Inhalt: Als
der Ingenieur Antonelli (Franco Nero) Geld bei der Post einzahlen will, wird
die Filiale mitten in Genua überfallen. Die drei Täter gehen rigoros vor und
schüchtern damit die anwesenden Kunden und Angestellten ein. Nur Antonelli will
sich so leicht nicht bestehlen lassen und versucht sein noch am Tresen
liegendes Geld wieder einzustecken. Ein Fehler, denn sein Handeln wird nicht
nur brutal geahndet, sondern er wird von den Verbrechern als Geisel mit
geschleift und erlebt unter Todesangst deren rasende Flucht. Ernst nehmen die
Männer ihn nicht, ziehen ihre Masken vom Gesicht und schmeißen ihn aus dem
Wagen, nachdem sie die Polizei hinter sich gelassen hatten.
Antonelli,
der erst wenige Monate zuvor schon Opfer der Verbrecherwelle geworden war, als
Vandalen seine Wohnung verwüsteten, fühlt sich gedemütigt und von der Polizei
im Stich gelassen, die ihm sogar eine Mitschuld zuspricht, da er sich in der
Post nicht passiv verhalten hätte. Die Justizbehörden stehen bei der
Bevölkerung generell als unfähig in der Kritik, weshalb sich Antonelli im Recht
fühlt, als er versucht, die drei Räuber selbst ausfindig zu machen…
"Il
cittadino si ribella" (Ein Mann schlägt zurück) kam wenige Monate nach
Michael Winners "Death wish" (Ein Mann sieht rot, USA 1974) in die
Kinos, in dem Charles Bronson die Hauptrolle spielte, der in den Jahren zuvor
an vielen italienischen Produktionen beteiligt war - zuletzt an "Valdez,
il mezzosangue" (Wilde Pferde, 1973) -
weshalb er Enzo G.Castellari hinsichtlich der Selbstjustiz-Thematik als
Vorbild gedient haben könnte. Doch abgesehen vom generellen Einfluss des
Italo-Western - in "C'era una volta il west" (Spiel mir das Lied vom
Tod, 1968) verkörperte Bronson einen Rächer, dessen Vorgehen durch den weniger
zivilisatorischen Hintergrund des "Wilden Westen" legitimiert war -
verfügt "Il cittadino si ribella" über einen spezifisch italienischen
Stammbaum, der maßgeblich das Polizieschi-Genre beeinflusste und das Motiv
bürgerlicher Selbstjustiz unterschiedlich zu Winner interpretierte.
"Il
cittadino si ribella" (wörtlich: Der Bürger lehnt sich auf) kombinierte
zwei der wichtigsten Protagonisten des Polizieschi miteinander - Regisseur Enzo
G.Castellari und Drehbuchautor Massimo De Rita. De Rita hatte nicht nur mit
"Banditi a Milano" (1968) und "Rome come Chicago" (Mord auf
der Via Veneto, 1968) die stilistische Basis gesetzt, sondern diese über
Sollimas "Città violenta" (Brutale Stadt, 1970) bis zu Romolo
Guerrieris "La polizia è al servizio del cittadino?" (Auf verlorenem
Posten, 1973) weiter entwickelt. Enzo G.Castellari, Guerrieris Neffe, schuf mit
"La polizia incrimina la legge assolve" (Tote Zeugen singen nicht,
1973) parallel einen frühen stilbildenden Poliziesco, der ähnlich wie
Guerrieris Film die Grenzen zur Selbstjustiz am Verhalten des ermittelnden
Beamten auslotete. Die Frage nach der "Wahl der Mittel" im Kampf
gegen das Verbrechen wurde zum Grundbestandteil des Polizieschi-Genres.
Dass Franco
Nero nach seiner Rolle als Commissario in Castellaris Vorgängerfilm hier als
Bürger versucht, die Verbrecher zu überführen, war ein geschickter Schachzug.
Nero verkörperte im Western wie im Kriminalfilm meist den cool vorgehenden
Vigilanten, der die Sympathien des seine Intentionen teilenden Publikums hinter
sich wusste. Nicht zufällig erinnert „Il cittadino si ribella“ in der
Charakterisierung des gesellschaftlich anerkannten Ingenieurs Antonelli (Franco
Nero), der sich von den behördlichen Instanzen nicht ausreichend unterstützt
sieht, an Neros Rolle in Damiano Damianis „l’istruttoria è chiusa: dimentichi“
(Das Verfahren ist eingestellt: vergessen Sie's, 1971), denn dort brach
Massimo De Rita erstmals mit Neros überlegen agierendem Image und verwandelte
die nur vordergründig kämpferische Attitüde in ein angepasstes Verhalten – eine
fatalistische Interpretation des sonst in seinen Rollen so couragiert
agierenden Schauspielers.
Auch wenn
die Polizei in „Il cittadino si ribella“ nur eine untergeordnete Rolle spielte,
ist sie in der Figur des lakonischen, scheinbar passiv handelnden Commissario
(Renzo Palmer) notwendig als kontrastierendes Element zu dem aktionistischen
Antonelli, der die Erniedrigung durch die drei brutalen Räuber, die ihn nach
ihrem Postraub als Geisel nahmen, nicht überwinden kann. Schon „La polizia ringrazia“ (Das Syndikat, 1972) gewährte einen Blick auf die Vielfalt
krimineller Aktivitäten, aber erst Castellari fügte in seiner atemberaubenden,
von der treibenden Musik der De Angelis-Brüder begleiteten Eingangssequenz,
Verbrechen an Verbrechen wie es im Polizieschi-Genre später üblich werden
sollte: etwa unter der Regie von Umberto Lenzi in „Roma a mano armata“ (Die Viper, 1976) - thematisch
noch weiter ausgeführt - oder von Bruno Corbucci mehr humorvoll genutzt in
„Squadra antiscippo“ (Der Superbulle mit der Strickmütze, 1976).
Antonelli
nimmt in diesem Chaos aus Überfällen, Mord und Diebstahl nur eine Nebenrolle
ein, mehr als zufällig störendes Element, und kommt fast mit heiler Haut davon,
weshalb sowohl seine Freundin Barbara (Barbara Bach), als auch die Polizei
seine Rachegelüste ablehnen, ihm sogar vorwerfen, sich selbst in die
gefährliche Situation gebracht zu haben – eine gegensätzliche Ausgangssituation
zu der in „Death wish“. Bronsons eigenmächtiges Vorgehen erhielt seine
Akzeptanz durch das ihm persönlich zugefügte schwere Leid – der Mord an seiner
Frau und Tochter. Franco Neros Rolle steht dagegen stellvertretend für das
Bürgertum. Geschickt trennten Castellari und De Rita sein weiteres Vorgehen von
seinem minderschweren persönlichen Schicksal, indem sie mit einem übergeordneten
Blick auf eine ausufernde Kriminalität populistische Forderungen nach
Selbstjustiz vordergründig legitimierten, diese letztlich aber als egoistisch,
kleingeistig und selbst korrumpierend offen legten.
Antonelli
gerät bei dem eigenmächtigen Versuch, die drei Räuber ausfindig zu machen,
schnell an seine Grenzen. Die Szene, in der er sich in eine einschlägig
bekannte Bar begibt, um an Informationen zu gelangen, gehört zu den
bekanntesten Stilelementen des Polizieschi-Genres. Doch während ein Maurizio
Merli oder Luc Merenda auch allein in der Lage waren, die versammelten
Verbrecher zu vermöbeln, häufig unter Verwendung eines Billard-Queues, steht
Antonelli der Übermacht chancenlos gegenüber und kann nur fliehen. Erst durch
die Hilfe des Klein-Kriminellen Tommy (Giancarlo Prete) gelingt es ihm, näher
an die Täter heranzukommen. Dass er Tommy dazu erpresst, lässt schon seine
persönliche Auslegung des Rechtsempfindens erkennen, aber Antonelli begreift
immer noch nicht die inneren Zusammenhänge der Szene, deren Gesetze er
schmerzhaft lernen muss. Erneut in die Gewalt der drei Verbrecher geraten,
nachdem er Tommy zu früh vertraut hatte, rettet ihm dieser schließlich doch das
Leben – ein Umstand, der Antonelli nur weiter antreibt.
Der
abschließende Show-Down, den Antonelli mit einer vorgetäuschten Straftat
provoziert, besitzt keine kathartische Wirkung und dient nicht als Vorbild. Im
Gegenteil – das Ergebnis ist ein Zufallsprodukt der Gewalt, ohne das der selbst
ernannte Rächer einen Moment lang Herr der Lage ist. Dass die Polizei ihn am
Ende gehen lässt, ohne ihn wegen seiner begangenen Straftaten zu belangen, ist
kein Zugeständnis, sondern lässt erst dessen amateurhaftes, selbstherrliches
Vorgehen deutlich werden, dass keine weitere Aufmerksamkeit verdient. Der - angesichts
eines weiteren bei der Polizei aufbegehrenden Bürgers - zufrieden grinsende
Antonelli begreift nicht, dass er sich längst selbst in den Niederungen aufhält,
die er zu bekämpfen vorgibt. Enzo G.Castellaris und Massimo De Ritas
gemeinsamer Poliziesco prägte nicht nur das Genre, sondern wurde auch zu einem
so fulminanten wie differenzierten Beitrag zum Thema Selbstjustiz.
weitere im Blog besprochene Filme von Enzo G. Castellari:
"La polizia incrimina la legge assolve" (1973)
"L'ultimo squalo" (1981)
"1990: I guerrieri del Bronx" (1982)
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