Mittwoch, 18. Mai 2011

L'invenzione di Morel (Morels Erfindung) 1974 Emidio Greco

Inhalt: Ein Schiffbrüchiger (Giulio Brogi) landet an einer einsamen, kargen Küste. Als er den Felsen besteigt, entdeckt er ein futuristisches Gebäude, das wie ein Hotel luxuriös eingerichtet ist. Allerdings steht es wohl schon seit vielen Jahren leer ,da über allem eine dicke, unberührte Staubschicht liegt. Mühsam gelingt es ihm, das Wasser wieder anzustellen, aber als er in einen merkwürdigen Raum gerät, flieht er erschrocken zurück an den Strand.

Am nächsten Morgen wird er durch Musik geweckt und sieht Menschen in altmodischer Kleidung oberhalb der Küste flanieren. Vorsichtig nähert es sich diesen und kommt dabei auch wieder zurück in das Hotel, um festzustellen, dass plötzlich alles sauber und intakt ist. Nur nimmt Niemand von ihm Notiz, selbst als er sich konkret einer schönen Frau (Anna Karina) offenbart und dabei gesteht, vor der Polizei auf der Flucht zu sein...




Ein Mann (Giulio Brogi) wird, hilflos in einem Boot liegend, an eine karge, felsige Küste getrieben. Das Boot wird bei der Landung zerstört, aber er kann sich retten. Doch was ihn dort erwartet, scheint wenig verheißungsvoll - nur wenige Pflanzen wachsen auf den schroffen Felsen, während der Wind ständig über die menschenleere Steppe hinweg fegt. Doch am nächsten Morgen erblickt er über den steil abfallenden Felsen ein seltsames, in futuristischer Architektur entworfenes Gebäude. Vorsichtig nähert er sich der großzügig gebauten Villa, stellt aber schnell fest, dass diese schon sehr lange von ihren Bewohnern verlassen worden sein muss. Zwar ist sie vollständig im Stil der 20er Jahre eingerichtet und ohne offensichtliche Beschädigungen, aber hoher Staub liegt auf allen Flächen.

Emidio Grido nahm für seinen ersten Film "L'invenzione di Morel" die gleichnamige Novelle des argentinischen Autors Adolfo Bioy Casares als Grundlage, der mit dieser schon 1940 ein Science-Fiction-Szenario schuf, das stilbildend werden sollte. Der Gedanke der Virtualität wurde hier erstmals von Casares durchgespielt, aber Grido nutzte die dezenten Science-Fiction-Elemente zu einer Geschichte, die deutlicher den Geist der 70er Jahre widerspiegelte. So erinnert der Beginn, als der Mann in vollständiger Einsamkeit seine Umgebung erkundet, mehr an "L'ultimo uomo della terra" (The last man on earth) von 1964 oder dessen us-amerikanische Version "The Omega man" von 1971, denn anders als im Roman trifft der Schiffbrüchige Niemanden auf der Insel an. Das scheint angesichts der abgelegenen Umgebung zuerst wenig überraschend, aber spätestens als er das mondäne Gebäude mit seinen vielen Zimmern, der luxuriösen Einrichtung und der merkwürdigen Maschine in den Kellerräumen entdeckt, entsteht das Gefühl einer unnatürlichen Abwesenheit von Leben.


 Die Parallelen zu den populären Untergangs-Szenarien der 60er und 70er Jahre lassen sich durchaus fortsetzen, denn auch in "L'invenzione di Morel" basiert dieser Zustand auf einer menschlichen Erfindung, deren Nebenwirkungen unterschätzt werden, aber Grido geht es hier nicht um eine Warnung vor der Selbstzerstörung durch technischen Größenwahn, nicht einmal der "Mad-Scientist" Morel steht hier im Mittelpunkt, sondern um grundsätzliche Fragen nach Glück und Liebe - und damit letztlich nach einem erfüllten Leben. Durch das komprimierte, sich nur auf die unmittelbare Umgebung des futuristischen Gebäudes, beschränkende Szenario, entschlackt Grido die Thematik und konzentriert sich ausschließlich auf das Erleben des zufällig an dieser Küste gestrandeten Mannes.

Das es sich bei diesem in Wirklichkeit um einen gesuchten Flüchtigen handelt, wird im Film erst nach einer guten halben Stunde deutlich, als erstmals gesprochen wird. Er spricht mit einer Frau (Anna Karina), deren Namen "Faustine" er erst später erfährt, aber zu einem Dialog kommt es nicht, denn sie reagiert nicht auf seine Worte. Er war zuvor auf sie und die anderen Menschen durch die Musik aufmerksam geworden, die er vom Strand aus hörte. Trotz der seltsamen Erfahrung mit der Frau, deren Kleidung aus den 20er Jahren stammt, wagt er es lange nicht, näher an die Gesellschaft heran zu treten. Erst als er eine Woche später zufällig den selben Dialog zwischen Morel (John Steiner) und Faustine mitanhören muss, den er zuvor schon erlebt hatte, beginnt er wieder, sich der Villa zu nähern.

Das Unwirkliche dieser Gesellschaft, die sich hier beim Tanz und gemeinsamen Abenden vergnügt, wird sofort spürbar. Trotzdem gelingt es Grido, die langsame Annäherung des Flüchtlings, und damit dessen wachsenden Erkenntnisse in die inneren Zusammenhänge dieser Situation, mit erheblicher Spannung zu erzählen. Vor allem die Figur des Morel bekommt in diesem Zusammenhang ein Eigenleben, denn dem stillen Beobachter offenbaren sich dessen Intentionen. Und nicht zuletzt dessen Objekt der Sehnsucht - Faustine, von Anna Karina - seit Godards "Une femme est une femme" (Eine Frau ist eine Frau) von 1961, die Muse des europäischen Avantgarde-Films - mit selbstbewusster, graziler Schönheit verkörpert, wird auch für den Flüchtling das Zentrum seines Begehrens.

"L'invenzione di Morel" erscheint wie ein Mischwesen aus Glück und Tragik, denn in diesem Film gibt es real kein zwischenmenschliches Gespräch und keine Berührung. Und doch ist es ein Film über tief empfundene Liebe, über die Selbstaufgabe und den Traum vom immer währenden Glück. Auch wenn das pessimistische Ende diesen scheinbar zerstört, so lässt der Film doch offen, ob die Illusion von Glück nicht gerechtfertigt ist - und nimmt damit die virtuell erschaffenen Welten der Gegenwart vorweg.


"L'invenzione di Morel" Italien 1974, Regie: Emidio Greco, Drehbuch: Emidio Greco, Andrea Barbato, Adolfo Bioy Casares (Novelle), Darsteller : Giulio Brogi, Anna Karina, John Steiner, Anna Maria Gherardi, Ezio Marano, Laufzeit :106 Minuten 

Dienstag, 3. Mai 2011

Il commissario di ferro (Kommissar Mariani - Zum Tode verurteilt) 1978 Stelvio Massi

Inhalt: Ein glückliches Paar verlässt das Kino, aber als die junge Frau, nachdem ihr Freund sie nach Hause gebracht hatte, aus dem Auto steigen will, werden sie brutal überfallen. Während ihr Freund zusammen geschlagen wird, nehmen die Männer sie mit, um kurz danach von ihrem Vater ein hohes Lösegeld zu fordern. Dieser will auch zahlen und bittet den ermittelnden Kommissar Mauro Mariani (Maurizio Merli) darum, sich rauszuhalten. Doch dieser denkt gar nicht daran, die Gangster zu schonen, und überwacht heimlich die Lösegeldübergabe. Er kann den Entführern zum Versteck der jungen Frau folgen, wo es ihm und seinen Männern gelingt, sie zu befreien, allerdings ohne die Drahtzieher dingfest machen zu können. Dank des glücklichen Ausgangs, kommt er mit einer Rüge davon, zementiert damit aber seinen schlechten Ruf, sich nicht an die Regeln zu halten.

Am nächsten Sonntag scheint wenig los zu sein, weshalb er sich nur kurz auf dem Kommissariat sehen lässt, um darauf seinen Sohn zu besuchen, der bei seiner von ihm getrennt lebenden Frau Vera (Janet Agren) lebt. Doch er hat nicht mit Sergio (Massimo Mirani) gerechnet, der als harmlos scheinender Bürger die Wache betritt und sich nach Mariani erkundigt. Dort wird ihm mit geteilt, dass dieser später nochmal zurück kommt, weshalb Sergio zuerst wartet, aber als ihm die Zeit zu lang wird, geht er heimlich in dessen leeres Büro, um nach weiteren Informationen zu suchen. Als er dort von einem anderen Polizisten entdeckt wird, eskaliert die Situation - Sergio bedroht die Männer mit seiner Pistole und formuliert seinen Wunsch: er will Kommissar Mariani töten...


Als ob "Il commissario di ferro" (Der Kommissar aus Eisen) den Inhalt nicht ausreichend getroffen hätte, muss der deutsche Titel noch das "Zum Tode verurteilt" hinzufügen, womit entweder dessen angebliches Schicksal zu sehr betont wird, oder der Eindruck eines Selbstjustiz ausübenden Polizisten entstehen sollte. Dabei bleibt der Film in dieser Hinsicht überraschend zurückhaltend, stellt zwar einen Polizeidetektiv in den Mittelpunkt, der sich nur wenig an die bürokratischen Regeln hält, deshalb aber keineswegs blindlings zur Waffe greift. Im Gegenteil überzeugt der Film durch seine kompakte, sich auf das Wesentliche beschränkende Erzählweise, die nicht nur auf schmückendes Beiwerk, sondern vor allem auf das emotionale Schüren von Rachegedanken verzichtet.

Die Entführung einer Tochter aus reichem Hause, mit der der Film beginnt, geht zwar auf die Mitte der 70er Jahre grassierende Entführungswelle (wie auch in Eriprando Viscontis „La orca“ von 1976) ein, soll aber nur verdeutlichen, dass Kommissar Mariani (Maurizio Merli) seine eigenen Wege bei der Verbrechensbekämpfung geht. Anstatt auf die Bitte des zahlungswilligen Vaters einzugehen, nicht einzugreifen, nimmt er die Spur der Entführer auf und kann das Opfer schließlich unverletzt befreien, allerdings ohne die Hintermänner zu fassen. Nur dank des positiven Ausgangs der Aktion, kommt er mit einer Rüge seines Vorgesetzten davon.


Abgesehen von dieser Eingangssequenz, spielt die komplette weitere Handlung nur am folgenden Sonntag, beginnend mit dem allein in seiner Wohnung aufwachenden Polizisten. Der Film entwirft mit wenigen Pinselstrichen das Bild eines Mannes, dessen zeitintensive Polizeiarbeit sein Familienleben zerstört hat. Seine Frau Vera (Janet Agren) hat ihn mit dem gemeinsamen Sohn verlassen, weshalb er – nachdem er kurz in seinem Kommissariat vorbei gesehen hatte – diesen, wie an jedem Sonntag besucht. Dem Film gelingt es, diese typische Konstellation ohne emotionalen Bombast zu vermitteln. Weder ist Mariani ein Zyniker, der den Glauben an die Menschheit verloren hat, noch ist er geistig ständig auf Verbrecherjagd, sondern einfach ein Mann der Tat. Er spielt genauso intensiv „Räuber und Gendarm“ mit seinem Sohn, wie er Verbrecher jagt – nur abwarten und Nichtstun, wie es die Polizeiarbeit oft verlangt, kann er einfach nicht.

Dieser Charakterisierung fehlt zwar jede Zwiespältigkeit, hat aber den Vorteil, das auch die weiteren Ereignisse um die Entführung seines Sohnes ohne das gewohnte pathetische Beiwerk abläuft. Maurizio Merlis Darstellung ist eine weitere Variante des engagierten, nicht aus eigennützigen Motiven handelnden Polizisten, wie er ihn schon mehrfach seit "Roma violenta" (Verdammte heilige Stadt, 1975) und in Umberti Lenzis Film "Roma a mano armato" (Die Viper, 1976) gespielt hatte. Allerdings deutlich weniger fanatisch angelegt, was der deutsche Verleih offensichtlich nicht akzeptieren wollte. In der deutsche Synchronisation wurde ihm wieder der beliebte Name "Ferro" verliehen, der in der Originalversion nur im Filmtitel erscheint.

Dass sein Sohn entführt wird, ist eher ein Zufall, denn der Täter, Sergio (Massimo Mirani), hatte es ausschließlich auf ihn abgesehen, hatte aber nicht damit gerechnet, dass Mariani am Sonntag nur kurz auf der Polizeiwache anwesend sein würde. Da er aber erfahren hatte, dass dieser noch einmal zurückkommen wollte, terrorisiert er fast die gesamte Belegschaft bis auch Marianis Ex-Frau und sein Sohn dort vorbei kommen, um ihn zu treffen. Er hatte ihnen versprochen, mit ihnen essen zu gehen, musste aber wegen eines dringenden Vorfalls noch an einen Tatort. Genauso straight wie die Story klingt, wird sie auch erzählt. Im Grunde ist der Commissario immer auf der Verfolgung irgendwelcher Verbrecher, unterbrochen nur von kurzen Momenten im Büro oder bei der Familie, und das ändert sich auch nicht, als Sergio seinen Sohn mitnimmt. Anstatt abzuwarten, bis der Entführer anruft und seine Bedingungen stellt, macht er sich schon auf den Weg und prügelt Informationen aus den Freunden des Entführers.

Allerdings bleibt der Film auch bei diesen Szenen ohne Sadismus oder übertriebene Härte, so wie auch die Mutter des entführten Jungen nicht in plötzliche Hysterie ausbricht, sondern eine Zigarette nach der anderen raucht. Selbst das Kind bleibt erstaunlich zurückhaltend. Dank dieser Unaufgeregtheit und der kompakten, schnellen Erzählweise, wird „Il commissario di ferro“ zu einem unterhaltenden und vor allem in den Szenen auf dem Kommissariat und am Ende, als Mariani endlich dem Entführer seines Sohnes gegenüber steht, spannenden Spät-Poliziesco, der zwar nicht besonders originell ist, aber über sympathische Darsteller, Momente der Selbstironie und ein entspanntes, auf pathetische Übertreibungen verzichtendes Ende, verfügt – heute keine Selbstverständlichkeit, angesichts dieser Thematik.

Betrachtet man "Il commissario di ferro" in der Entwicklung des italienischen Polizeifilms seit Lizzanis "Banditi a Milano" von 1968, wird deutlich, dass das Genre seinen Zenit 1978 schon überschritten hatte. Gemessen an Umberto Lenzis Filmen während der Hochphase "Milano odia:la polizia non può sparare" (Der Berserker, 1974) oder dem schon erwähnten "Roma mano armato" wirkt Massi Film gemäßigter und weniger kompromisslos, vergleichbar mit dem im selben Jahr entstandenen "La banda del gobbo" (Die Kröte).

"Il commissario di ferro" Italien 1978, Regie: Stelvio Massi, Drehbuch: Roberto Gianviti, Darsteller : Maurizio Merli, Janet Agren, Ettore Manni, Massimo Mirani, Chris Avram, Laufzeit 81 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Stelvio Massi: