Inhalt: Armand
(Phillipe Leroy) war eine Stunde zu spät mit dem LKW zu den Obstplantagen
zurückgekommen, weshalb er Ärger mit seinem Chef Buonacasa (Saro Urzi) bekommt,
der die nächste Fuhre beladen lassen will. Doch Armand weigert sich, erneut
loszufahren, da die Bremsen des LKW's defekt sind - zumindest soll ein
Mechaniker danach sehen. Doch dieser, von Buonacasa entsprechend eingewiesen,
behauptet, es wäre alles in Ordnung, weshalb die Fahrer abends noch die frisch
geernteten Früchte abtransportieren müssen.
Auch die
Erntepflückerinnen, die in einer Baracke am Rand der Felder untergebracht
wurden, werden erheblich unter Druck gesetzt - besonders dem Sohn des Chefs,
Berto (Michel Lemoine), ist dabei jedes Mittel recht, abgesehen davon, dass er
es auf die hübsche Josine (Françoise Saint-Laurent) abgesehen hat, die in
Armand verliebt ist. Noch mehr Ärger bekommt er aber mit Kissa (Scilla Gabel),
die selbstbewusst ihre eigenen Interessen verfolgt...
Frauen und
Männer beim Ernteeinsatz, entfernt von ihrem Heimatort auf engstem Raum
zusammen gepfercht, getrennt nach Geschlechtern in großen Gemeinschaftsbaracken
untergebracht, harte körperliche Arbeit unter sengender Sonne, gemeinsame
Freizeit am Abend im Lager oder beim Tanz am Wochenende. In einer Zeit, in der
die Begegnung von Männern und Frauen noch strengen Konventionen unterlag, entstand
in der Fantasie ein Schmelztiegel aus Schweiß, Begierde und Promiskuität, der
die erotischen Schwingungen greifbar werden ließ, weshalb es nicht erstaunt,
dass dieser reale Hintergrund mehrfach dazu diente, moralische Schranken im
Kino zu unterlaufen.
1949 hatte
Giuseppe De Santis mit "Riso amaro" (Bitterer Reis) einen Skandal
heraufbeschworen, als er die Frauen bei der Reisanpflanzung und in ihren
Unterkünften leicht geschürzt ins Bild gerückt hatte. Der neorealistische
Anstrich um schwierige Arbeitsbedingungen und miserable Bezahlung verdeckte nur
notdürftig die wahre Intention des Films, die dem Produzenten De Laurentiis
einen großen wirtschaftlichen Erfolg bescherte. Hans H.König versetzte in
„Heiße Ernte“ (1956) eine ähnlich angelegte Handlung an den Bodensee zur Zeit
der Hopfenernte. Der gesellschaftspolitische Aspekt spielte im
Wirtschaftswunderland nur eine untergeordnete Rolle, aber die durch die Nähe
von Männern und Frauen geschürten Emotionen stachen in ihrer direkten
Konfrontation deutlich aus dem braven Heimatfilm-Einerlei heraus. Die 1961 in
die Kinos gekommene französisch-italienische Co-Produktion „Les Filles sèment le vent“ wählte als
Ausgangssituation zwar die Obsternte im Süden Frankreichs, aber Louis Soulanes verfolgte
in seiner ersten Regiearbeit, zu der er auch das Drehbuch schrieb, komplexere
Ziele wie die wörtliche Übersetzung des Filmtitels „Die Mädchen säen den Wind“ schon
andeutet – nur der deutsche Verleihtitel „Die Ernte der sündigen Mädchen“
betonte noch allein den erotischen Aspekt des Films.
Die moralischen Standards hatten sich seit „Riso amaro“ verändert. Soulanes
benötigte keinen realen Hintergrund mehr, um leicht bekleidete Frauen ins Bild
rücken zu können – in dieser Hinsicht gibt deren sitzende Tätigkeit optisch nur
wenig her – sondern stellte mit der selbstbewussten, sexuell offensiv
agierenden Kissa einen Frauentyp in den Mittelpunkt, der für die
Entstehungszeit des Films erstaunlich positiv charakterisiert wurde. Die
italienische Darstellerin Gianfranca Gabellini war unter ihrem Künstlernamen
Scilla Gabel prädestiniert für verführerische Frauenrollen, die sie besonders
in den Historienfilmen Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre häufig verkörperte -
von Soulanes erhielt sie die Gelegenheit, eine modern angelegte Frauenfigur zu
spielen. Die große Frau mit dem betonten, hoch geschnallten Busen sticht nicht
nur optisch hervor, sondern weiß mit den Männern umzugehen und ihre Interessen
zu vertreten. Kissa wird erwartungsgemäß mit dem Neid der anderen Frauen und der
verlogenen Haltung der Männer konfrontiert, die zwar scharf auf sie sind, sie
aber für ein Flittchen halten, mit der sie nie eine ernsthafte Beziehung
eingehen würden. An dieser Diskrepanz scheiterten in der Regel selbstbewusste
Frauenfiguren in Filmen dieser Zeit, da ihnen ein Leben als „normale
verheiratete Frau“ verwehrt zu sein schien, aber Kissa lässt sich davon nicht
verunsichern, sondern bleibt jederzeit selbst bestimmt.
Die erste Szene des Films, in der der männliche Protagonist Armand
(Philippe Leroy) mit seinem Partner im LKW zu der Obstplantage fährt und sie
von einem wild fuchtelnden Mann zu einer Vollbremsung gezwungen werden, der sie
mit nicht verständlichen Worten vor einer Gefahr warnen will, erinnert nicht
zufällig an Clouzots „Le salaire de la peur“ (Lohn der Angst, 1953), dessen gesellschaftskritische
Aspekte der Film zumindest andeutete. Die defekten Bremsen des LKWs werden von
Armands Chef Buonacasa
(Saro Urzi) ignoriert, der nur Interesse
daran hat, dass sein Obst rechtzeitig ausgeliefert wird und damit das Leben
seiner Mitarbeiter riskiert. Buonacasa und mehr noch sein selbstgefälliger Sohn
Berto (Michel Lemoine) stehen im Film für die Ausbeuter, gegen die sich die Arbeiter
mit einem Streik für bessere Löhne wehren, aber der Film gibt dem entstehenden Klassenkampf kein
besonderes Gewicht, sondern lässt ihn Teil der von Emotionen und Hitze
dampfenden Atmosphäre werden, die in nur wenigen Momenten zur Ruhe kommt.
Der LKW-Fahrer Armand, der als Objekt der Begierde und Anführer im
Zentrum des allgemeinen Trubels steht, wandelt sich vom Frauenheld zum
verantwortungsbewussten zukünftigen Ehemann, denn mit der hübschen und
jungfräulich wirkenden Josine (Françoise Saint-Laurent) verfügt „Les Filles sèment le vent“ auch über eine klassische, passive Frauenfigur,
die nur für einen der beiden dominanten Männer – Armand oder Berto – in Frage
kommt. Der dunkelhäutige Hilfsarbeiter, der heimlich für Josine schwärmt, wird erst
gar nicht in Betracht gezogen. Auch der sehr negativ gezeichnete Unternehmersohn
Berto hat bei dem jungen Mädchen keine Chance, aber rollengerecht kann er ihre
Ablehnung nicht akzeptieren, weshalb sich die aggressiv aufgeladene Situation
zunehmend zuspitzt.
„Les Filles sèment le vent“ liefe Gefahr, sich in
klischeehaften Episoden zu verlieren, hätte Soulanes einzelne davon betont,
doch stattdessen entfaltet er vor dem Betrachter ein facettenreiches
Kaleidoskop, in dem Liebe und Hass, Arbeitskampf, Rassismus, selbst
Vergewaltigung und Tod zu selbstverständlichen Bestandteilen einer sich ständig
verändernden Realität werden. Auch die Protagonisten Kissa und Armand
verschwinden zeitweise aus dem Fokus und Nebenfiguren wie Josines Freundin
Margo (Eva Damien) oder der geheimnisvolle Mann, der Kissa nachts mit seinem
Auto mitnimmt, treten in wichtigen Momenten auf, ohne dass der Film ihre Rollen
weiter konkretisiert. Regisseur Soulanes verwob eine Vielzahl an
Handlungssträngen und Figuren, ohne sie zu einer Konklusion führen zu müssen, womit
er die Atmosphäre einer kurzen, hitzigen Phase einfing, die weder Vergangenheit,
noch Zukunft kennt – sie ist wie die Mädchen, die den Wind säen.
"Les filles sèment le vent" Frankreich, Italien 1961, Regie: Louis Soulanes, Drehbuch: Louis Soulanes, Darsteller : Scilla Gabel, Philippe Leroy, Francoise Saint-Laurent, Eva Damien, Saro Urzin, Michel Lemoine, Laufzeit : 84 Minuten
"Die Ernte der sündigen Mädchen" eröffnete am 03.01.2014 den zweiten Tag des 12. Hofbauer-Kongresses in Fürth - die Aufnahmen wurden während der Aufführung von der seltenen Filmkopie gemacht.
"Die Ernte der sündigen Mädchen" eröffnete am 03.01.2014 den zweiten Tag des 12. Hofbauer-Kongresses in Fürth - die Aufnahmen wurden während der Aufführung von der seltenen Filmkopie gemacht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen