Donnerstag, 29. Oktober 2015

Frenesia dell'estate (Verrückter Sommer) 1964 Luigi Zampa

Inhalt: Selene (Graziella Galvani) kommt mit dem Zug von der Arbeit aus Lucca und wird von ihrem Vater am Bahnhof des Badeorts Viareggio mit der Kutsche abgeholt. Von Ferienstimmung ist nichts zu merken, denn es regnet in Strömen, aber Selenes Bruder Manolo (Philippe Leroy) nutzt die Zeit für Reparaturen an seinem Eselskarren, mit dem er sonst am Strand Kinder herumfährt. Ihre Schwester Foschina (Gabriella Giorgelli) sollte eigentlich das Essen vorbereiten, aber sie streitet sich stattdessen eifersüchtig mit ihrem Freund Paolo (Giampiero Littera), der als Fotograf arbeitet – seine Kamera überlebt ihren Krach nur knapp.

Seine Filme entwickelt Paolo in einem Nachbarhaus, wo er sich eine Wohnung mit der allein stehenden, knapp 40jährigen Yvonne (Sandra Milo) teilt, die in den Vorbereitungen für ihre Backwaren steckt, die sie am Strand verkauft. Währenddessen erreicht Marcello (Amadeo Nazzari) Viareggio, um im zentralen Hotel der Stadt einzuchecken. Überall wird der elegante, souverän auftretende 50jährige als „Graf“ begrüßt“, als der er sich ausgibt. Tatsächlich arbeitet er als männliches Mannequin in der Show seiner Freundin, die täglich für die Touristen Mode vorführen lässt…


"Viareggio" - groß fängt die Kamera das Schild am Bahnhof ein, das von der Ankunft an einem der bekanntesten Badeorte Italiens an der Riviera kündet. Doch "Viareggio" ist auch ein Symbol für den soziologischen Wandel nach dem Krieg. Aus dem exklusiven Seebad der Vorkriegszeit wurde ein beliebter Ferienort für die italienische Bevölkerung. Im Sommer herrscht hier und in der nahe gelegenen toscanischen Stadt Lucca Hochbetrieb. Hotels, Restaurants, Vergnügungslokale und Attraktionen jeder Art sind wie Pilze aus dem Boden geschossen, um die Menschenmassen unterzubringen und zu unterhalten. Überfüllte Strände und nächtliche Touristenkolonnen sind die Folge, gepaart mit extremen Verhaltensweisen, wie sie wiederholt im italienischen Film thematisiert wurden - beispielhaft in Alberto Lattuadas "La spiaggia" (Der Skandal, 1954), aktueller in Dino Risis "Il sorpasso" (Verliebt in scharfe Kurven, 1962). Gemein ist diesen Filmen die Sezierung einer bürgerlichen Doppelmoral, die im Alltag die Einhaltung von Anstands-Regeln predigt, die am Urlaubsort außer Kraft gesetzt werden.

Kein ungewöhnliches Verhalten, dass aber auf Grund der stetig wachsenden Zahl an Feriengästen nach dem Krieg die gesellschaftlichen Prozesse hinsichtlich der Geschlechterrollen und der Sexualität beschleunigte. Entsprechend viele erotische Komödien spielen vor dem Hintergrund eines Urlaubszenarios („Peccato veniale“ (Der Filou, 1974)), da erst der dort vorhandene Freiraum die Möglichkeit von Tabubrüchen schuf, deren Alltagstauglichkeit nicht nachgewiesen werden musste. Auch umgingen die Macher so den Fallstricken der Zensur, da sie sich auf die Ausnahmesituation am Urlaubsort berufen konnten. Regisseur Luigi Zampa ging in „Frenesia dell’estate“ (Verrückter Sommer) den entgegengesetzten Weg. Ihn interessierten weniger die Gäste, die in seinem Film bis auf geringe Ausnahmen nur als gesichtslose Masse vorkommen, sondern die Menschen, die hier leben und/oder in den Ferienmonaten hier arbeiten. Für sie ist „Frenesia“ - übersetzt “Raserei“ oder „rasende Begierde“ – ihr Alltag.

„Eine sozialkritische Komödie des berühmten Italieners Luigi Zampa, die mit den großen Werken des Regisseurs nicht zu vergleichen ist, jedoch unverkennbar seine Handschrift aufweist. Leider siedelte er aber die kleinen Schicksale jener kuriosen Typen in Lucca bzw. Viareggio in zwei der Begegnungen zu einseitig lediglich bei deren sexuellen Beziehungen an. Deshalb nur etwas für verständige Erwachsene.“

Yvonne (Sandra Milo) kümmert sich um den spanischen Radfahrer
Diese keineswegs negative Aussage des „Evangelischen Filmbeobachters“ lässt zwei Haltungen dieser Zeit deutlich werden – die Geringerschätzung komödiantischer Stoffe gegenüber den ernsthaften „großen Werken“ und die Ablehnung einer scheinbar zu sehr in den Vordergrund gerückten Sexualität, die als reißerisch und spekulativ angesehen wurde.

Manolo (Philippe Leroy) will groß ins Geschäft einsteigen
Das ließ außer Acht, dass Luigi Zampa schon in seinen frühen Filmen Sozialkritik und unterhaltende Elemente eng miteinander verband - ein Grund dafür, warum etwa „L’onerevole Angelina“ (Abgeordnete Angelina, 1947) heute nur selten zum Kanon des Neorealismus gezählt wird. Zampa wechselte zwar regelmäßig ins dramatische Fach („La romana“ (Die freudlose Gasse, 1954)), blieb aber auch seiner komödiantischen Linie treu und gehörte neben Steno und Mario Monicelli zu den prägenden Köpfen der „Commedia all’italiana“ in den 50er Jahren. Ende des Jahrzehnts schrieb er die Drehbücher zu seinen Filmen gemeinsam mit Pasquale Festa Campanile und Massimo Franciosa („Ladri lui, ladri lei“ (Dieb hin, Dieb her (1958)) sowie Rodolfo Sonego („Il vigile“ (Der Schutzmann, 1960)), die wenige Jahre später zu wichtigen Wegbereitern der „Commedia sexy all’italiana“ werden sollten.

Nardoni (Vittorio Gassman) belügt seine Verlobte (Graziella Galvani)...
Zuvor legte Zampa mit „Frenesia dell’estate“ selbst schon einen frühen Meilenstein des erotischen Genres vor - gleichzeitig seine einzige direkte Zusammenarbeit mit Mario Monicelli und gewissermaßen auch mit Steno, hier vertreten durch dessen Leib- und Magen-Autoren Agenore Incrocci (Age) und Furio Scarpelli. Auch die Darstellerliste wies schon in Richtung „Commedia sexy“: Vittorio Gassman („L’amore difficile“ (Erotica),1962)), Sandra Milo ("Come imparai ad amare le donne" (Das gewisse Etwas der Frauen, 1966)) und Gabriella Gorgiella ("L'isola di Arturo" (Die Insel der verbotenen Liebe, 1962)) sowie „Angelique“-Darstellerin Michèle Mercier und Philippe Leroy („Les filles sèment le vent“ (Die Ernte der sündigen Mädchen, 1961)) gehörten zu prägenden Vertretern der sexuellen Liberalisierung im Kino der 60er Jahre.

...um mit seinen Kameraden nach Viareggio in die Travestie-Show zu gehen.
Wie in der Frühphase des erotischen Films üblich - gleichzeitig die Hochphase des Episodenfilms Mitte der 60er Jahre - war auch „Frenesia dell’estate“ episodenhaft angelegt. Um die zentralen Figuren – die Strandverkäuferin von Backwaren Yvonne (Sandra Milo), den Capitano einer in Lucca stationierten Armeeeinheit (Vittorio Gassman), Manolo (Philippe Leroy), der mit seinen Eseln Kinder herumkutschiert, aber von besseren Geschäften träumt, sowie dem männlichen Mannequin Marcello (Amadeo Nazzari) – entwickeln sich eigenständige Geschichten, die ineinander verwoben erzählt wurden und über Berührungspunkte verfügen, die Zampas Film einen einheitlichen Gesamteindruck verleihen. Nicht ohne Grund beginnt und schließt er mit einer Szene im Regen – sinnbildlich für den Anfang und das Ende eines Sommers, der Spuren hinterließ, obwohl äußerlich alles beim Alten blieb.

Dort lernt er Gigi (Michèle Mercier) kennen, die er für einen Mann hält
Capitano Mario Nardoni hat inzwischen seine langjährige Verlobte Selene (Graziella Galvani) geheiratet, deren Schwester Foschina (Gabriella Giorgelli) ist wieder mit dem Fotografen Paolo (Giampiero Littera) zusammen, mit dem sie sich in der ersten Szene des Films zerstritten hatte, und ihr gemeinsamer Bruder Manolo backt immer noch kleine Brötchen. Ein Eindruck, der täuscht. Die Prozesse sind nicht mehr aufzuhalten, auch wenn die Beteiligten versuchen, wieder zur Tagesordnung zurückzukehren. Während die amüsante Story um Yvonne, der ein spanischer Hinterbänkler des Giro d’Italia in den Verkaufswagen stürzt, worauf sie ihn mit zu sich nach Hause und ins Bett nimmt, eher harmlos der Frivolität frönt, greifen die Ereignisse um die Schwestern Foschina und Ninette tiefer in die sich verändernde Sozialisation.

Marcello (Amadeo Nazzari) macht sich an Foschina(Gabrielle Giorgelli) heran
Nach der Trennung von Paolo bändelt die junge Foschina mit dem viel älteren, gut aussehenden Marcello an, den sie als Freund ihres Bruders Manolo kennenlernte. Sie ahnt nicht, dass sich der so distinguiert auftretende Charmeur selbst zum Abendessen einlud, weil er komplett abgebrannt ist. Er hatte seinen Job bei der Modenschau geschmissen, weil seine Chefin und gleichzeitige Geliebte ihn nicht mehr in Bademoden auftreten ließ. Daraufhin hatte sie ihre Zahlungen an den in der Öffentlichkeit als Graf auftretenden Lebemann eingestellt. In der Begegnung von Foschina und Marcello treffen zwei sich gegensätzlich entwickelnde Geschlechterrollen aufeinander - hier die junge Frau, die beginnt, sich der Kontrolle ihres Vaters zu entziehen, dort der alternde Mann, der bis zur Lächerlichkeit an einem Status festhält, der längst nicht mehr existiert.

Der Veranstalter(Renzo Palmer) durchschaut, dass Gigi eine Frau ist
Neuland betraten Zampa und seine Autoren mit der Story um den Armee-Hauptmann Mario Nardoni, der schon lange mit Ninette verlobt ist, aber wenig Lust verspürt sie zu heiraten. Mit fadenscheinigen Argumenten bricht er eine Verabredung ab, um sich mit seinen Kameraden ins Touristen-Getümmel von Viareggio zu werfen. Sie besuchen eine Travestie-Show französischer Künstler, die sehr überzeugend als Frauen auftreten. Für Nardoni ein Spaß, der ihn zu ängstigen beginnt, als sich Gigi während der Show auf seinen Schoß setzt. Irritiert reagiert er auf dessen spielerische Annäherungen, da er sich angezogen fühlt. Nicht ahnend, dass es sich bei Gigi (Michèle Mercier) tatsächlich um eine Frau handelt, die spontan in Frankreich als Ersatz einsprang und zähneknirschend vom Veranstalter (Renzo Palmer) akzeptiert wurde – unter der Auflage, dass nichts davon an die Öffentlichkeit dringen darf.

Gassman ist großartig als Mann, der an seinen sexuellen Präferenzen zu zweifeln beginnt und damit innerhalb der stark patriarchalisch geprägten italienischen Gesellschaft an seine Grenzen stößt. Seine Empörung gegenüber Gigi, der er mehrfach in der Öffentlichkeit wieder begegnet, steigert sich so sehr, dass er nicht mehr in der Lage ist, ihr nächtliches Geständnis, dass sie eine Frau ist, noch wahrzunehmen. Stattdessen verbringt er eine Nacht mit Ninette, um sich zu beweisen, dass er ein „richtiger“ Mann ist. Das Vorhaben gelingt erwartungsgemäß – mit dem Ergebnis, dass er die zudem noch geschwängerte Ninette heiratet. Ende gut, alles gut? – Kaum, wie sein abschließender Gesichtsausdruck vermittelt, nachdem ihm sein Schwager Manolo vom Geheimnis um Gigi erzählt hat. Äußerlich scheint alles beim Alten, aber die Geschlechter-Grenzen beginnen aufzuweichen, die Beziehungs-Strukturen verändern sich – die Lunte ist gelegt.

"Frenesia dell'estate" Italien, Frankreich 1964, Regie: Luigi Zampa, Drehbuch: Mario Monicelli, Agenore Incrocci, Furio Scarpelli, Piero De Benardi, Renzo Tarabusi, Raffaello Pacini, Leonardo Benvenuti, Folco Provenzale, Darsteller : Vittorio Gassman, Sandra Milo, Philippe Leroy, Michèle Mercier, Gabriella Giorgelli, Graziella Galvani, Amadeo Nazzari, Renzo Palmer, Umberto D'Orsi, Laufzeit : 105 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Luigi Zampa:

Sonntag, 18. Oktober 2015

Le avventure di Giacomo Casanova (Casanova - seine Liebe und Abenteuer) 1955 Steno

Casanova (Gabriele Ferzetti) und Dolores (Irene Galter)
Inhalt: Spanien 1760 – der Polizeichef von Madrid formuliert schriftlich den Befehl, dass Jeder im Namen der Inquisition an der Ergreifung Giacomo Casanovas (Gabriele Ferzetti) mitwirken soll, während der Abenteurer und Frauenheld gerade im Nebenzimmer dessen Frau liebkost. Langsam wird aber auch ihm der Boden in Spanien zu heiß, weshalb er mit seinem Diener Le Duc (Carlo Campanini) in Richtung Frankreich aufbricht. Bis die Kutsche in einem kleinen Ort kurz anhält und Casanova die Beine der jungen Dolores (Irene Galter) erblickt. Zum Entsetzen seines Dieners entscheidet er spontan, doch den Abend hier zu verbringen.

Le Duc (Carlo Campanini) hofft noch auf die Vernunft seines Herrn
Ein Fehler, wie sich bald herausstellt, denn Dolores ist nicht nur sehr selbstbewusst, sondern wird eifersüchtig von José (Aroldo Tieri) bewacht, dem Anführer der Ortspolizei. Ihm und seinen Männern gelingt es, Casanova festzunehmen und in einer Zelle einzuschließen. Dabei entdecken sie sein Buch, indem er seine Abenteuer und Liebschaften seit seiner Jugend  festhält, und beginnen laut daraus vorzulesen…



"Le avventure di Giacomo Casanova" sollte Teil meiner Aufarbeitung der Frühphase der "Commedia all'italiana" werden - mit dem zusätzlichen Blick auf Lucio Fulcis Filmkarriere vor seiner ersten Regie-Arbeit, die eng mit Steno und der italienischen Komödie verbunden ist. Hier übernahm er zudem eine Rolle als Mitglied der Wachmannschaft, die sich die Memoiren des Lebenskünstlers zu Gemüte führt.

Zu meiner Überraschung erwies sich der Film auch als Baustein zu meiner Reihe über die Entstehung der "Commedia sexy all'italiana" - mit so einem frühen Beispiel eines erotischen Films hatte ich nicht gerechnet. Tatsächlich galt der Film auf Grund starker Zensurschnitte lange als verschollen, konnte aber mit Hilfe einer französischen Kopie wieder rekonstruiert werden, auch wenn einige Szenen, darunter die im Harem, nur noch in schwarz/weiß vorliegen. Zu verdanken ist das Ergebnis den Machern der sehr empfehlenswerten italienischen DVD, zu der es auch englische Untertitel gibt.



Der junge Casanova gibt noch Anlass zu den schönsten Hoffnungen
Äußerlich deutete einiges darauf hin, dass Stenos Film "Le avventure di Giacomo Casanova" (Casanova - Seine Liebe und Abenteuer) aus dem üblichen Komödien-Rahmen fiel. Zwar stand wie seit Jahren gewohnt Lucio Fulci als Regie-Assistent an seiner Seite und war auch am Drehbuch beteiligt, aber darüber hinaus betrat der Regisseur Neuland. Statt der Komiker Alberto Sordi ("Un Americano a Roma" (Ein Amerikaner in Rom, 1954)), Peppino de Filippo ("Un giorno in pretoria" (Drei Sünderinnen, 1954)) oder Totò ("L'uomo, la bestia e la virtù" 1953), die seine zuvor gedrehten Filme prägten, verpflichtete er den schönen Gabriele Ferzetti als Hauptdarsteller, geschuldet der historischen Figur des Giacomo Casanova - eine Abkehr von den zeitgenössischen Stoffen, mit denen Steno sonst satirisch demaskierend seine Landsleute im italienischen Alltag beobachtete.

Doch sein erster Arbeitsplatz an der Villa D'Este führt zu der Begegnung mit:
Die für ihn ungewöhnliche internationale Ausrichtung des mit französischen Produktionsgeldern entstandenen Farbfilms lässt sich auch an der breit aufgestellten Darsteller-Riege erkennen, die mit einer Vielzahl an weiblichen Schönheiten aus Frankreich, der Schweiz, Österreich, Rumänien und Italien aufwarten konnte. Zur adäquaten Umsetzung zog der Regisseur Mario Bava als Kameramann hinzu, mit dem er zuletzt bei „Guardi e ladri“ (Räuber und Gendarm, 1951) zusammengearbeitet hatte. Dieser tauchte die historischen Landschaften und Bauten in schönste Farben und betonte noch die Attraktivität der Damen in ihren prächtigen Kostümen. Deren sehr freizügige Inszenierung verbunden mit der offen sexuellen Thematik stieß auf unterschiedliche Reaktionen in den Produktionsländern. Während „Le avventure di Giacomo Casanova" in Frankreich ab 16 Jahren freigegeben wurde, galt er für die katholische Kirche in Italien als Pornografie.

Barbara (Mara Lane)
Das hatte zur Folge, dass der im März 1955 in die Kinos gekommene Film schnell wieder aus den Sälen verschwand und erst Ende des Jahres in einer stark geschnittenen Version zurückkehren durfte. Der Auseinandersetzung mit den italienischen Zensurbehörden war nicht nur der Torso zu verdanken, sondern auch die Umbenennung des Titels – ursprünglich hieß Stenos Film „Le avventure e gli amori di Giacomo Casanova“. Die „Liebschaften“ mussten entfallen - angesichts der Handlung geradezu absurd. Denn obwohl diese im Jahr 1760 einsetzt und rückblickend Casanovas Leben betrachtet, legte Steno keinen Wert auf historische Authentizität, sondern reduzierte die Figur des Intellektuellen und Schriftstellers allein auf dessen Ruf als Verführer, der jedes Risiko für ein Liebesabenteuer mit einer schönen Frau eingeht.

Angelica (Florence Arnaud)
Ihm zur Seite steht mit Le Duc (Carlo Campanini) eine Art „Sancho Pansa“, dessen bedingungslose Treue nicht näher begründet wird. Vorteile seiner Diener-Position lassen sich nicht erkennen. Stattdessen muss er jedes Schlamassel, in das sein Herr bei seinen amourösen Abenteuern hineingerät, mit ausbaden. Allein an dieser Konstellation wird deutlich, dass es Steno und seinen Co-Autoren, darunter auch sein alter Vertrauter Sandro Continenza, nicht um ein realitätsnahes Historienbild ging, sondern um ein provokantes Spiel mit der Moral, das unmittelbar in die damalige Gegenwart führte. Die ablehnende Reaktion konservativer Kreise und der katholischen Kirche war auch ohne Nacktbilder vorhersehbar.

und Lucrezia (Lia di Leo)
Obwohl von sich und seiner Wirkung auf Frauen überzeugt, ist Ferzetti als Casanova im Film der eindeutige Sympathieträger, denn im Gegensatz zur restlichen Männerwelt nimmt er sich selbst nicht zu ernst, die Frauen dafür umso mehr. Sein galantes Auftreten, sein Wortwitz und sein gutes Aussehen sind sicherlich von Vorteil, aber entscheidend für seinen Erfolg ist, dass er die Frauen als gleichwertig respektiert. Die gemeinsamen Liebesnächte beruhen auf einem gegenseitigen Einverständnis - nie ist Casanova nur Verführer, sondern immer auch Verführter. Ob Hausmädchen, höhere Tochter oder adelige Ehefrau, alle Frauen treten selbstbewusst und sexuell aktiv auf, Einige begeben sich in Wettstreit mit dem Frauenhelden, Andere wissen ihn geschickt zu händeln.

Ob im Harem...
Sehr schön wird das im Rückblick auf seine Anfänge als Hauslehrer auf dem herrschaftlichen Landsitz des Barons Costanzi deutlich, wo er versucht, dem Hausmädchen Bettina (Fulvia Franco) näher zu kommen. Bei den Cousinen der Baronesse Lucrezia (Lia di Leo), der standesbewussten Barbara (Mara Lane) und der einzig an ihren Büchern interessierten Angelica (Florence Arnaud), rechnet er sich dagegen keine Chancen aus. Ohne zu wissen, dass Bettina kurzfristig nach Rom geschickt wurde, um den maladen Baron dort zu betreuen, begibt er sich wie verabredet des Nachts auf ihr Zimmer. Er erlebt die erhofften Wonnen, ahnt aber nicht, dass Barbara ihre Verabredung mitgehört hatte und statt des Hausmädchens auf ihn gewartet hatte. Dass es eine Andere war, wird ihm am nächsten Morgen klar, als er Bettina aus der von Rom kommenden Kutsche aussteigen sieht. Er beginnt, nach der wahren Geliebten zu forschen. Zuerst bei Lucrezia, dann bei Angelica, schließlich erkennt er Barbara wieder, aber auch Bettina fordert die geplatzte Verabredung ein. Mit der Folge, dass sich der überforderte und übernächtigte Liebhaber heimlich davon stiehlt.

...oder als Kommissar für moralische Angelegenheiten...
Das Potpourri an sexuellen Abenteuern, das Steno hier entfaltete, war eine Überzeichnung der sich nach dem Krieg verändernden Geschlechterrollen. Auf der einen Seite standen emanzipierte Frauen, auf der anderen ihre an ihrer patriarchalischen Überlegenheit festhaltenden Männer – dazwischen nutzte Casanova den sich bietenden Freiraum. Zum eigenen Vergnügen, meist auch dem der Frauen, aber immer zum Ärger der Männer, die ihn jagen, einkerkern und hinrichten lassen wollen. Zwar zitierte der Film in diesem Zusammenhang Casanovas historisch verbürgte Flucht aus dem Bleigefängnis von Venedig, aber langsam kristallisierte sich auch die Parallele zu Stenos zeitgenössischen Filmen wie „Totò a colori“ (Totò in Farbe, 1952) oder „Un Americano a Roma“ heraus. Erneut stand eine Außenseiter-Figur im Mittelpunkt des Geschehens, deren Unangepasstheit die bürgerlichen und in diesem Fall auch adeligen Gesellschaftsschichten zur Weißglut brachte. Dass es sich hier um einen überlegenen Charakter handelte, machte keinen Unterschied – die Konsequenz war dieselbe.

...die Frauen beherrschen jeden seiner Schritte: Marina Vlady
Auch äußerlich blieb Steno seiner bevorzugten episodenhaften Inszenierungsform treu. Ausgehend von einer Rahmenhandlung, die Casanova 1760 in ein spanisches Gefängnis bringt, erzählte er rückblickend in aneinander gereihten Episoden von dessen vergnüglichen Abenteuern. Einzig die tragische Tiefe fehlte dieser Figur, denn dafür agierte Ferzetti in seiner Rolle im Gegensatz zu den von Totò und Alberto Sordi gespielten Verlierer-Typen zu souverän, gab es keinen Zweifel daran, dass er auch der misslichsten Lage entkommen würde. Offensichtlich bedurfte es keines kritischen Subtexts wie in der „Commedia all’italiana“ üblich, denn allein der ungezwungene Umgang mit der Sexualität, kombiniert mit Nacktaufnahmen, die erst Ende der 60er Jahre wieder in dieser Direktheit und Häufigkeit im italienischen Film zu sehen waren, genügte schon als Provokation.

Nadia Gray
Abschließend bleibt die Frage, wieso "Le avventure di Giacomo Casanova" trotz seiner Ausnahmestellung in Vergessenheit geriet? – Im Gegensatz zu Alberto Lattuadas „La spiaggia“ (Der Skandal, 1954), der heute zu den 100 wichtigsten italienischen Filmen gezählt wird, fehlte Stenos frivolem Lustspiel die unterschwellige Kritik an der damals vorherrschenden Doppelmoral. Und als Tabubruch, der schon eine Vielzahl typischer Merkmale der späteren „Commedia sexy all’italiana“ vorweg nahm, kam der Film Mitte der 50er Jahre schlicht zu früh, zusätzlich noch dank der Zensur stark gekürzt. Ob es an diesen negativen Erfahrungen lag, bleibt Spekulation, aber es dauerte ein Jahrzehnt bis sich Steno in „Letti sbagliati“ (Die richtige Frau im falschen Bett, 1965) wieder dem erotischen Komödien-Genre zuwandte. Gemessen an den moralischen Standards im Land verständlich, angesichts des äußerst unterhaltsamen Films und seiner optischen Opulenz sehr schade.

"Le avventure di Giacomo Casanova" Italien, Frankreich 1955, Regie: Steno, Drehbuch: Steno, Lucio Fulci, Erno Bistolfi, Gian Bistolfi, Sandro Continenza, Mario Guerra, Carlo Romano, Darsteller : Gabriele Ferzetti, Carlo Campanini, Irene Galter, Marina Vlady, Nadia Gray, Mara Lane, Corinne Calvet, Lia Di Leo, Anna Amendola, Ursula Andress, Laufzeit : 100 Minuten

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Dienstag, 6. Oktober 2015

Ad ogni costo (Top Job) 1967 Giuliano Montaldo

Inhalt: Der letzte Blick gilt noch seinen Schülern, die ihn am Flughafen verabschieden, bevor sich der pensionierte Professor James Anders (Edward G. Robinson) in das Flugzeug Richtung New York begibt. Ein Hubschrauber bringt ihn nach Manhattan, von wo er mit dem Taxi zu einem großen Landhaus gebracht wird, in dem sein alter Jugendfreund Mark Milford (Adolfo Celi) residiert, den er seit mehr als 40 Jahren nicht mehr gesehen hat. Der Anlass seines Besuchs ist rein professionell, denn Milford, ein landesweit bekannter Gangster-Boss, soll ihm helfen, ein Team für einen raffinierten Diamanten-Raub zusammenzustellen – eine Bitte, der dieser gerne nachkommt.

Mit den Kontaktdaten ausgerüstet trifft sich der Professor erst mit dem Soldaten Erich Weiss (Klaus Kinski), der die Aktion leiten soll, bevor er den Tresorknacker Gregg, den Techniker und Bastler Agostino Rossi (Riccardo Cucciolla) sowie den Playboy Jean-Paul (Robert Hoffmann) aufsucht. Sie Alle sollen gemeinsam nach seinen Plänen während des Karnevals in Rio de Janeiro einen Tresor in einem streng bewachten Gebäude knacken und einen Koffer mit Diamanten stehlen. Und zwar vollständig unbemerkt, da der Diebstahl erst nach dem Wochenende entdeckt werden darf, um den Beteiligten die Flucht aus dem Land zu ermöglichen – ein schweres Unterfangen…


Es gibt Filme, die lassen schon in den ersten, scheinbar harmlosen Momenten spüren, dass es unter ihrer Oberfläche brodelt - und dass sich Abgründe unter der sorgfältig gepflegten bürgerlichen Fassade verbergen. Dem ließe sich entgegnen, dass es sich bei den sogenannten "Heist-Movies“, die aus dem Blickwinkel der Täter einen groß angelegten Diebstahl schildern, grundsätzlich um eine zwiespältige Angelegenheit handelt. Das Publikum wird emotional auf die Seite von Räubern gezogen, deren Aufgabe es ist, unbemerkt von der Öffentlichkeit ihren Coup durchzuziehen. Im Idealfall ist nicht nur das Objekt der Begierde verschwunden, sondern fehlt jede Information über die Täter. Während das Verbrechen geschah, blieb die äußerliche Normalität gewahrt.

Seitdem Jules Dassin 1955 in „Du rififi chez les hommes“ (Rififi) einen solchen Raub in minutiöser Perfektion auf die Leinwand brachte, erfreut sich das Genre gleichbleibender Beliebtheit, wurde er für Mario Monicelli in „I soliti ignoti“ (Diebe haben’s schwer, 1958) zum Vorbild seiner prägenden Gauner-Komödie, sorgte für Amüsement im futuristisch angehauchten „Sette uomini d'oro“ (Sieben goldenen Männer, 1965) und diente Jean-Pierre Melville als Kulminationspunkt seiner Gangster-Ballade „Le cercle rouge“ (Vier im roten Kreis, 1970). Bis zur jüngeren „Ocean“-Trilogie mit George Clooney als Impresario einer Gruppe von Spezialisten oder der „Mission impossible“ Reihe, erfuhr die Idee eines besonders raffinierten Einbruchs unter schwierigsten Bedingungen wiederholte Variationen. Auch „Ad ogni costo“ (Top Job), der 1967 erfolgreich in den deutschen Kinos lief, reiht sich darin ein und gilt im Gesamtwerk des dank seiner gesellschaftskritischen Filme („Sacco e Vanzetti“ (Sacco und Vanzetti, 1971)) bekannten Regisseurs Giuliano Montaldo als Ausnahme.

Eine oberflächliche Betrachtungsweise, der Montaldo von Beginn an in seiner Inszenierung widersprach. Leider wurden in der deutschen Kinofassung die ersten 90 Sekunden gekürzt, in dem ein Schülerchor, angeleitet von weiß gekleideten Nonnen, ihrem in Pension gehenden Lehrer Professor James Anders (Edward G. Robinson) ein Abschiedsständchen gibt und ein großes „Danke“-Plakat ausrollt. Ennio Morricone griff in seiner Titelmusik auf diese Kinderstimmen zurück, verband sie mit lateinamerikanischen Rhythmen, Big-Band-Sound und einer ins Melancholische abdriftenden Trompetenmelodie, die genau den Kontrast zwischen seriösem Anschein und über Leichen gehender Egozentrik widerspiegelte, den Montaldo in seinem Film bis zur letzten Konsequenz auslebte. Eine Intention, an der schon der Originaltitel „Ad ogni costo“ (Auf eigene Kosten) keinen Zweifel ließ, den die internationalen Filmtitel „Grand Slam“ oder „Top Job“ aber leider zugunsten der reinen „Heist“-Thematik verwässerten.

Dabei könnte der Weg des Professors, der ihn zu seinem Jugendfreund Mark Milford (Adolfo Celi) in die USA führt, widersprüchlicher kaum sein. Erst die heile Welt der Schulkinder, dann das atemberaubende Panorama von New York, bevor er an der Pforte einer mondänen Villa klingelt. Dort wird er in die prächtig eingerichteten Räume eingelassen, gelangt in einen Konzertsaal, in der eine Festgesellschaft klassischer Musik lauscht, zu der sich eine junge Frau auf einer Bühne entkleidet. Von dort wird er in die hinteren, schwer bewachten Räume eingelassen, in denen der Hausherr und bekannte Gangster-Boss Mark Milford residiert. Der so seriös wirkende Professor bittet ihn um Hilfe bei der Auswahl des geeigneten Personals für seinen geplanten Coup. Jahrzehntelang hatte er aus dem gegenüber gelegenen Schulgebäude in Rio de Janeiro beobachtet, wie unter immer gleichen Voraussetzungen eine Lieferung Diamanten gebracht und in einem Tresor gesichert wurde. Entsprechend viel Zeit hatte er, um einen sicheren Plan auszutüfteln, für den er nur noch die notwendigen Spezialisten braucht.

Nach seiner Pensionierung will der Professor eine Ladung Diamanten für sich, bereit jedem Banden-Mitglied eine Million Dollar bei Erfolg auszuzahlen. Mehr erfährt der Betrachter nicht über seine Intention. Weder beklagt er sein bisheriges Dasein, noch kritisiert er den Reichtum Anderer. Auch über die Gesellschaft, die die Diamanten in Empfang nimmt, gibt es keine weiteren Informationen. Damit unterscheidet sich „Ad ogni costo“ entscheidend von ähnlichen Heist-Movies, auch von seinem Vorbild „Rififi“. Üblicherweise soll ein emotionaler Hintergrund Sympathien für die Diebe erzeugen oder bei dem zu bestehlenden Opfer handelt es sich selbst um eine kriminell agierende Persönlichkeit/Gesellschaft. Häufig auch beides, ebenso oft verbunden mit einem humorvollen Unterton. Nichts davon existiert in „Ad ogni costa“, der einzig die persönliche Bereicherung als Anlass gelten lässt.

Darin besteht auch die Intention für die vier Männer, die zwar zusammen arbeiten, unter denen es aber über den Job hinaus keine Verbindung gibt. Die im „Heist-Movie“ sonst fast zwangsläufige Buddy-Thematik wurde hier vollständig ausgehebelt, weil der Ideengeber gar nicht an der eigentlichen Aktion teilnimmt. Der Professor setzt als Stellvertreter den Soldaten Erich Weiss (Klaus Kinski) ein, der für die Koordination der beiden Spezialisten Gregg (George Rigaud) und Agostino Rossi (Riccardo Cucciolla) zuständig ist, die gemeinsam den Tresor knacken sollen. Den vermeintlich leichtesten Job hat der Playboy Jean-Paul (Robert Hofmann), der von der Sekretärin Mary Ann (Janet Leigh) für eine Stunde den Schlüssel zum Tresorraum organisieren soll – eine Aufgabe, die sich aber als die unberechenbarste herausstellt, da sich die wenig zugängliche Frau als immun gegen den sonst so unwiderstehlichen Verführer erweist. Ernst wird er von seinen Mitstreitern trotzdem nicht genommen. Im Gegenteil bestraft ihn Anführer Weiss nur mit Verachtung – Solidarität innerhalb der Truppe gibt es nicht.

Diese Konstellation nahm der Story die Berechenbarkeit, die neben den typischen unerwartet auftretenden Schwierigkeiten für eine stetig steigende Spannungskurve sorgte. Dass der Betrachter trotz der auf jede emotionale Schürung verzichtenden Story mit den Dieben mitfiebert, ist den vier Hauptakteuren zu verdanken, die ihre bewusst eindimensional angelegten Rollen mit Leben erfüllten. Kinskis Testosteron gesteuerter Aktionismus, Rigauds Coolness auch in schwierigsten Situationen, Cucciollas heimliche Sehnsüchte (dem die Begegnung mit der hübschen Brasilianerin in der deutschen Fassung vollständig genommen wurde) und Hoffmanns wachsende Verzweiflung in der Konfrontation mit der eiskalt wirkenden Janet Leigh, ergeben einen heißen Tanz inmitten der vom Karneval aufgeputschten Stadt, der vergessen lässt, dass hier alles nach einem perfiden Plan abläuft. So wie sich die seriöse Fassade des Professors als brüchig erweist, verbarg „Ad ogni costo“ die Abgründe des menschlichen Egoismus unter dem Deckmantel eines Unterhaltungsfilms.

"Ad ogni costo" Italien, Deutschland, Spanien 1967, Regie: Giuliano Montaldo, Drehbuch: Mino Roli, Paolo Bianchini, Augusto Caminito, Marcello Fondato, Marcello, Coscia, José Antonio de la Loma, Darsteller : Klaus Kinski, Robert Hoffmann, George Rigaud, Riccardo Cucciolla, Edward G. Robinson, Janet Leigh, Adolfo Celi, Laufzeit : 120 Minuten

Der Film lief in der deutschen Kinofassung beim 6. Forumtreffen "Deliria Italiano" in Wien vom 03. bis 04.10.2015

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