Dienstag, 2. April 2013

Die Rote (La rossa) 1962 Helmut Käutner

1962 kam es zum unmittelbaren Berührungspunkt zwischen italienischem und deutschen Film in Helmut Käutners Karriere, dessen Stil seine Liebe zum italienischen Kino von Beginn an verriet. "Die Rote" wurde damals zu unrecht von Kritik und Publikum verrissen - eine Analyse, die nun zum Berührungspunkt meiner beiden Blogs zum italienischen ("L'amore in città") und zum deutschen Film ("Grün ist die Heide") wird:


Inhalt: Während sie mit ihrem Mann Herbert Lucas (Harry Meyen) in einem Mailänder Café sitzt, entscheidet die knapp 40jährige Franziska (Ruth Leuwerik) spontan, ihn zu verlassen. Zuerst nimmt er sie nicht ernst, da sie schon häufig von Scheidung gesprochen hatte, und glaubt zudem, sie will zu Joachim (Richard Münch) nach Deutschland, seinem Chef, mit dem sie schon lange eine von ihm tolerierte Affäre hat, aber sie lässt sich nur sein Bargeld geben und geht.

Auf dem Mailänder Bahnhof kauft sie sich ein einfaches Ticket für den nächsten Zug und kommt so in das winterliche, graue Venedig. Nachdem sie sich eine billige Unterkunft besorgt hatte, versucht sie einen Job zu finden, aber Dolmetscherinnen werden im Winter nicht benötigt. Auch eine Stelle als Zimmermädchen bekommt sie nicht, nur 1000 Lire, die ihr der Portier aus Mitleid schenkt. Patrick O'Malley (Giorgio Albertazzi) beobachtet diese Szene, erkundigt sich nach ihr und spricht sie an. Trotz ihrer Skepsis folgt sie dem gebürtigen Iren auf dessen Yacht und erfährt von ihm, weshalb er in Venedig ist...


Als „Die Rote“ 1962 im Wettbewerb der Berlinale gezeigt wurde, fiel der Film beim Publikum durch. Auch die Kritiker waren sich in ihrem vernichtenden Urteil einig, welches sich durch den Disput zwischen dem Autor Alfred Andersch und Regisseur Helmut Käutner kurz nach der Filmvorführung zu bestätigen schien. Andersch warf Käutner mangelnde Selbstkritik vor und distanzierte sich von dessen Umsetzung seiner Romanvorlage. Für Käutner, dessen zwei letzte Filme „Schwarzer Kies“ (1961) und „Der Traum von Lieschen Müller“ (1961) wenig Anklang bei Kritik und Publikum fanden, bedeutete dieser Misserfolg einen Wendepunkt, nach dem er nur noch wenige reine Unterhaltungsfilme für das Kino drehen und fast ausschließlich für das Fernsehen arbeiten sollte. Dabei war Käutners Film „Die Rote“ besonders ambitioniert, sollte die Zusammenarbeit mit Alfred Andersch - einem der führenden kritischen deutschen Autoren der Nachkriegszeit – eine schlüssige Umsetzung seines Romans garantieren.

Andersch demaskierte darin die gesellschaftlichen Prinzipien der Wirtschaftswunderjahre und stellte eine Frau in den Mittelpunkt, die ohne Alternative aus einer gesicherten Existenz ausbricht. Die Dolmetscherin Franziska (Ruth Leuwerik) war schon die Geliebte ihres Chefs Joachim (Richard Münch), bevor sie dessen Angestellten Herbert Lucas (Harry Meyen) kennenlernte und heiratete. Der Chef hatte die Hochzeit seines Mitarbeiters unterstützt, der wiederum die Affäre seiner Frau mit ihm toleriert – für Beide eine gewinnbringende Situation. Auch Franziska profitiert davon, da sie ihren beziehungsunwilligen Chef liebt, aber dank der Ehe mit Herbert legitimiert und abgesichert ist – eine von Andersch hochstilisierte Situation weiblicher Abhängigkeit unter der Prämisse wirtschaftlicher Sicherheit. Ihr Ausbruch aus dieser Konstellation – sie verlässt ihren Mann (und in Konsequenz daraus auch ihren Chef) während einer Dienstreise in Mailand, ohne Gepäck und kaum Bargeld, um den nächsten Zug zu nehmen, der sie zufällig nach Venedig bringt – widersprach nicht nur jeder Vernunft, sondern galt als unvorstellbar für eine Ehefrau, Ende 30. In Anderschs Roman ist Franziska jünger, eine Änderung, die nicht nur der Besetzung Ruth Leuweriks geschuldet war, sondern signifikant für die thematische Entschlackung des Romans ist. Wie weit diese inhaltlichen Veränderungen mit dem Einverständnis des Autors geschahen oder ob sie der Anlass für die öffentliche Auseinandersetzung wurden, bleibt offen - der filmischen Umsetzung kamen sie entgegen.

Die Konzentration galt im Film allein Franziska, während Fabio (Rossano Brazzi), der in Anderschs Roman eine gleichwertige, parallel erzählte Rolle als Musiker und ehemaliger Kommunist einnimmt (und nur wenige Worte mit Franziska wechselt), hier als desillusionierter Schriftsteller und möglicher Liebhaber glänzt. Zudem wird die Homosexualität des Iren Patrick O’Malley (Giorgio Albertazzi) nur angedeutet, verzichtet Käutner ganz auf die Schwangerschaft seiner Protagonistin (und damit auf deren Überlegungen abzutreiben) und belässt den Juwelier, der Franziskas Notsituation beim Ankauf ihres Eherings ausnutzt, neutral hinsichtlich seiner Religionszugehörigkeit. Im Roman wird er als Jude beschrieben, was Andersch den Vorwurf des Antisemitismus einbrachte, obwohl er damit nur die Klischees der Nachkriegszeit brechen wollte, wie er in einer späteren Szene noch betont. Nachdem der ehemalige Gestapo-Mann Kramer (Gert Fröbe) zusätzlich Geld für sie herausgeholt hatte, das dem tatsächlichen Ankaufswert des Rings entsprach, gibt es Franziska dem Juwelier wieder zurück. Für Andersch ein Symbol des schlechten Gewissens der Deutschen, die zu keiner normalen Handlungsweise gegenüber den Juden in der Lage waren. Im Film behält sie das Geld, dass ihr rechtmäßig zusteht.

Käutner deshalb vorzuwerfen, er hätte sich strittigen Themen entzogen, wäre falsch, denn während es im Roman möglich ist, diese zu integrieren, ohne den Rhythmus der Erzählung zu unterbrechen, wäre sein Film damit überladen worden. Viel mehr erkannte Käutner in der zufälligen, ziellosen Handlungsweise der Protagonistin und ihren im Ungefähren bleibenden Beziehungen, die Verwandtschaft zur französischen „Nouvelle vague“ und den Filmen Antonionis, dessen Werk er sehr schätzte. Da die Handlung größtenteils in Venedig spielte, strebte Käutner eine enge Zusammenarbeit mit italienischen Filmschaffenden an, womit er auf seine eigenen Anfänge zurückkam. Seitdem er mit „Große Freiheit Nr.7“ (1944) und „Unter den Brücken“ (1945) authentische, die Lebenssituation der Menschen genau erfassende Filme noch während der Zeit des Nationalsozialismus gedreht hatte, hatte sich Helmut Käutner als Regisseur profiliert, auch weil seine Bildsprache an den „Poetischen Realismus“ des französischen Films erinnerte, der den italienischen „Neorealismus“ beeinflusste. Diese Nähe zum damals stilbildenden Kino kam nicht zufällig, da Käutner viele Jahre eng mit seinem Regie-Assistenten Rudolf Jugert zusammen arbeitete, der unter Alessandro Blasetti 1938 in Italien sein Handwerk gelernt hatte, dessen Film „Quattro passi fra le nuvole“ (Lüge einer Sommernacht, 1942) als ein Wegbereiter des Neorealismus gilt.

Neben der Besetzung der männlichen Hauptrollen mit den italienischen Darstellern Rossano Brazzi und Giorgio Albertazzi, hatte sich Käutner mit dem italienischen Kameramann Otello Martelli zudem einen Meister seines Fachs an Bord geholt, der an den neorealistischen Filmen Roberto Rossellinis und Giuseppe De Santis beteiligt war, an fast allen Fellini-Filmen der 50er Jahre mitarbeitete - zuletzt an „La dolce vita“ (Das süße Leben, 1960) – und im selben Jahr bei zwei Teilen von „Boccaccio ’70“ (1962) die Kameraarbeit verantwortete. Schon in der ersten Einstellung seines Films, die das Pirelli-Hochhaus von Mailand zeigt, zitiert Käutner den Beginn von Antonionis „La notte“ (Die Nacht, 1961). „Die Rote“ wurde entsprechend ein Film, der von langen, ruhigen Kameraeinstellungen bestimmt wird, die das winterliche Venedig in grauen, düsteren Farben erfassen, dabei jeden pittoresken Eindruck vermeidend. Der langsame Rhythmus, die Ziellosigkeit und Zufälligkeit des Geschehens, wortreiche Dialoge und mangelhafte Kommunikation, werden in „Die Rote“ zu einer Mischung aus dem Stil Käutners, Antonionis und der „Nouvelle vague“ - ernsthaft und leicht, kritisch und doch ohne konkrete Botschaft – ein Film auf der künstlerischen Höhe seiner Zeit.

Doch anstatt ihn als Ganzes zu begreifen, wurde er auseinander gepflückt. Wahlweise wurden die italienischen Charakteristika als Fremdkörper innerhalb deutscher Ernsthaftigkeit angesehen („ganz und gar verquollene Geschichte“ (Hamburger Abendblatt)) oder einzig die italienische Kameraarbeit gelobt. Ruth Leuwerik wurde besonders wegen ihrer angeblich atypischen Rollenwahl bewertet (obwohl sie in vielen Filmen moderne Frauentypen verkörperte), während allein Gert Fröbe in seiner Rolle als Nazi und Kriegsverbrecher Kramer gute Kritiken erhielt. Für das Heyne-Filmlexikon liegt in seiner Leistung der einzige positive Aspekt innerhalb eines „langweiligen, misslungenen Films“ – eine Meinung, die erst die Unfähigkeit deutlich werden lässt, sich auf einen deutschen Film einzulassen, der eine moderne, europäische Filmsprache wählte, ohne Lösungen oder ein klares Ende anzubieten. Die von Gert Fröbe verkörperte Figur ist die einzig konkret handelnde und damit einfach nachvollziehbare Person des Films. Doch ihre Wirkung entsteht erst durch die Konfrontation mit Menschen, die nicht wissen, was sie tun wollen und wohin es sie treibt.

„Die Rote“ hatte keine Chance bei Kritik und Publikum, denn ihre filmischen Mittel wurden nicht akzeptiert, auch weil sich die stilistischen Fronten offensichtlich verhärtet hatten. Mehr als eine Frau, die ohne Alternative und Plan aus einer gesicherten Existenz ausbrach, provozierte die Bildsprache eines Films, der diese Intention kongenial umsetzte.

"Die Rote" Deutschland / Italien 1962, Regie: Helmut Käutner, Drehbuch: Helmut Käutner, Alfred Andersch (Novelle), Darsteller : Ruth Leuwerik, Rossano Brazzi, Giorgio Albertazzi, Harry Meyen, Richard Münch, Laufzeit : 91 Minuten

weitere im "Grün ist die Heide" - Blog besprochene Filme von Helmut Käutner:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen