Inhalt: Während
sie mit ihrem Mann Herbert Lucas (Harry Meyen) in einem Mailänder Café sitzt,
entscheidet die knapp 40jährige Franziska (Ruth Leuwerik) spontan, ihn zu
verlassen. Zuerst nimmt er sie nicht ernst, da sie schon häufig von Scheidung
gesprochen hatte, und glaubt zudem, sie will zu Joachim (Richard Münch) nach
Deutschland, seinem Chef, mit dem sie schon lange eine von ihm tolerierte
Affäre hat, aber sie lässt sich nur sein Bargeld geben und geht.
Auf dem
Mailänder Bahnhof kauft sie sich ein einfaches Ticket für den nächsten Zug und
kommt so in das winterliche, graue Venedig. Nachdem sie sich eine billige
Unterkunft besorgt hatte, versucht sie einen Job zu finden, aber
Dolmetscherinnen werden im Winter nicht benötigt. Auch eine Stelle als Zimmermädchen
bekommt sie nicht, nur 1000 Lire, die ihr der Portier aus Mitleid schenkt.
Patrick O'Malley (Giorgio Albertazzi) beobachtet diese Szene, erkundigt sich
nach ihr und spricht sie an. Trotz ihrer Skepsis folgt sie dem gebürtigen Iren
auf dessen Yacht und erfährt von ihm, weshalb er in Venedig ist...
Als „Die
Rote“ 1962 im Wettbewerb der Berlinale gezeigt wurde, fiel der Film beim
Publikum durch. Auch die Kritiker waren sich in ihrem vernichtenden Urteil
einig, welches sich durch den Disput zwischen dem Autor Alfred Andersch und
Regisseur Helmut Käutner kurz nach der Filmvorführung zu bestätigen schien. Andersch
warf Käutner mangelnde Selbstkritik vor und distanzierte sich von dessen
Umsetzung seiner Romanvorlage. Für Käutner, dessen zwei letzte Filme „Schwarzer
Kies“ (1961) und „Der Traum von Lieschen Müller“ (1961) wenig Anklang bei
Kritik und Publikum fanden, bedeutete dieser Misserfolg einen Wendepunkt, nach
dem er nur noch wenige reine Unterhaltungsfilme für das Kino drehen und fast
ausschließlich für das Fernsehen arbeiten sollte. Dabei war Käutners Film „Die
Rote“ besonders ambitioniert, sollte die Zusammenarbeit mit Alfred Andersch - einem
der führenden kritischen deutschen Autoren der Nachkriegszeit – eine schlüssige
Umsetzung seines Romans garantieren.
Andersch demaskierte
darin die gesellschaftlichen Prinzipien der Wirtschaftswunderjahre und stellte
eine Frau in den Mittelpunkt, die ohne Alternative aus einer gesicherten
Existenz ausbricht. Die Dolmetscherin Franziska (Ruth Leuwerik) war schon die
Geliebte ihres Chefs Joachim (Richard Münch), bevor sie dessen Angestellten
Herbert Lucas (Harry Meyen) kennenlernte und heiratete. Der Chef hatte die
Hochzeit seines Mitarbeiters unterstützt, der wiederum die Affäre seiner Frau
mit ihm toleriert – für Beide eine gewinnbringende Situation. Auch Franziska
profitiert davon, da sie ihren beziehungsunwilligen Chef liebt, aber dank der
Ehe mit Herbert legitimiert und abgesichert ist – eine von Andersch
hochstilisierte Situation weiblicher Abhängigkeit unter der Prämisse
wirtschaftlicher Sicherheit. Ihr Ausbruch aus dieser Konstellation – sie
verlässt ihren Mann (und in Konsequenz daraus auch ihren Chef) während einer
Dienstreise in Mailand, ohne Gepäck und kaum Bargeld, um den nächsten Zug zu
nehmen, der sie zufällig nach Venedig bringt – widersprach nicht nur jeder
Vernunft, sondern galt als unvorstellbar für eine Ehefrau, Ende 30. In
Anderschs Roman ist Franziska jünger, eine Änderung, die nicht nur der
Besetzung Ruth Leuweriks geschuldet war, sondern signifikant für die thematische
Entschlackung des Romans ist. Wie weit diese inhaltlichen Veränderungen mit dem
Einverständnis des Autors geschahen oder ob sie der Anlass für die öffentliche
Auseinandersetzung wurden, bleibt offen - der filmischen Umsetzung kamen sie entgegen.
Die Konzentration
galt im Film allein Franziska, während Fabio (Rossano Brazzi), der in Anderschs
Roman eine gleichwertige, parallel erzählte Rolle als Musiker und ehemaliger
Kommunist einnimmt (und nur wenige Worte mit Franziska wechselt), hier als desillusionierter
Schriftsteller und möglicher Liebhaber glänzt. Zudem wird die Homosexualität
des Iren Patrick O’Malley (Giorgio Albertazzi) nur angedeutet, verzichtet
Käutner ganz auf die Schwangerschaft seiner Protagonistin (und damit auf deren Überlegungen
abzutreiben) und belässt den Juwelier, der Franziskas Notsituation beim Ankauf
ihres Eherings ausnutzt, neutral hinsichtlich seiner Religionszugehörigkeit. Im
Roman wird er als Jude beschrieben, was Andersch den Vorwurf des Antisemitismus
einbrachte, obwohl er damit nur die Klischees der Nachkriegszeit brechen
wollte, wie er in einer späteren Szene noch betont. Nachdem der ehemalige
Gestapo-Mann Kramer (Gert Fröbe) zusätzlich Geld für sie herausgeholt hatte, das
dem tatsächlichen Ankaufswert des Rings entsprach, gibt es Franziska dem
Juwelier wieder zurück. Für Andersch ein Symbol des schlechten Gewissens der
Deutschen, die zu keiner normalen Handlungsweise gegenüber den Juden in der Lage
waren. Im Film behält sie das Geld, dass ihr rechtmäßig zusteht.
Käutner
deshalb vorzuwerfen, er hätte sich strittigen Themen entzogen, wäre falsch,
denn während es im Roman möglich ist, diese zu integrieren, ohne den Rhythmus
der Erzählung zu unterbrechen, wäre sein Film damit überladen worden. Viel mehr
erkannte Käutner in der zufälligen, ziellosen Handlungsweise der Protagonistin
und ihren im Ungefähren bleibenden Beziehungen, die Verwandtschaft zur
französischen „Nouvelle vague“ und den Filmen Antonionis, dessen Werk er sehr
schätzte. Da die Handlung größtenteils in Venedig spielte, strebte Käutner eine
enge Zusammenarbeit mit italienischen Filmschaffenden an, womit er auf seine
eigenen Anfänge zurückkam. Seitdem er mit „Große Freiheit Nr.7“ (1944) und
„Unter den Brücken“ (1945) authentische, die Lebenssituation der Menschen genau
erfassende Filme noch während der Zeit des Nationalsozialismus gedreht hatte,
hatte sich Helmut Käutner als Regisseur profiliert, auch weil seine Bildsprache
an den „Poetischen Realismus“ des französischen Films erinnerte, der den italienischen
„Neorealismus“ beeinflusste. Diese Nähe zum damals stilbildenden Kino kam nicht
zufällig, da Käutner viele Jahre eng mit seinem Regie-Assistenten Rudolf Jugert
zusammen arbeitete, der unter Alessandro Blasetti 1938 in Italien sein Handwerk
gelernt hatte, dessen Film „Quattro passi fra le nuvole“ (Lüge einer
Sommernacht, 1942) als ein Wegbereiter des Neorealismus gilt.
Neben der
Besetzung der männlichen Hauptrollen mit den italienischen Darstellern Rossano
Brazzi und Giorgio Albertazzi, hatte sich Käutner mit dem italienischen
Kameramann Otello Martelli zudem einen Meister seines Fachs an Bord geholt, der an
den neorealistischen Filmen Roberto Rossellinis und Giuseppe De Santis
beteiligt war, an fast allen Fellini-Filmen der 50er Jahre mitarbeitete - zuletzt
an „La dolce vita“ (Das süße Leben, 1960) – und im selben Jahr bei zwei Teilen
von „Boccaccio ’70“ (1962) die Kameraarbeit verantwortete. Schon in der ersten
Einstellung seines Films, die das Pirelli-Hochhaus von Mailand zeigt, zitiert
Käutner den Beginn von Antonionis „La notte“ (Die Nacht, 1961). „Die Rote“
wurde entsprechend ein Film, der von langen, ruhigen Kameraeinstellungen bestimmt
wird, die das winterliche Venedig in grauen, düsteren Farben erfassen, dabei
jeden pittoresken Eindruck vermeidend. Der langsame Rhythmus, die Ziellosigkeit
und Zufälligkeit des Geschehens, wortreiche Dialoge und mangelhafte
Kommunikation, werden in „Die Rote“ zu einer Mischung aus dem Stil Käutners,
Antonionis und der „Nouvelle vague“ - ernsthaft und leicht, kritisch und doch
ohne konkrete Botschaft – ein Film auf der künstlerischen Höhe seiner Zeit.
Doch
anstatt ihn als Ganzes zu begreifen, wurde er auseinander gepflückt. Wahlweise wurden
die italienischen Charakteristika als Fremdkörper innerhalb deutscher Ernsthaftigkeit
angesehen („ganz und gar verquollene Geschichte“ (Hamburger Abendblatt)) oder einzig
die italienische Kameraarbeit gelobt. Ruth Leuwerik wurde besonders wegen ihrer
angeblich atypischen Rollenwahl bewertet (obwohl sie in vielen Filmen moderne
Frauentypen verkörperte), während allein Gert Fröbe in seiner Rolle als Nazi
und Kriegsverbrecher Kramer gute Kritiken erhielt. Für das Heyne-Filmlexikon
liegt in seiner Leistung der einzige positive Aspekt innerhalb eines
„langweiligen, misslungenen Films“ – eine Meinung, die erst die Unfähigkeit
deutlich werden lässt, sich auf einen deutschen Film einzulassen, der eine
moderne, europäische Filmsprache wählte, ohne Lösungen oder ein klares Ende anzubieten.
Die von Gert Fröbe verkörperte Figur ist die einzig konkret handelnde und damit
einfach nachvollziehbare Person des Films. Doch ihre Wirkung entsteht erst durch
die Konfrontation mit Menschen, die nicht wissen, was sie tun wollen und wohin
es sie treibt.
„Die Rote“
hatte keine Chance bei Kritik und Publikum, denn ihre filmischen Mittel wurden
nicht akzeptiert, auch weil sich die stilistischen Fronten offensichtlich
verhärtet hatten. Mehr als eine Frau, die ohne Alternative und Plan aus einer
gesicherten Existenz ausbrach, provozierte die Bildsprache eines Films, der diese Intention kongenial umsetzte.
"Die Rote" Deutschland / Italien 1962, Regie: Helmut Käutner, Drehbuch: Helmut Käutner, Alfred Andersch (Novelle), Darsteller : Ruth Leuwerik, Rossano Brazzi, Giorgio Albertazzi, Harry Meyen, Richard Münch, Laufzeit : 91 Minuten
weitere im "Grün ist die Heide" - Blog besprochene Filme von Helmut Käutner:
"Kleider machen Leute" (1940)
"Große Freiheit Nr. 7" (1944)
"Unter den Brücken" (1945)
"Bildnis einer Unbekannten" (1954)
"Himmel ohne Sterne" (1955)
"Die Zürcher Verlobung" (1957)
"Große Freiheit Nr. 7" (1944)
"Unter den Brücken" (1945)
"Bildnis einer Unbekannten" (1954)
"Himmel ohne Sterne" (1955)
"Die Zürcher Verlobung" (1957)
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