Interview mit Helge
Schneider in Leipzig am 26.08.2013, anlässlich seines Films „00 Schneider
– im Wendekreis der Eidechse“(2013)
Nachdem ich Helge Schneiders neuen Film "00 Schneider - im Wendekreis der Eidechse" gesehen hatte, wollte ich mit ihm darüber sprechen. Es ist ein deutscher Film, beheimatet in Mülheim/Ruhr, aber ohne Begeisterung für den Genre-Film hätte er so nicht entstehen können - die Querverweise zu den im Blog schon besprochenen Filmen vermitteln das deutlich. Genau wie dieses Interview, das Helge Schneiders Intention, Filme zu machen, dem Leser näher bringen will.
Helge Schneider: zur Entstehung des Film „00 Schneider – im
Wendekreis der Eidechse“: …und dann haben wir uns gedacht, drehen wir den
Film doch wieder mit Freunden und Bekannten, sowie deren Angehörigen. Und
verzichten auf große Stars, weil das sonst auch nicht glaubwürdig ist. Es hat
Spaß gemacht, weil Alle genau die Rollen gespielt haben, die gut zu ihnen
passten. Wenn der Eine, der sonst als Pizza-Bäcker arbeitet, hier den
Polizei-Chef mimt, dann ist das einfach Klasse! Oder es ist schön anzusehen,
wenn der, der den Sittenstrolch spielt, dabei lächelt, wenn er verprügelt wird,
da so etwas im Film nun mal nicht weh tut – so etwas Blödes würde kein
professioneller Schauspieler machen. Deshalb habe ich nur Laien besetzt – Leute
von der Straße.
Udo Rotenberg:
Kann man sich das Drehbuch als einen Rahmen vorstellen, eine Art Leitlinie,
ohne einen genauen Text vorzugeben?
Helge Schneider: Genau, mir ging es immer um Improvisation.
Ganz wichtig waren zuerst die Kameraeinstellung und die Belichtung. Dann kam
die Überlegung, wen wir für die Szene nehmen, wer das jetzt spielen könnte?
Udo Rotenberg:
Stammen die Laien aus der Umgebung, wurden sie gecastet oder sind es
Zufallsbekannte?
Helge Schneider:
Eine Mischung – ich hatte sogar Leute dabei, die nicht von mir gecastet wurden,
sondern von einer Castingfirma, aber die meisten stammen von mir. Einfach
Leute, die in Mülheim oder Duisburg über die Straße gegangen sind: „Komm mal
her! – Du bist jetzt der…!“ Ein Autoverkäufer, dessen größter Wunsch es wäre,
einmal in einem meiner Filme mitzumachen, sprach mich deshalb beispielsweise
an. Ich brauchte dann nur seine Größe, um meiner Kostümbildnerin, der Ute, zu
sagen, guck mal, für den brauchen wir einen Mini-Rock oder ähnliches, um ihn
als Frau zu verkleiden, oder was nehmen wir für eine Perücke? – Die reiße ich
Demjenigen dann oft vom Kopf und nehme etwas noch Furchtbareres – und dann macht
er mit. Er bekam die Rolle eines Transvestiten auf dem Strich. Solche Leute
sind es, die hier mitspielen!
Udo Rotenberg:
Gleichzeitig merkt man dem Film an – etwas, dass ich besonders spannend an
ihren Filmen finde – dass er mehrfach um die Ecke gedacht ist. Einerseits wirkt
alles sehr spontan und improvisiert, andererseits lassen sich eine Vielzahl an
Anspielungen an das Polizeifilm / Kriminalfilm – Genre feststellen. Vielleicht
ist das von mir überinterpretiert, aber die Szene, in der ein wie ein Mafioso
gekleideter Typ (Rocko Schamoni) mit
der Rolltreppe hochfährt, erinnerte mich an „Der eiskalte Engel“ („Le samouraï“ Jean-Pierre Melville, Frankreich/Italien 1967) mit Alain
Delon, als dieser aus der U-Bahn kommend ebenfalls mit der Rolltreppe
hochfährt, nur das er im Bild bleibt und nicht nach oben heraus fährt…
Helge Schneider:
…wir haben die Kamera stehen lassen. Das fand ich spannender…
Udo Rotenberg:
…wurde bewusst darauf angespielt, hatten Sie da etwas in Erinnerung?
Helge Schneider: Nein,
es war nur das Bild, das ich vor Augen hatte. Ich wollte das so haben, auch mit
der komischen Synthesizer – Musik, die ich dazu gemacht habe. Ich habe „Der eiskalte Engel“ auch nicht mehr so genau vor Augen, verwechsle den manchmal mit
„Fahrstuhl zum Schafott“ („Ascenseur pour
l’échafaud“ Louis Malle, Frankreich, 1958) (lächelt).
Udo Rotenberg: Auch
die Szenen auf der Polizeistation – besonders die übertriebenen Prügeleien, die
im Film natürlich nur angedeutet werden – haben mich an den Polizeifilm der
60er/70er Jahre erinnert.
Helge Schneider: Auf
jeden Fall! – Eddie Constantin „Eddie krault nur kesse Katzen“ („Les femmes d’abord“ Frankreich/Italien
1963).
Udo Rotenberg:
Das spielt schon im Hintergrund mit? Auch der Wechsel des Standorts – von
Mülheim/Ruhr nach Duisburg, dazwischen die spanische Südküste – haben mich
daran erinnert, besonders dank der Fahrten mit dem Citroen DS, mit dem auch
Alain Delon unterwegs war…
Helge Schneider: …es
gibt kein anderes Auto, um diese Kälte zu erzeugen, diesen Thrill! Das gesamte
Konvolut – das Auto, der Hund und der Ledermantel – ist eine Reminiszenz an
diese Zeit, als solche Filme noch gedreht wurden. Na klar, Alain Delon, Jean
Gabin, Lino Ventura sind immer mit diesen Kutschen herum gefahren. Die Bullen
hatten einen Peugeot, die Gangster einen Citroen. Das war schon in den ganz
alten Filmen so - mit den Gangster-Limousinen.
In vielen französischen Filmen fahren die Gangster auch
amerikanische Wagen (besonders in den
Melville-Filmen) und der DS sollte spezifisch französisch in diese Richtung
weisen. In US-Filmen wie den Chandler-Verfilmungen („The big sleep“ (Tote schlafen fest, USA 1946)), fahren die
Gangster meist Chevrolet oder Cadillac, diese hohen alten Kisten, und der
französische Film suchte eine eigene Typologie. Erst kam Hollywood und dann
hat Frankreich aufgeholt, eben mit „Der eiskalte Engel“ oder „Vier im roten
Kreis“ („Le cercle rouge“ Jean-Pierre
Melville, Frankreich/Italien 1970), die an den „Film noir“ anschlossen.
Zudem haben die Darsteller mal einen Gangster, mal einen Polizisten gespielt –
dieser Austausch, den finde ich gut.
Udo Rotenberg: Damit wollte man auch deren Vergleichbarkeit
in der Anwendung ihrer Mittel deutlich werden lassen. Sie sind sich viel
ähnlicher, als das sie umgebende Bürgertum.
Helge Schneider:
Ganz toll sind auch Jean Marais und Louis de Funès in „Fantomas“ (Frankreich/Italien 1964) – da wird das
noch mehr vermengt. Hier der ernste Marais als Superverbrecher „Fantomas“, dort
Funès, der Wahnsinnige, als Kommissar. Das wird zum totalen Chaos und hat
trotzdem noch etwas vom „Film noir“. Da spielt auch der DS wieder eine wichtige
Rolle. Oder nehmen wir „Der Schakal“ („The day of the jackal“, Fred Zinnemann, Frankreich/Großbritannien 1973), in dem ein
Attentat auf De Gaulle geplant wird, der auch sehr zu empfehlen ist. Das ist
ein super Film, ganz nüchtern, fast wie ein Dokument. Allein wie De Gaulle
gespielt wird von einem unbekannten Darsteller, meist von Hinten aufgenommen,
man könnte glauben, es wäre der echte De Gaulle – der Film hat eine Qualität,
an die das Remake nicht annähernd herankommt.
Udo Rotenberg: Also, das sind schon Hintergründe, die bei der
Entwicklung des Films, des Drehbuchs mitgespielt haben?
Helge Schneider: Ja, das hat immer mitgespielt. Allerdings
besonders bei der Art und Weise, der äußerlichen Form, weniger bei der Story,
denn dort haben wir ja keine großartige Entwicklung oder Spannung. Die Spannung
wurde vollständig aufgelöst.
Udo Rotenberg: Zudem
gibt es immer wieder einzelne Spielszenen, die bewusst rein geschoben wurden,
wie die Szene beim Zahnarzt…
Helge Schneider: Das
ist eine Reminiszenz an alte Klamotten wie „Dick und Doof“ oder wie in diesem
Fall an W.C.Fields „The dentist“ (USA,
1932), den wir nachgespielt haben. Nur diesmal in Farbe, wodurch eine ganz
andere Wirkung entsteht. Kein müder Abklatsch, sondern eine Gegenüberstellung.
Udo Rotenberg: Bei
ihrem Humor habe ich oft den Eindruck, dass Sie, obwohl dieser äußerlich dämlich
wirkt, gleichzeitig Allgemeinwissen voraussetzen. Etwa bei dem Namen der angeblichen
Tante (die es sich in 00 Schneiders
Wohnung einrichtet), die bei ihrer Flucht mit dem Flugzeug über dem Meer
abstürzt. Ihr Name spielt auf den Autor Saint-Exupéry an, der „Der kleine
Prinz“ geschrieben hat, gleichzeitig aber auch ein erfahrener Pilot war.
Helge Schneider: Daran
hatte ich nicht gedacht. Ich wusste nicht, dass er auch Pilot war, sondern
wollte nur auf diesen „Allgemein-Platz“ anspielen, der für mich „Der kleine
Prinz“ ist.
Udo Rotenberg: Und
das Lokalkolorit – wie war das gedacht? Südspanien – Mülheim/Ruhr.
Helge Schneider: Mülheim/Ruhr
ist ja Südspanien. Das ist eins. Der Film spielt nicht in der Gegenwart und in
40 Jahren ist der Strand wirklich in Mülheim – das Meer frisst Spanien und
Frankreich auf. Der Film ist eine ironische Gesellschaftskritik…auch stark
philosophisch (lächelt). Unsere
Gesellschaft wird darin auch vorgeführt – das Strafgesetzbuch, die Gerichte,
das Polizeiwesen – als hanebüchene Farce. Leute werden für geringe Vergehen
lange eingesperrt (im Film: das Popoklatschen), für wirkliche Verbrechen
bekommen sie Bewährungsstrafen, wie etwa bei Berlusconi.
Udo Rotenberg: Für
mich ist diese Gesellschaftskritik durchaus erkennbar, wird aber gleichzeitig
durch das alberne, bewusst verballhornende, dreimal um die Ecke gedachte
Geschehen zugedeckt, weshalb der Film nicht „klassisch gesellschaftskritisch“
wirkt – ich nehme an, dass sollte er auch nicht.
Helge Schneider:
Das war auch nicht beabsichtigt. Von „klassischer Gesellschaftskritik“ bin ich
weit entfernt, ich habe auch einen anderen Beruf. Man kann ihn politisch,
gesellschaftskritisch oder künstlerisch interpretieren, letztlich ist
„Freiheit“ mein Beruf.
Udo Rotenberg: Um
in diesem Zusammenhang zur Musik zu kommen – sie wurde von euch komplett in
unterschiedlichen Stilen eingespielt, mal jazzartig, mal klingt sie wie ein
Rumba. Wurde die Musik bewusst zu den Szenen eingespielt, auch in ihrer
manchmal konterkarierenden Art?
Helge Schneider:
Ich habe die Musik vollständig allein im Mehrkanalverfahren eingespielt. Ich
gehe hin und spiele irgendetwas, egal ob Klavier, Synthesizer, Trompete oder
Gitarre. Beispielsweise den Titelsong habe ich mit mehreren Instrumenten in
Spanien aufgenommen. Und dann überlege ich, diese Musik könnte an dieser oder
jener Szene passen. Kommen wir noch mal zur Szene mit Rocko an der Rolltreppe
zurück. Da habe ich mit meiner Cutterin Andrea Schumacher die Musik einfach mal
angelegt, also mit einem Akkord, wenn er nach oben kommt, bis zu der
Spuckszene. Das ist dann sein Thema, vorher war es das aber noch nicht. So
arbeite ich daran.
Udo Rotenberg:
Ich hatte nicht den Eindruck, dass viel wiederholt wurde.
Helge Schneider:
Das Einzige, was wiederholt wurde, ist der Titelsong am Anfang und am Ende.
Frage einer
Journalistin: Wie viel Helge Schneider steckt in der Figur Roy Schneider?
Helge Schneider: Das ist Helge Schneider. Der Name ist
übrigens eine Anspielung auf den Schauspieler Roy Scheider aus „Der weiße Hai“ („Jaws“ USA 1975), nur um nicht
verwechselt zu werden.
Udo Rotenberg:
Mich hat ihre Figur mehr an Roy Scheiders Rolle in „Sorcerer“ (Atemlos vor Angst, USA 1977) erinnert,
mit den Ortswechseln, dem kriminellen Hintergrund und dem ganzen Dreck – anders
als in „Der weiße Hai“.
Helge Schneider: Ja, „Der weiße Hai“ ist eher clean, aber Roy
Scheider ist eine bewegende Figur. Er gehört zu den Schauspielern, die es heute
nicht mehr gibt – wie ein James Caan beispielsweise, oder Karl Malden in
„Straßen von San Francisco“. Nicht nur der „Film noir“, auch die Krimiserien
der 70er Jahre sind Vorbild für „00 Schneider – im Wendekreis der Eidechse“. So
auch „Kojak“ in „Einsatz in Manhattan“ – allein für die Szenen im Polizeibüro -
oder „Columbo“. Ich hätte Lust, gleich einen zweiten Teil zu drehen.
Udo Rotenberg:
Der Spaß war auch Allen im Film anzumerken.
Helge Schneider: Das
liegt daran, dass ich mich selbst nicht so ernst nehme und das übertrage ich
auf die gesamte Crew. Sonst kann man einen solchen Film nicht machen, denn
Eitelkeit ist bei solchen Projekten fehl am Platz. Deshalb haben wir keine
professionellen Schauspieler, denn sie wollen zusätzliche Drehtage, mehr Text
oder Nahaufnahmen, die sie gut aussehen lassen. Du kriegst keinen Schauspieler
dazu, in einem Helge-Schneider-Film wirklich mitzuspielen – das ist fast Image
schädigend. Als Zuschauer muss man nicht reingehen, um mich zu sehen, aber man
kann darin sehen, welche Filme ich gut finde.
Fragen und Aufzeichnung Udo Rotenberg, Dresden - Foto von Helge Schneider Copyright Udo Rotenberg. Die übrigen Fotos sind Screenshots der DVD's .
Freiheit als Beruf, das ist gut. Ich bin ja soweiso Fan. Das lohnt sich immer wieder.
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