casanova 1760 in ein spanisches Gefängnis bringt, erzählte er rückblickend in aneinander gereihten Episoden von dessen vergnüglichen Abenteuern. Einzig die tragische Tiefe fehlte dieser Figur, denn dafür agierte Ferzetti in seiner Rolle im Gegensatz zu den von Totò und Alberto Sordi gespielten Verlierer-Typen zu souverän, gab es keinen Zweifel daran, dass er auch der misslichsten Lage entkommen würde. Offensichtlich bedurfte es keines kritischen Subtexts wie in der „Commedia all’italiana“ üblich, denn allein der ungezwungene Umgang mit der Sexualität, kombiniert mit Nacktaufnahmen, die erst Ende der 60er Jahre wieder in dieser Direktheit und Häufigkeit im italienischen Film zu sehen waren, genügte schon als Provokation.

Nadia Gray
Abschließend bleibt die Frage, wieso "Le avventure di Giacomo Casanova" trotz seiner Ausnahmestellung in Vergessenheit geriet? – Im Gegensatz zu Alberto Lattuadas „La spiaggia“ (Der Skandal, 1954), der heute zu den 100 wichtigsten italienischen Filmen gezählt wird, fehlte Stenos frivolem Lustspiel die unterschwellige Kritik an der damals vorherrschenden Doppelmoral. Und als Tabubruch, der schon eine Vielzahl typischer Merkmale der späteren „Commedia sexy all’italiana“ vorweg nahm, kam der Film Mitte der 50er Jahre schlicht zu früh, zusätzlich noch dank der Zensur stark gekürzt. Ob es an diesen negativen Erfahrungen lag, bleibt Spekulation, aber es dauerte ein Jahrzehnt bis sich Steno in „Letti sbagliati“ (Die richtige Frau im falschen Bett, 1965) wieder dem erotischen Komödien-Genre zuwandte. Gemessen an den moralischen Standards im Land verständlich, angesichts des äußerst unterhaltsamen Films und seiner optischen Opulenz sehr schade.

"Le avventure di Giacomo Casanova" Italien, Frankreich 1955, Regie: Steno, Drehbuch: Steno, Lucio Fulci, Erno Bistolfi, Gian Bistolfi, Sandro Continenza, Mario Guerra, Carlo Romano, Darsteller : Gabriele Ferzetti, Carlo Campanini, Irene Galter, Marina Vlady, Nadia Gray, Mara Lane, Corinne Calvet, Lia Di Leo, Anna Amendola, Ursula Andress, Laufzeit : 100 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Steno:

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