Donnerstag, 27. März 2014

Il cittadino si ribella (Ein Mann schlägt zurück) 1974 Enzo G.Castellari

Inhalt: Als der Ingenieur Antonelli (Franco Nero) Geld bei der Post einzahlen will, wird die Filiale mitten in Genua überfallen. Die drei Täter gehen rigoros vor und schüchtern damit die anwesenden Kunden und Angestellten ein. Nur Antonelli will sich so leicht nicht bestehlen lassen und versucht sein noch am Tresen liegendes Geld wieder einzustecken. Ein Fehler, denn sein Handeln wird nicht nur brutal geahndet, sondern er wird von den Verbrechern als Geisel mit geschleift und erlebt unter Todesangst deren rasende Flucht. Ernst nehmen die Männer ihn nicht, ziehen ihre Masken vom Gesicht und schmeißen ihn aus dem Wagen, nachdem sie die Polizei hinter sich gelassen hatten.

Antonelli, der erst wenige Monate zuvor schon Opfer der Verbrecherwelle geworden war, als Vandalen seine Wohnung verwüsteten, fühlt sich gedemütigt und von der Polizei im Stich gelassen, die ihm sogar eine Mitschuld zuspricht, da er sich in der Post nicht passiv verhalten hätte. Die Justizbehörden stehen bei der Bevölkerung generell als unfähig in der Kritik, weshalb sich Antonelli im Recht fühlt, als er versucht, die drei Räuber selbst ausfindig zu machen…


"Il cittadino si ribella" (Ein Mann schlägt zurück) kam wenige Monate nach Michael Winners "Death wish" (Ein Mann sieht rot, USA 1974) in die Kinos, in dem Charles Bronson die Hauptrolle spielte, der in den Jahren zuvor an vielen italienischen Produktionen beteiligt war - zuletzt an "Valdez, il mezzosangue" (Wilde Pferde, 1973) -  weshalb er Enzo G.Castellari hinsichtlich der Selbstjustiz-Thematik als Vorbild gedient haben könnte. Doch abgesehen vom generellen Einfluss des Italo-Western - in "C'era una volta il west" (Spiel mir das Lied vom Tod, 1968) verkörperte Bronson einen Rächer, dessen Vorgehen durch den weniger zivilisatorischen Hintergrund des "Wilden Westen" legitimiert war - verfügt "Il cittadino si ribella" über einen spezifisch italienischen Stammbaum, der maßgeblich das Polizieschi-Genre beeinflusste und das Motiv bürgerlicher Selbstjustiz unterschiedlich zu Winner interpretierte.

"Il cittadino si ribella" (wörtlich: Der Bürger lehnt sich auf) kombinierte zwei der wichtigsten Protagonisten des Polizieschi miteinander - Regisseur Enzo G.Castellari und Drehbuchautor Massimo De Rita. De Rita hatte nicht nur mit "Banditi a Milano" (1968) und "Rome come Chicago" (Mord auf der Via Veneto, 1968) die stilistische Basis gesetzt, sondern diese über Sollimas "Città violenta" (Brutale Stadt, 1970) bis zu Romolo Guerrieris "La polizia è al servizio del cittadino?" (Auf verlorenem Posten, 1973) weiter entwickelt. Enzo G.Castellari, Guerrieris Neffe, schuf mit "La polizia incrimina la legge assolve" (Tote Zeugen singen nicht, 1973) parallel einen frühen stilbildenden Poliziesco, der ähnlich wie Guerrieris Film die Grenzen zur Selbstjustiz am Verhalten des ermittelnden Beamten auslotete. Die Frage nach der "Wahl der Mittel" im Kampf gegen das Verbrechen wurde zum Grundbestandteil des Polizieschi-Genres.

Dass Franco Nero nach seiner Rolle als Commissario in Castellaris Vorgängerfilm hier als Bürger versucht, die Verbrecher zu überführen, war ein geschickter Schachzug. Nero verkörperte im Western wie im Kriminalfilm meist den cool vorgehenden Vigilanten, der die Sympathien des seine Intentionen teilenden Publikums hinter sich wusste. Nicht zufällig erinnert „Il cittadino si ribella“ in der Charakterisierung des gesellschaftlich anerkannten Ingenieurs Antonelli (Franco Nero), der sich von den behördlichen Instanzen nicht ausreichend unterstützt sieht, an Neros Rolle in Damiano Damianis „l’istruttoria è chiusa: dimentichi“ (Das Verfahren ist eingestellt: vergessen Sie's, 1971), denn dort brach Massimo De Rita erstmals mit Neros überlegen agierendem Image und verwandelte die nur vordergründig kämpferische Attitüde in ein angepasstes Verhalten – eine fatalistische Interpretation des sonst in seinen Rollen so couragiert agierenden Schauspielers.

Auch wenn die Polizei in „Il cittadino si ribella“ nur eine untergeordnete Rolle spielte, ist sie in der Figur des lakonischen, scheinbar passiv handelnden Commissario (Renzo Palmer) notwendig als kontrastierendes Element zu dem aktionistischen Antonelli, der die Erniedrigung durch die drei brutalen Räuber, die ihn nach ihrem Postraub als Geisel nahmen, nicht überwinden kann. Schon „La polizia ringrazia“ (Das Syndikat, 1972) gewährte einen Blick auf die Vielfalt krimineller Aktivitäten, aber erst Castellari fügte in seiner atemberaubenden, von der treibenden Musik der De Angelis-Brüder begleiteten Eingangssequenz, Verbrechen an Verbrechen wie es im Polizieschi-Genre später üblich werden sollte: etwa unter der Regie von Umberto Lenzi in „Roma a mano armata“ (Die Viper, 1976) - thematisch noch weiter ausgeführt - oder von Bruno Corbucci mehr humorvoll genutzt in „Squadra antiscippo“ (Der Superbulle mit der Strickmütze, 1976).

Antonelli nimmt in diesem Chaos aus Überfällen, Mord und Diebstahl nur eine Nebenrolle ein, mehr als zufällig störendes Element, und kommt fast mit heiler Haut davon, weshalb sowohl seine Freundin Barbara (Barbara Bach), als auch die Polizei seine Rachegelüste ablehnen, ihm sogar vorwerfen, sich selbst in die gefährliche Situation gebracht zu haben – eine gegensätzliche Ausgangssituation zu der in „Death wish“. Bronsons eigenmächtiges Vorgehen erhielt seine Akzeptanz durch das ihm persönlich zugefügte schwere Leid – der Mord an seiner Frau und Tochter. Franco Neros Rolle steht dagegen stellvertretend für das Bürgertum. Geschickt trennten Castellari und De Rita sein weiteres Vorgehen von seinem minderschweren persönlichen Schicksal, indem sie mit einem übergeordneten Blick auf eine ausufernde Kriminalität populistische Forderungen nach Selbstjustiz vordergründig legitimierten, diese letztlich aber als egoistisch, kleingeistig und selbst korrumpierend offen legten.

Antonelli gerät bei dem eigenmächtigen Versuch, die drei Räuber ausfindig zu machen, schnell an seine Grenzen. Die Szene, in der er sich in eine einschlägig bekannte Bar begibt, um an Informationen zu gelangen, gehört zu den bekanntesten Stilelementen des Polizieschi-Genres. Doch während ein Maurizio Merli oder Luc Merenda auch allein in der Lage waren, die versammelten Verbrecher zu vermöbeln, häufig unter Verwendung eines Billard-Queues, steht Antonelli der Übermacht chancenlos gegenüber und kann nur fliehen. Erst durch die Hilfe des Klein-Kriminellen Tommy (Giancarlo Prete) gelingt es ihm, näher an die Täter heranzukommen. Dass er Tommy dazu erpresst, lässt schon seine persönliche Auslegung des Rechtsempfindens erkennen, aber Antonelli begreift immer noch nicht die inneren Zusammenhänge der Szene, deren Gesetze er schmerzhaft lernen muss. Erneut in die Gewalt der drei Verbrecher geraten, nachdem er Tommy zu früh vertraut hatte, rettet ihm dieser schließlich doch das Leben – ein Umstand, der Antonelli nur weiter antreibt.

Der abschließende Show-Down, den Antonelli mit einer vorgetäuschten Straftat provoziert, besitzt keine kathartische Wirkung und dient nicht als Vorbild. Im Gegenteil – das Ergebnis ist ein Zufallsprodukt der Gewalt, ohne das der selbst ernannte Rächer einen Moment lang Herr der Lage ist. Dass die Polizei ihn am Ende gehen lässt, ohne ihn wegen seiner begangenen Straftaten zu belangen, ist kein Zugeständnis, sondern lässt erst dessen amateurhaftes, selbstherrliches Vorgehen deutlich werden, dass keine weitere Aufmerksamkeit verdient. Der - angesichts eines weiteren bei der Polizei aufbegehrenden Bürgers - zufrieden grinsende Antonelli begreift nicht, dass er sich längst selbst in den Niederungen aufhält, die er zu bekämpfen vorgibt. Enzo G.Castellaris und Massimo De Ritas gemeinsamer Poliziesco prägte nicht nur das Genre, sondern wurde auch zu einem so fulminanten wie differenzierten Beitrag zum Thema Selbstjustiz.

"Il cittadino si ribella" Italien 1974, Regie: Enzo G. Castellari, Drehbuch: Massimo De Rita, Arduino Maiuri, Darsteller : Franco Nero, Barbara Bach, Giancarlo Prete, Renzo Palmer, Nazzareno Zamperla, Laufzeit : 98 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Enzo G. Castellari:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen